Unser Mandant war in einem Strafverfahren vor dem Landgericht Berlin angeklagt. An einem der Verhandlungstage wurde er mit Fußfesselung versehen gegen 14.40 Uhr aus dem separaten Treppenaufgang in den Saal geführt. Die Glastür zur Anklagebank war noch nicht geöffnet. Unser Mandant wurde, nachdem er sich im Saal vorwärts bewegt hatte, von einem bzw. mehreren Justizwachtmeistern zu Boden gebracht, der linke Arm soll ihm auf den Rücken gedreht und ihm Handfesseln angelegt worden sein. Da einer der Justizmachtmeister Schaden davontrug, verlangte das Land Berlin Schadenersatz.
Unser Mandant hingegen behauptete, die Tür zum Gerichtsflur sei noch verschlossen gewesen, er sei lediglich einige Schritte in den Saal hinein in Richtung seines Verteidigers gegangen, woraufhin sich eine Traube von Wachtmeistern auf ihn gestürzt habe. Auch seine Hände seien zu diesem Zeitpunkt noch gefesselt gewesen, weshalb er weder mit den Armen habe fuchteln noch sich habe wehren können. Angesichts der Vorgeschichte einer spektakulären Flucht aus dem Moabiter Gerichtsgebäude bereits im September 2006 und der für unseren Mandanten geltenden besonderen Sicherungsauflagen, war das noch nicht mal abwegig.
Der Justizwachtmeister war 2 Wochen dienstunfähig erkrankt, für diese Zeit zahlte das Land Bezüge in Höhe von knapp 1.300 €, die unser Mandant neben den Behandlungskosten erstatten sollte. Für die Reparatur des Mobiltelefons fielen weitere 110 € an, die das Land dem Justizwachtmeister erstattete und sich abtreten ließ.
Das AG Wedding verlangte im frühen ersten Termin vom klagenden Land erheblich mehr an Sachvortrag zum Vorfall, insbesondere zur Örtlichkeit und zum genauen Ablauf. Der Versuch die Anforderungen der Richterin zu erfüllen scheiterte, die Klage wurde abgewiesen.
Aus den Gründen:
Die Klage ist unbegründet Dem Kläger steht kein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 1.498,74 € aus § 823 Abs. 1 BGB, 52 LBG, 32 BeamtVG zu. (…) Es fehlt (…) bereits an einer hierfür kausalen vorsätzlich rechtswidrigen Handlung des Beklagten. Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger hat auch nach Bestreiten des Beklagten und gerichtlichem Hinweis in der mündlichen Verhandlung (…) nicht hinreichend dargetan, dass ein Fluchtversuch des Beklagten vorlag, der mit den eingesetzten Mitteln zu verhindern war.
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger allein darauf, der Beklagte sei zügig auf den 10-12 m entfernt am offenen Saaleingang stehenden Wachtmeister (…) zugerannt gekommen. Hierzu hätte es nach dem abweichenden Vortrag des Beklagten, er habe lediglich ein paar Schritte in Richtung seines Verteidigers gemacht, näherer Darlegung zu den Örtlichkeiten, etwa durch Einreichung einer Skizze bedurft Ohne eine solche oder substantiierter Angaben, wo der separate Treppeneingang ist, durch den der Beklagten hereingeführt wurde, wo sich die Anklagebank befindet, der Verteidiger stand und welche Entfernung zur Saaltür vorlag, wo der Beklagte zu Boden kam, dh. ob Herr (…) zuwartete, bis der Beklagte zu ihm an der Saaltür aufschloss oder er sich zum Beklagten hinbewegte, kann der Schluss auf eine rechtswidrige Handlung in Gestalt eines Fluchtversuchs nicht gezogen zu werden.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass beim Beklagten unstreitig eine Fußfesselung vorlag, die ihn in seiner Bewegungsfreiheit nicht unerheblich einschränkte Insofern sind erhöhte Anforderungen an die zu beurteilenden Örtlichkeiten bzw. Gegebenheiten und zurückgelegten bzw. verbleibenden Entfernungen zu stellen, um das Vorliegen eines Fluchtversuchs zu bejahen Maßgebend sind dabei allein objektive Kriterien, nicht aber die Einschätzung der handelnden Wachtmeister. Denn der Zuruf einer Kollegin mit “Halt “, ein etwaiges Bewusstsein, dass hinter ihm nur noch die offene Saaltür sei, oder ein für ihn offensichtlicher Fluchtversuch begründet die Annahme der Rechtswidrigkeit einer Handlung iSd § 823 Abs 1 BGB nicht.
Letztendlich entfallt auch die Kausalität der behaupteten Handlung für die reklamierten Schaden Es ist nicht erkennbar, weshalb der Fluchtversuch bei dem in seiner Fortbewegungsfreiheit und Standsicherheit nicht unerheblich beeinträchtigten Beklagten nicht allein durch mildere Mittel in Gestalt von hinten erfolgenden Festhaltens an der Bekleidung oder aber der Arme hatte vereitelt werden konnten. (…)
AG Wedding, Urteil vom 13.10.2009, Az: 12a C 74/09 (Volltext PDF)
Nachtrag: Heute ging die Berufungsschrift ein. Mal sehen, was das Landgericht dazu meint.
Nachtrag 2: Auf die Berufung wurde das Urteil abgeändert, der Klage wurde stattgegeben. LG Berlin, Urteil vom 07.05.2010, Az: 56 S 114/09 (PDF)