Nach einem Verkehrsunfall machte der Unfallgeschädigte seine Schadenersatzansprüche bei der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung geltend. Dort teilte man mit, dass man die Unfallakte angefordert habe und bat um Geduld. Hierauf reagierte der Unfallgeschädigte nicht, sondern erhob Klage. Die Versicherung des Unfallgegners erkannte den Klageanspruch sofort an und zahlte. Das Landgericht Stralsund erlegte trotzdem die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auf, da die beklagte Versicherung keine Veranlassung zur Klage gegeben habe. Die sofortige Beschwerde des Unfallgeschädigten gegen die im Anerkenntnisurteil getroffene Kostenentscheidung wurde vom Oberlandesgericht Rostock zurückgewiesen. Der Unfallgeschädigte hätte sich in mehr Geduld üben müssen.
Im Schadensersatzrecht gilt allgemein, dass der Beklagte keinen Klageanlass gegeben hat, wenn ihm der Geschädigte nicht eine ausreichende Zeit zur Überprüfung der Forderung gegeben hat (Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 93 Rn. 53). Im Haftpflichtprozess, insbesondere in Verkehrsunfallsachen, sind dabei andere Maßstäbe zu beachten als ansonsten; dies beruht auf den besonderen Verhältnissen beim Haftpflichtversicherer. Bei ihm kommen zahlreiche Schadensfälle zusammen. Er ist über den einzelnen Unfall aus eigenem Wissen nicht informiert, sondern muss sich in erster Linie darauf verlassen, was sein Versicherungsnehmer ihm an Informationen an die Hand gibt. Hinzu kommt, dass die Schadensfälle bei einer Versicherung über einen größeren Büroapparat abgewickelt werden müssen, was ebenfalls gewisse Mindestverzögerungen zur Folge hat (LG Aachen, ZfS 1983, 303). Schließlich liegt eine angemessene Ermittlungsfrist im Interesse der Gesamtheit aller pflichtversicherten Kfz-Halter, die über ihre Prämienleistungen die Unfallschäden im Ergebnis zu tragen haben (OLG Köln, VersR 1974, 268).
Aus diesen Gründen muss von einem durch Verkehrsunfall Geschädigten mehr Geduld vor Erhebung einer Klage gegen den Versicherer erwartet werden, als im Falle einer Inanspruchnahme des unmittelbaren Schädigers (LG Aachen, ZfS 1983, 303). Wie die Prüfungsfrist zu bemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und richtet sich nach der Kompliziertheit des die Schadensersatzpflicht auslösenden Ereignisses und nach der Zusammensetzung und dem Umfang der geltend gemachten Ansprüche (OLG Frankfurt, OLG Report 1996, 77). Bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen ist der Haftpflichtversicherung ein Prüfungszeitraum von etwa 4 bis 6 Wochen zuzugestehen (Becker/Böhme, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, 21. Aufl., H 5; 3 bis 4 Wochen: LG Aachen, a.a.O.; LG Bielefeld, ZFS 1988, 282; LG München, VersR 1973, 871).
(…) Die Prüfungsfrist wird nicht durch das Unfallereignis, sondern erst durch den Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens in Lauf gesetzt (LG Aachen, a.a.O.; LG Düsseldorf; VersR 1981, 582 [583]). (…) Die angemessene Prüfungsfrist hat die Beklagte zu 3. auch dann nicht versäumt, wenn ihr die Zahlungsaufforderung zeitnah zum Unfall (…) zugegangen wäre. Indem der Kläger deren Schreiben (…) unbeantwortet gelassen hat, verlängerte sich die in diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufene Prüfungsfrist in einem Umfang, der die Klageerhebung verfrüht erscheinen lässt.
In dem genannten Schreiben hat die Beklagte zu 3. mitgeteilt, dass sie noch auf den Strafaktenauszug warte und auf die Sache zurückkommen werde. Ob der Haftpflichtversicherung gegenüber dem Geschädigten – wie auch im Verhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und seiner Versicherung (Hartmann, a.a.O., Rn. 54 ff.) – generell das Recht zusteht, die Entscheidung ihrer Eintrittspflicht von einer vorherigen Einsicht in die Ermittlungsakten abhängig zu machen, ist umstritten (dafür: Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 11 Rn. 3 mit Nachweisen; so auch: OLG Hamm, Schaden-Praxis 1997, 144 und VersR 1988, 1038 [1039]; dagegen: OLG Saarbrücken, NZV 1991, 312 [313]; AG Münsingen, VersR 1997, 893).
Der Senat muss diese Frage nicht beantworten. Die Beklagte zu 3. jedenfalls war zu einem solchen Vorgehen berechtigt. Sie durfte den ausbleibenden Widerspruch des Klägers auf das Schreiben (…) so verstehen, dass dieser mit einer Herbeiziehung der Ermittlungsakte und einer hierdurch verzögerten Schadensregulierung einverstanden sei. Zwar ist bei der Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses Zurückhaltung geboten. Da das dem Kläger schriftlich mitgeteilte Vorgehen nach verbreiteter Ansicht grundsätzlich mitgeteilte Vorgehen nach verbreiteter Ansicht grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, durfte die Beklagte zu 3. bei einem entgegenstehenden Willen des Klägers jedoch einen ausdrücklichen Widerspruch erwarten. Dies gilt umso mehr, als ihr zuvor durch den Kläger offensichtlich keine Frist zur Zahlung oder zur Erklärung der Einstandspflicht gesetzt worden war. Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte zu 3. annehmen, der Kläger werde bis zu der von ihr veranlassten Akteneinsicht die Geduld aufbringen, um die sie ihn (…) gebeten hat.
Die (…) stillschweigend verlängerte Prüfungsfrist war bei Anfertigung der Klageschrift noch nicht abgelaufen. Gewährt der Geschädigte mit Rücksicht auf eine Akteneinsichtnamebegehren des Haftpflichtversicherers eine weitere angemessene Prüfungsfrist, ohne deren Ablauf kalendermäßig zu bestimmen, kann die Versicherung jedenfalls dann noch bis zu einem Monat mit der Schadensregulierung zuwarten, wenn nicht der Geschädigte zwischenzeitlich ausdrücklich nach dem Sachstand anfragt und hierbei zu erkennen gibt, dass er eine weitere Verzögerung nicht hinnehmen werde (vgl. OLG Frankfurt, OLG Report 1996, 77; LG Bonn, VersR 1978, 356). Der Kläger ließ die Klageschrift (…) während dieser Monatsfrist fertigen, ohne noch einmal an die Beklagte zu 3. herangetreten zu sein.
Der Umstand, dass die Beklagte zu 3. erst (…) etwa einen Monat nach ihrem (…) erklärten Anerkenntnis – Zahlung leistete, rechtfertigt nicht die Feststellung, der Kläger habe Veranlassung zur Klage gehabt. Zwar ist anerkannt, dass zu dieser Beurteilung auch das Verhalten des Beklagten nach Klageerhebung herangezogen werden kann. Ein Klageanlass ergibt sich jedoch nicht schon daraus, dass die anerkannte Forderung nicht binnen kurzer Frist auch erfüllt wird. Bestand bei Erhebung der Klage zu ihr kein Anlass, kann ein solcher nicht später rückwirkend eintreten. Die gegenteilige Ansicht (Herget, in: Zöller, ZPO, 22. Aufl., § 93 Rn. 3) vollzieht eine Verknüpfung von Anerkenntnis und Erfüllung, die im Gesetz keine Stütze findet (BGH, NJW 1979, 2040 [2041]). (…)
OLG Rostock, Beschluss vom 09.01.2001, Az.: 1 W 338/98
Vorinstanz: LG Stralsund, Anerkenntnisurteil vom 07.12.1998, Az: 4 O 234/98
Praxisrelevanz:
Verständlich ist, dass ein Unfallgeschädigter zeitnah seinen Schaden ersetzt haben möchte. Der Kfz-haftpflichtversicherung ist allerdings ein Zeitraum zur Prüfung der Berechtigung dieser Ansprüche einzuräumen. Wie lange diese zu bemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Bei klarer Sachlage dürfte der Prüfungszeitraum eher kürzer zu bemessen sein, als bei einer höchst strittigen Haftungsverteilung. In aller Regel sind vier bis sechs Wochen als angemessen anzusehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.05.2005 – 1 W 22/05; AG Landstuhl, ZfS 2003, 145; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2007 – I-1 W 23/07); unter den heutigen technischen Bedingungen könne der Zeitraum eher noch zu verkürzen sein auf durchschnittlich 3 Wochen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 27.02.2007 – 4 U 470/06). Übrigens, im umgekehrten Fall, dass zu spät geklagt wird, können auch Nachteile entstehen.