LG Berlin – Baum kommt!


Unser Mandant hatte mit einem Freund im September 2007 auf dem Flohmarkt am Boxhagener  Platz ein paar Sachen verkauft. Gegen 18 Uhr, der Markt neigte sich dem Ende und man packte gerade zusammen, brach von einem Straßenbaum ein Ast ab. Bei einer Länge von ca. 15 Metern bedeckte der Ast eine Gehwegfläche von rund 50 Quadratmetern und darunter lag unser Mandant.

Mit mehrfachen Unterschenkelfrakturen wurde er daraufhin in das nächste Krankenhaus eingeliefert und operiert. Der Baum wurde am Folgetag gefällt und entsorgt. Glücklicherweise hatte der Freund unseres Mandanten den Baum und den Ast fotografiert.

Denn das Land meinte natürlich für diesen bedauerlichen Unfall nicht verantwortlich zu sein, da bei den regelmäßigen Kontrollen durch geschultes Personal trotz sorgfältiger Besichtigung vom Boden nichts zu erkennen war , was auf ein Ausbrechen des Astes hingedeutet hätte. Ursache für den Astbruch sei eine bis dahin äußerlich nicht erkennbare Braunfäule gewesen. Darüber hinaus sei eine Haftung ausgeschlossen, weil der Baum Teil einer öffentlichen Grünanlage gewesen sei. Unser Mandant beauftragte uns, sofern ihm Prozesskostenhilfe gewährt würde, zu klagen. Das Landgericht Berlin meinte, dass die hierfür erforderlichen Erfolgsaussichten der Klage wohl eher nicht vorliegen, da unser Mandant den Beweis erbringen müsse, dass irgendetwas am Baum dem Baumkontrolleur Anlass hätte geben müssen, genauer hinzuschauen. Dieser Beweis ist in der Regel sehr schwierig zu erbringen, also mussten wir uns etwas einfallen lassen.

Wir vertieften uns in die Rechtsprechung und fanden, dass bei dem Baum vom Boxhagener Platz Besonderheiten im Wachstums vorlagen. Der Baum hatte nach unserem Dafürhalten im Bereich der Verzweigungen der Stämmlinge instabile Druckzwiesel ausgebildet und ein anormales Dickenwachstum aufgewiesen, dies habe eine erhöhte Bruchwahrscheinlichkeit begründet, was dem Baumkontrolleur hätte auffallen müssen. Wir bekamen daraufhin Prozesskostenhilfe und nachdem die Richterin sich beim Gütetermin nochmals vergewissert hatte, dass wir das auch wirklich ernst meinen, einen Beweisbeschluss.

Das Gutachten eines Baumsachverständigen ergab zwar nicht das von uns behauptete anormale Wachstum, aber einen Befall des Baums mit holzzerstörenden Pilzen. Diese waren nach Auswertung der Fotografien jedenfalls für den Sachverständigen gut sichtbar und hätten Anlass für eine eingehendere Kontrolle sein müssen. Dabei hätte die vorhandene Fäule erkannt und die Gefahr des Astbruchs abgewendet werden können. Von dem eingeklagten Schmerzensgeld von 4.000 Euro bekam unser Mandant trotz zweier Operationen und einer langwierigen Heilbehandlung allerdings nur 3.500 Euro zugesprochen.

Aus den Gründen:

Dem Kläger steht (…) gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG ein Anspruch auf Schadensersatz zu, weil der Beklagte die ihm obliegende Pflicht zur Verkehrssicherung verletzt hat.

1. Der Anspruch ist nicht bereits dann ausgeschlossen, wenn sich der Baum in einer öffentlichen Grünanlage befand. Soweit es in § 5 Abs. 2 5. 1 GrünanlG heißt, die Benutzung. öffentlicher Grünanlagen geschehe auf eigene Gefahr, führt dies nicht zum vollständigen Wegfall der Verkehrssicherungspflicht. Dies folgt schon aus § 5 Abs. 1 GrünanlG, der regelt, dass die in öffentlichen Grünanlagen mit der Überwachung der Verkehrssicherheit zusammenhängenden Aufgaben vom Land als Pflicht des öffentlichen Rechts wahrgenommen werde. Die Vorschrift ist letztlich eine Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes, dass sich Umfang und Reichweite der Verpflichtung nach den berechtigten Erwartungen und Bedürfnissen der betroffenen Verkehrsteilnehmer sowie danach richten, was dem Pflichtigen vernünftigerweise zumutbar ist. Danach bestehen in Grünanlagen geringere Anforderungen an die Verkehrssicherheit als auf öffentlichen Straßen und Plätzen, wobei die für derartige Anlagen typischen Besonderheiten zu berücksichtigen sind (unebene Wege, Gras- oder Laubreste sowie der in § 5 Abs. 2 5. 2 GrünanlG ausdrücklich geregelte Wegfall der Verpflichtung zur Beleuchtung und Schneebeseitigung). Anders als möglicherweise in größeren ländlichen Waldgebieten besteht aber in innerstädtischen Anlagen weiterhin die Pflicht, die Nutzer vor Gefahren durch herabfallende Äste zu schützen, da sich die Nutzer vor dieser Gefahr nicht durch sorgfältiges Verhalten schützen können und sie auch nicht regelhaft mit derartigen Vorfällen rechnen müssen. Dies gilt erst recht, wenn in unmittelbarer Nähe ein regelmäßiger Flohmarkt stattfindet, der von der zuständigen Behörde genehmigt ist oder zumindest geduldet wird.

2. Der Beklagte hat seine Verpflichtung zur Verkehrssicherung auch vorwerfbar verletzt, indem die für ihn tätigen Mitarbeiter zum Zeitpunkt der letzten Kontrolle bestehende Hinweise auf einen gefährlichen Zustand nicht ausreichend nachgegangen sind und zumutbare Schutzmaßnahmen nicht ergriffen hat.

Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 Abs. 1 ZPO) aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. sowie seinen ergänzenden Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 17. November 2009. Der Sachverständige, der für das Fachgebiet der Statik und Verkehrssicherheit von Bäumen sowie für biotische und abiotische Baumschäden öffentlich bestellt und vereidigt ist, hat zwar nicht das vom Kläger vorgetragene Schadensbild bestätigt. Er hat aber unter sorgfältiger Auswertung der zu den Akten gereichten Fotografien (der Baum selbst ist nicht mehr vorhanden) ausgeführt, dass sich im Ast- und Stammholz, auch in unmittelbarer Nähe zu dem havarierten Ast, Schäden fanden, die durch Höhlungen und Auftreten von Pilzfruchtkörpern nach außen erkennbar waren. Aus der Wuchsrichtung konnte der Sachverständige ferner entnehmen, dass es sich um holzzersetzende Pilze handelte. Diese Erscheinungen hat er als eindeutige Risikoanzeichen gewertet, die bei einer fachlich qualifizierten Inaugenscheinnahme vom Boden aus erkennbar sein mussten. Das Auftreten von Pilzen hat der Sachverständige zudem mit einem, höheren Bruchrisiko verbunden. Das bedeutet, dass sich die Mitarbeiter des Beklagten bei sorgfältigem Vorgehen nicht mit einer Beobachtung vom Boden aus begnügen durften, sondern Anlass für eine eingehende Kontrolle in kürzeren Zeitabständen bestanden hätte. Hierbei hätte die vorhandene Fäule erkannt und mit baumpflegerischen Maßnahmen die Gefahr abgewendet werden können. Diese durchgehend überzeugenden Ausführungen, die sich der Kläger schriftsätzlich zu eigen gemacht hat, hat der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung weiter erläutert, insbesondere ausgeführt, dass es sich bei dem unteren – in unmittelbarer Nähe des havarierten Astes befindlichen – Pilz um einen Zunderschwamm handeln muss, da eine andere vernünftige Alternative nicht in Betracht komme. Dies sei ein gemächlich wachsender Pilz, der mit Sicherheit auch bei einer Besichtigung im Februar erkennbar gewesen sei. Außerdem hat der Sachverständige auf mehrere Astwunden in Form von Höhlungen hingewiesen, die ebenfalls für einen ausreichend qualifizierten Baumkontrolleur erkennbar sein müssen und die auf den vorgelegten Fotos auch deutlich erkennbar sind.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, was der eingesetzte Baumkontrolleur bei der letzten Besichtigung vor dem Schadenseintritt tatsächlich wahrgenommen hat. Wenn zu dem Zeitpunkt der vom Beklagten vorgetragenen Kontrolle die Gefahr für eine qualifizierte Person objektiv erkennbar war, ist das Übersehen dieser eindeutigen Gefahrenzeichen., gleich worauf dies individuell zurückzuführen ist, jedenfalls vorwerfbar, so dass eine fahrlässige Pflichtverletzung feststeht.

Auch die erforderliche Kausalität für den eingetretenen Schaden ist gegeben. Der Gutachter hat hierzu ausgeführt, dass das vorliegende Schadensbild hohe Priorität habe und innerhalb von zwei bis drei Monaten eine eingehende Untersuchung durch Bohrwiderstandsmessung oder durch Schalluntersuchung stattfinden müsse. Hierbei wäre die Braunfäule in jedem Fall festgestellt worden, d.h. der betroffene Ast wäre bei pflichtgemäßem Verhalten rechtzeitig gekürzt oder entfernt worden.

3. Gemäß § 839 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB kann der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen, das hier bei Abwägung aller Umstände mit 3.500,00 € zu bemessen ist. Bei der Prüfung einzubeziehen ist die als gravierend zu bewertende Mehrfachfraktur, die einen stationären Aufenthalt von 13 Tagen verursacht hat. Daran schloss sich eine längere ambulante Behandlung mit Teilbelastung und der Notwendigkeit der Verwendung von zwei bzw. später einer Gehstütze an, wie sie sich aus dem unstreitig gebliebenen Arztbericht vom 4. Juni 2008 ergibt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass bei Durchführung einer Osteosynthese das Material wieder entfernt werden muss, was nach Kenntnis der auch für Arzthaftungssachen zuständigen Kammer in der Regel mit einem weiteren stationären Aufenthalt von einigen Tagen verbunden ist. Dagegen sind konkrete Anzeichen für bereits jetzt zu erwartende Dauerfolgen bisher nicht ersichtlich. Auch aus den eingereichten Arztberichten ergibt sich insoweit nichts, vielmehr hat der behandelnde Arzt angegeben, eine endgültige Beurteilung sei erst etwa ein Jahr nach Materialentfernung möglich. Etwaige Spätfolgen sind daher ggf. in Ausfüllung des Feststellungsantrags geltend zu machen und derzeit nicht zu berücksichtigen.

Ein Schmerzensgeld über 3.500,00 € kommt vorliegend nicht in Betracht Von den vom Kläger vorgelegten Urteilen kommt angesichts der Verletzung am ehesten die zeitnahe Entscheidung des LG Bonn vom 24. März 2006 – 2 O 73/05 – als Vergleichsmaßstab in Betracht. Diese bewegt sich auch im Rahmen der übrigen Judikatur, vgl. etwa OLG Hamm VRS 109, 161: 3.500,00€ bei Tibiakopifraktur mit längeren Schmerzen und Arthrose im linken Kniegelenk; KG DAR 1993, 257: (nach Indexanpassung ca.) 3.800,00 € bei nach Unterschenkelfraktur verbleibender Beinverkürzung um 1 – 1,5 cm. Ein höheres Schmerzensgeld ist nicht gerechtfertigt, insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Verletzung des Klägers gravierender war als in den zitierten Fällen. (…) Der Kläger hat außerdem Anspruch auf die beantragte Feststellung weil weitere Schäden wie dargelegt, nicht ausgeschlossen werden können.

LG Berlin, Urteil vom 05.01.2010, Az: 13 O 316/08; rechtskräftig (PDF)

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