OLG Schleswig – Beweisverwertungsverbot bei Anordnung der Blutentnahme durch Polizei nach Verdacht auf Drogenfahrt


„Blut ist ein ganz besondrer Saft“ lässt Goethe Mephistopheles zu Faust sagen. So besonders, dass es per Gesetz nicht jedem erlaubt ist, ihn zapfen zu lassen. Nach den Entscheidungen des OLG Celle, OLG Dresden, OLG Oldenburg und OLG Hamm, ist nun auch das OLG Schleswig der Meinung, dass die Polizei nicht generell befugt ist, diesen besonderen Saft entnehmen zu lassen und bei Verstoß ein Beweisverwertungsverbot besteht.
Der Betroffene in dem vom OLG Schleswig entschiedenen Verfahren geriet an einem Wochentag um die Nachmittagszeit in eine allgemeine Verkehrskontrolle. Dabei fielen einem der Polizeibeamten gerötete Bindehäute und eine verzögerte Pupillenreaktion auf. Ein freiwillig durchgeführter Drogenschnelltest führte zu einem positiven Ergebnis auf THC. Daraufhin ordnete der Beamte die Entnahme einer Blutprobe an. Den Versuch, eine richterliche Entscheidung zu erlangen, unternahm er nicht. Aufgrund angenommener Eilkompetenz hielt er eine richterliche Anordnung für nicht erforderlich. Die Blutprobenentnahme erfolgte 45 Minuten später und ergab einen THC-Gehalt von 5,74 ng/ml.

Das Amtsgericht Ratzeburg hat das Ergebnis des rechtsmedizinischen Gutachtens über die Untersuchung der Blutprobe für verwertbar erachtet, da eine fernmündliche Sachverhaltsschilderung in aller Regel nicht ausreiche und die Vorlage einer Akte zuviel Zeit beansprucht hätte. Durch die zeitliche Verzögerung wäre der Untersuchungserfolg gefährdet gewesen. Das Amtsgericht Ratzeburg verurteilte den Betroffenen daher wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung des berauschenden Mittels THC zu einer Geldbuße von 250 Euro und verhängte ein Fahrverbot von einem Monat. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, über die das OLG Schleswig in voller Besetzung des Bußgeldsenats entschied, war erfolgreich. Der Betroffene wurde freigesprochen.

Aus den Gründen:

(…) Zu Recht rügt der Betroffene einen Verstoß gegen § 81 a Abs. 2 StPO. Danach steht die Anordnung einer Entnahme von Blutproben nach § 81 a Abs. 1 StPO grundsätzlich dem Richter zu. Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehenden Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, die Anordnung des zuständigen Richters einzuholen, bevor sie selbst die Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2007, 1345 f.; OLG Dresden, NJW 2009, 2149 ff.; OLG Bamberg, NJW 2009, 2146 ff., OLG Celle, Beschluss vom 6.8.2009 – 32 Ss 94/09 zitiert nach juris -). Dabei verbietet sich eine generalisierende Betrachtungsweise dahingehend, dass – ohne Berücksichtigung des Schutzzweckes des Richtervorbehalts im konkreten Einzelfall – von einer Gefährdung des Untersuchungserfolges i.S.d. § 81 a Abs. 2 StPO bei Taten unter Drogen- oder Alkoholeinfluss von vorneherein ausgegangen werden kann.

So kann zum einen die Gefährdung des Untersuchungserfolges nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen (BVerfGE 103, 142/156; NJW 2007, 1444; BGHSt 51, 285/293). Zum anderen kann bei Taten im Zusammenhang mit Alkohol und Drogen die typischerweise bestehende abstrakte – und damit gerade nicht einzelfallbezogene – Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis der Tatbegehung erschwert oder gar verhindert wird, für sich allein noch nicht für die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges ausreichen (OLG Köln ZfS 2009, 48/49; OLG Hamm NJW 2009, 242/243; OLG Thüringen, Beschluss vom 25.11.2008 – 1 Ss 230/08 bei JURIS; OLG Hamburg NJW 2008, 2597/2598). Andernfalls würden die konkreten Umstände des Einzelfalls, etwa im Hinblick auf die jeweilige Tages- oder Nachtzeit, die jeweiligen Besonderheiten am Ort der Kontrolle, die Entfernung zur Dienststelle bzw. zum Krankenhaus mit Erreichbarkeit eines Arztes oder den Grad der Alkoholisierung und seine Nähe zu rechtlich relevanten Grenzwerten, völlig außer Betracht gelassen.

Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges muss vielmehr auf Tatsachen gestützt werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist. Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (BVerfG NJW 2008, 3053/3054; NJW 2007, 1345/1346; BVerfGE 103, 142/156; OLG Hamburg, NJW 2008, 2597/2598; OLG Hamm NJW 2009, 242/243; OLG Thüringen, Beschluss vom 25.11.2008 – 1 Ss 230/08).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs gemäß § 81 a Abs. 2 StPO, die eine Anordnung der Blutentnahme durch den ermittelnden Polizeibeamten gerechtfertigt hätte, ist weder belegt noch ansatzweise ersichtlich. Der Polizeibeamte hat vielmehr nicht einmal den Versuch unternommen, einen Richter oder jedenfalls einen Staatsanwalt zu erreichen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs war auch in keiner Weise evident.

In der Zeit zwischen dem Verdacht auf eine Fahrt unter dem Einfluss berauschender Mittel und dem Zeitraum, der allein durch die Benachrichtigung eines Arztes zur Entnahme der Blutprobe und dessen Ankunft vergeht, besteht regelmäßig hinreichende Gelegenheit, jedenfalls fernmündlich eine richterliche Anordnung einzuholen (OLG Celle a. a. O.).

Dies war auch hier der Fall. In der Rechtsbeschwerdebegründung wird mitgeteilt, dass die Polizeikontrolle um 15.40 Uhr erfolgte und die Blutprobe 45 Minuten später, um 16.25 Uhr, durchgeführt wurde. In diesem Zeitraum hätte ohne Weiteres eine richterliche Anordnung eingeholt werden können, zumal sich der Vorfall an einem Werktag nachmittags während der üblichen Geschäftszeiten ereignete.

Eine richterliche Anordnung gemäß § 81 a Abs. 2 StPO bedarf nicht zwingend der Vorlage schriftlicher Akten, deren Herstellung in vielen Fällen eine Verzögerung der Untersuchung nach sich ziehen könnte (BGHSt 51, 285, 295; OLG Bamberg, NJW 2009, 2146; OLG Celle a. a. O.). Anhaltspunkte dafür, dass die richterliche Anordnung ohne Aktenvorlage von vornherein verweigert worden wäre, sind weder dokumentiert noch sonst ersichtlich.

Eine fernmündliche richterliche Anordnung war auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Es handelte sich um einen überschaubaren und einfachen Sachverhalt, die Fahrereigenschaft des Betroffenen stand außer Frage, und es gab aufgrund seiner geröteten Bindehäute und des Ergebnisses des Drogenschnelltests konkrete Anhaltspunkte für eine Drogenbeeinflussung, die den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 2 StVG begründeten.

Dieser Verstoß gegen § 81 a Abs. 2 StPO führt vorliegend auch zu einem Verwertungsverbot und damit zur Unverwertbarkeit der Ergebnisse der Blutuntersuchung.

Zwar zieht nicht jeder Verstoß bei der Beweisgewinnung ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist diese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes und der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Ein Verwertungsverbot bedeutet eine Ausnahme, die nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten gewichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Von einem Beweisverwertungsverbot ist deshalb nur dann auszugehen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird und folglich jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots unerträglich wäre. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor bei bewusster und zielgerichteter Umgehung des Richtervorbehalts sowie bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines gleichwertigen, besonders schwerwiegenden Fehlers (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 2009 – 2 BVR 2225/08 zitiert nach juris; BGH NJW 2007, 2269 ff.; OLG Dresden NJW 2009, 2149 ff.; OLG Bamberg NJW 2009, 2146 ff.; OLG Celle a. a. O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht hier ein Beweisverwertungsverbot. Die Blutprobe ist nicht von einem Richter, sondern von dem ermittelnden Polizeibeamten angeordnet worden. Obwohl der Richtervorbehalt dem Polizeibeamten bekannt und „präsent“ war, erhielt er die eigene Eilkompetenz für gegeben, weil zur Tatzeit – im Sommer 2008 – in Fallkonstellationen wie der vorliegenden regelmäßig auch von ihm so wie hier vorgegangen wurde.

Anhaltspunkte dafür, dass der Polizeibeamte einer irrtümlichen Fehleinschätzung oder Fehlinterpretation des Begriffs „Gefahr im Verzug“ unterlag, so dass er von einer konkreten Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Einholung einer richterlichen Anordnung oder einer fehlenden Erreichbarkeit eines Richters am Nachmittag eines Werktags ausgegangen wäre, liegen nicht vor.

In der Anordnung des Polizeibeamten liegt ein grober Verstoß gegen den Richtervorbehalt gemäß § 81 a Abs. 2 StPO. Er hielt sich generell für anordnungsbefugt und stellte keine Überlegungen dazu an, ob die Anordnung der Blutentnahme im konkreten Fall einem Richter vorbehalten war, welche Umstände im konkreten Einzelfall die von ihm pauschal unterstellte Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründeten und wodurch seine Anordnungskompetenz ausnahmsweise eröffnet war. Vielmehr berief er sich auf die ständige polizeiliche Übung zur Tatzeit. Dies reichte hier – im Jahre 2008 – nicht aus. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Richtervorbehalt ist nicht neu. Vielmehr ist die Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht dem Richtervorbehalt beimisst, mindestens mit der Entscheidung vom 20. Februar 2001 (NJW 2001, 1121) deutlich (OLG Hamm StrFo2009, 417, 420) und seitdem in einer Fülle weiterer höchst- und obergerichtlicher Entscheidungen immer weiter vertieft worden. Dass der Polizeibeamte dieser Entwicklung gegenüber seinen Blick verstellte und alter Übung folgend in solchen Fällen wie diesem regelmäßig Gefahr im Verzug annahm, lässt die Anordnung als willkürliche Missachtung des Richtervorbehalts gemäß § 81 a Abs. 2 StPO erscheinen. Die pauschale Annahme, bei Verdacht von Fahrten unter Rauschmitteleinfluss stets zur Anordnung einer Blutprobe berechtigt zu sein, begründet die Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung des Richtervorbehalts (vgl. OLG Celle a. a. O.). (…)

OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 26.10.2009 – 1 Ss OWi 92/09 (129/09)

Es sind nun 4 Oberlandesgerichte, die ein Beweisverwertungsverbot annehmen. Warum bislang noch keine Vorlage an den Bundesgerichtshof nach §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. 121 Abs. 2 GVG erfolgte, um in dieser spannenden Frage mal eine klarstellende Entscheidung zu erhalten, ist allerdings unklar. Das Feld wird dem Gesetzgeber überlassen, der mit einer Änderung des § 81a StPO dem Richtervorbehalt bei Blutentnahmen mit einem Federstrich den Boden entziehen könnte. Stimmen, die sich dafür aussprechen gibt es genug.

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