Die Anordnung der Blutentnahme und der Richtervorbehalt – eine Bestandsaufnahme der Rechtsprechung


(c) Katzensteiner / Pixelio

Katzensteiner/Pixelio

Die Anordnung einer Blutentnahme, durch die in Grundrechte eingegriffen wird, steht – wie das Gesetz ausdrücklich und unmissverständlich festlegt – unter dem Vorbehalt, dass ein Richter diese Maßnahme anordnet. Nur wenn ausnahmsweise der Untersuchungszweck durch die Verzögerung, die durch den Antrag auf richterliche Anordnung entsteht, gefährdet wird, steht der Staatsanwaltschaft und nachrangig der Polizei die Anordnungskompetenz zu. Nachdem sich eine Rechtspraxis und Rechtsprechung entwickelt hatte, welche die vom Gesetzgeber gewollten Ausnahme aus praktischen Gründen zur Regel umkehrte, sah sich das BVerfG veranlasst, dieser althergebrachten Vorgehensweise eine klare Absage zu erteilen. Das BVerfG betonte den gesetzlichen Richtervorbehalt und legte den Begriff der Gefahr im Verzug eng aus.

Die Rechtspraxis hat aber nach der Entscheidung des BVerfG keine gravierende Änderung erfahren. Die daraufhin ergangene Rechtsprechung erkennt zwar überwiegend den Richtervorbehalt als Regelfall an, legt dann aber den Begriff der Gefahr im Verzug entsprechend weiter aus, um eine Anordnungskompetenz der Polizei annehmen zu können. Selbst wenn aber die direkte Anordnung durch die Polizei als rechtswidrig angesehen und daraus folgend ein Beweiserhebungsverbot angenommen wird, konnten sich bislang nur wenige Gerichte auch zu einem daraus folgenden Beweisverwertungsverbot durchringen.

LG Hamburg – Richtervorbehalt? Nicht in unserer StPO!

Das LG Hamburg (Beschluss vom 12.11.2007, Az: 603 Qs 470/07, NZV 2008, 213) hatte über die Beschwerde eines Beschuldigten gegen die vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis zu entscheiden und zog aus dem Umstand, dass der Entscheidung des BVerfG die Anordnung einer Blutentnahme durch die Polizei wegen des Verdachts des Cannabiskonsums zu Grunde lag, den kühnen Rückschluss, dass die dort aufgestellten Grundsätze auf Alkoholfälle nicht übertragen werden können; eine richterliche Anordnung sei daher entbehrlich. Das Gericht berief sich auf die Schwierigkeiten bei der Rückrechnung, obwohl diese bei Alkohol immerhin möglich ist.

Das Gericht führte hierzu aus, dass gerade bei geringen Alkoholisierungsgraden um 0,3 ‰ (die u.U. auch zu einer Strafbarkeit wegen § 316 StGB führen können), ein längeres Zuwarten mit der Blutentnahme sogar dazu führen kann, dass eine im Tatzeitpunkt gegebene Alkoholisierung gar nicht mehr nachweisbar wäre. Da die Dringlichkeit beim Verdacht der Trunkenheitsfahrt damit regelmäßig „evident“ sei, entfalle auch das Erfordernis einer Dokumentation der Gefahr im Verzug. Es würde in bloße Förmelei ausarten und zu überflüssiger Schreibarbeit führen, wenn man von der Polizei verlangen wollte, bei jedem begründeten Verdacht einer Trunkenheitsfahrt Feststellungen darüber zur Akte zu nehmen, dass und warum eine richterliche Entscheidung nicht zu erlangen war. Keinem Richter könne es zudem zugemutet werden, ohne Aktenkenntnis, ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage, nur aufgrund telefonischer Anhörung der Beteiligten eine Entscheidung zu fällen. Zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes musste das Gericht, da schon das Beweiserhebungsverbot nicht angenommen wurde, konsequenterweise keine Aussage treffen.

Gerade aus dieser Entscheidung spricht die völlige Ignoranz des gesetzlichen Richtervorbehaltes. Getreu dem Motto „das haben wir schon immer so gemacht“, wird die bisherige – rechtswidrige – Verfahrensweise vom Gericht gebilligt. Der Entscheidung ist vor allem entgegenzuhalten, dass es im Strafprozessrecht eben nicht um die Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ geht. Es ist hinzunehmen, dass die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensnormen dazu führen kann, dass unter Umständen sogar eine Bestrafung zu unterbleiben hat. Die Negierung des Richtervorbehaltes, der sich – so das Gericht wörtlich – aus § 81a Abs.2 StPO nicht ergebe, die Ausdehnung des Begriffs der Gefahr im Verzug, deren Dokumentation auch nur bloße „Förmelei“ sei, zeugt von einem seltsamen (Un-)Verständnis rechtsstaatlicher Prinzipien im Allgemeinen und der StPO im Speziellen.

Selbstverständlich ist auch die telefonische Anordnung durch den Ermittlungsrichter möglich und zulässig. (zur Durchsuchung (sic) siehe BGH, Urteil vom 18. April 2007, Az: 5 StR 546/06 – BGHSt 51, 285; NJW 2007, 2269; NStZ 2007, 601; StV 2007, 337 ; Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 105 Rdnr. 3). Beruht die übermittelte Einschätzung der konkreten Situation, wie sie sich den vor Ort tätigen Polizeibeamten darstellt, auf einschlägigen Tatsachen und ist sie nahe liegend oder jedenfalls plausibel, so darf der Richter sie bei seiner Entscheidung als zutreffend zu Grunde legen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die getroffene Einschätzung mit der eines sachkundigen und pflichtgemäß handelnden Polizeibeamten nicht in Einklang zu bringen ist. Im Allgemeinen müssen sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Ermittlungsrichter und die Gerichtsorganisation im Rahmen des Möglichen sicherstellen, dass auch in der Masse der Alltagsfälle die in der Verfassung vorgesehene „Verteilung der Gewichte“, nämlich die Regelzuständigkeit des Richters, gewahrt bleibt. (grundlegend BVerfG, Urteil vom 20. 2. 2001 – 2 BvR 1444/00).

OLG Stuttgart – Cannabis, Amphetamine und Koks? Drei Dinge auf einmal, das geht nun wirklich nicht!

Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 26.11.2007, Az: 1 Ss 532/07) entschied im Rahmen einer Rechtsbeschwerde, dass die formellen Voraussetzungen der Anordnung einer Blutentnahme wegen Verdacht einer Drogenbeeinflussung (die Vortests reagierten positiv auf Cannabis, Amphetamine und Kokain) zwar nicht vorlagen, der Polizeibeamte hätte auch in seiner Eigenschaft als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft die Anordnung nicht erteilen dürfen, da eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung nach den Feststellungen nicht vorlag. Er hätte – im Idealfall binnen einer viertel Stunde – die richterliche Anordnung telefonisch herbeiführen können.

Das daraus resultierende Beweiserhebungsverbot habe ein Beweisverwertungsverbot aber nicht zur Folge. Ein Sonderfall einer schwerwiegenden Rechtsverletzung, die auf grober Verkennung der Rechtslage beruht, lag nach Abwägung nicht vor. Auch wenn es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr handelte, standen dem relativ geringfügigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit durch die von einem Arzt vorgenommene Blutentnahme schwerwiegende staatliche Interessen an der Ahndung einer Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG gegenüber, weil der Rechtsverstoß die Verkehrssicherheit, insbesondere auch Leib und Leben Dritter, erheblich gefährden konnte. Letzterer Gesichtspunkt überwog daher. Der Polizeibeamte war der Auffassung, der rasche Abbau insbesondere von Kokain im Körper dulde keine Verzögerung der Blutentnahme. Danach irrte er über die Voraussetzungen seiner Anordnungskompetenz; sein Handeln war aber nicht darauf ausgerichtet, eine Beweiserhebung objektiv entgegen dem Gesetz oder subjektiv unter Ausschaltung des Bereitschaftsrichters anzuordnen. Ein solcher irrtümlicher Verstoß gegen die gesetzliche Zuständigkeitsregelung führt – jedenfalls, wenn ein hypothetischer Ersatzeingriff rechtmäßig wäre – nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.

OLG Hamburg – Je weniger besoffen, desto mehr Gefahr im Verzug

Das OLG Hamburg (Beschluss vom 04.02.2008, AZ: 2 – 81/07, NZV 2008, 362; Besprechung und Volltext unter strafrecht-online.de) wies die Revision eines Beschuldigen gegen seine Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt zurück und argumentierte, dass entsprechend der Vorgaben des BVerfG, obwohl bei zeitlichen Verzögerungen durch Abbau von Alkohol der Nachweis erschwert oder gar verhindert werden könne, eine richterliche Anordnung vor der Blutentnahme einzuholen ist.

Wenn es aber auf eine genaue Analyse der Blutwerte ankomme, dürfe Gefahr im Verzug angenommen und die Blutentnahme durch die Polizei selbst angeordnet werden. In der Ermittlungsakte sind dann aber genau die einzelfallbezogenen Tatsachen zu dokumentieren, die eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründen. Die beim Nachweis von Alkohol und Drogen typischerweise bestehende Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis erschwert oder gar verhindert wird, reiche hierzu nicht aus. Gerade bei höheren Alkoholisierungsgraden, die etwa durch körperliche Ausfallerscheinungen oder mittels Atemalkoholwert ersichtlich sind, ist der mögliche Abbau in aller Regel so gering, dass kurzfristige Verzögerungen, bedingt durch die Einschaltung des Gerichts, mittels Rückrechnung ohne weiteres ausgeglichen werden können. Je unklarer oder komplexer der Sachverhalt, so bei relativer Fahruntauglichkeit oder Nachtrunkbehauptung, desto genauer muss deswegen die Analyse der Blutwerte sein. In diesen Fällen dürfe der vor Ort tätige Beamte Gefahr im Verzug annehmen und nötigenfalls ohne richterliche Entscheidung handeln.

Diese Entscheidung stellt bei der Frage, ob von einer Gefährdung des Untersuchungserfolges auszugehen ist ebenfalls darauf ab, welcher Grad der Alkoholisierung vorliegt. Je geringer dieser ist, desto eher dürfe Gefahr im Verzug angenommen und der Richtervorbehalt umgangen werden. Es wird aber in jedem Fall eine entsprechende Dokumentation verlangt. In dem speziellen Fall hatte der die Blutentnahme anordnende Polizist in der Akte zwar rein gar nichts dokumentiert, da aber die Verteidigung in der Revisionsbegründung hierzu nach Ansicht des OLG Hamburg nicht ausreichend vorgetragen hatte, kam es darauf nicht an. Darüber hinaus hatte die Verteidigung in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung der Verwertung der Blutuntersuchung nicht widersprochen, so dass das OLG Hamburg auch die Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen wäre, zwar für fern liegend halten, die Beantwortung dieser Frage jedoch offen lassen konnte.

LG Itzehoe – Gefahr im Verzug bei unklarer Medikamentenbeeinflussung

Das LG Itzehoe (Beschluss vom 03.04.2008, Az: 2 Qs 60/08, NStZ-RR 2008, 249 – Volltext unter strafrecht-online.de) kam bei seiner Entscheidung über eine Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis zu dem Ergebnis, dass auch bei fehlender Dokumentation der Dringlichkeit, von der Berechtigung des Polizeibeamten zur Anordnung einer Blutentnahme auszugehen war, da eine mögliche Medikamentenbeeinflussung bei schweren Ausfallerscheinungen und eine für den Beamten schwer einzuschätzende Abbaugeschwindigkeit vorlag. Bei Verdacht auf eine Alkoholbeeinflussung mag das nach Ansicht des Gerichts anders sein, da eine Rückrechnung möglich ist.

Auch nach dieser Entscheidung ist der Richtervorbehalt unbeachtlich, wenn von einer Gefährdung des Untersuchungserfolges auszugehen ist. Eine entsprechende Dokumentation sei entbehrlich, da die Dringlichkeit aus Sicht des anordnenden Polizeibeamten offensichtlich war. In der Tat ist dieser kein Arzt und konnte nicht wissen, wie schnell sich das möglicherweise eingenommene Medikament im Blut abbaut, so dass nach Auffassung des Gerichts nicht von einer bewussten oder willkürlichen Verkennung des Richtervorbehalts auszugehen war und ein Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht kam.

LG Berlin – Berliner Richter sind immer erreichbar

Eine Entscheidung des LG Berlin (Beschluss vom 23.04.2008, Az: 528 Qs 42/08, BA 2008, 266 – Volltext unter strafrecht-online.de) fällt aus dem Rahmen. Das LG Berlin stellte klar, dass die Strafverfolgungsbehörde sich auch in der Masse der Alltagsfälle grundsätzlich um die Einholung einer richterlichen Entscheidung vor einer Blutentnahme zu bemühen habe und Gefahr im Verzug nur noch in Ausnahmefällen angenommen werden könne. Das Gericht nahm sogar ein Beweisverwertungsverbot an (!), entschied sich aber trotz eines Verstoßes gegen die Grundsätze rechtsstaatlicher Beweiserhebung dagegen, dem Beschuldigten seinen vorläufig entzogenen Führerschein wiederzugeben. Das aber mit einer wenigstens überzeugenden Begründung. Eine Blutprobe sei zum Nachweis der Fahruntüchtigkeit zwar nützlich, jedoch könne sich die richterliche Überzeugung von einer Trunkenheit oder einer Berauschtheit des Täters auch aus anderen Beweismitteln ergeben, die hier vorlagen, da der Beschuldigte sich an seinem Fahrzeug festhalten musste, um nicht umzufallen und zu kontrollierten Handlungen nach den Feststellungen der Polizei nicht mehr in der Lage war.

LG Berlin – bei Trunkenheitsfahrt kann regelmässig Gefahr im Verzug angenommen werden

Dagegen entschied das LG Berlin am 24.10.2008, Az: 501 QS 166/08, dass bei Verdacht einer Trunkenheitsfahrt regelmässig Gefahr im Verzug vorliege, so dass die Anordnung durch die Polizei erfolgen kann, um eine Verschlechterung der Beweislage zu verhindern. Eine mangelnde Dokumentation habe kein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt habe in der Abwägung auch deshalb kein grosses Gewicht, weil es dem Polizisten nicht schlechthin verboten war, die Anordnung zu treffen.

LG Heidelberg – Verwaltungsvorschrift steht über dem Gesetz

Das LG Heidelberg (Beschluss vom 11.08.2008, Az: 2 Qs 39/08, BA 2008, 321 – Volltext unter jurathek.de) hatte in seiner Entscheidung über die Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis die Entscheidung des BVerfG vollständig negiert, was in der Feststellung gipfelt, dass der Richtervorbehalt in § 81 a Abs. 2 StPO in erster Linie dem Schutz vor schwer wiegenden, mit Gesundheitsnachteilen verbundenen Eingriffen diene, die bei der Entnahme einer Blutprobe grundsätzlich nicht zu erwarten seien. Man fragt sich, warum der Richtervorbehalt dann überhaupt im Gesetz steht. Die materiellen Voraussetzungen für eine Blutentnahme hätten nach Auffassung der Heidelberger Richter fraglos vorgelegen, mithin handelte es sich allenfalls um einen „formalen“ Rechtsverstoß. Ein Beweisverwertungsverbot könne höchstens bei einer sich als objektive Willkür darstellenden bewussten Missachtung der Zuständigkeitsnorm angenommen werden, was aber nicht der Fall war. Der anordnende Polizeibeamte glaubte sich auf dem Boden einer Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums aus dem Jahr 2003 berechtigt, die Voraussetzungen für Gefahr in Verzug annehmen zu dürfen. Selbst bei der Annahme einer nicht rechtmäßigen Beweiserhebung ergäbe sich daraus kein Beweisverwertungsverbot.

OLG Hamm – Gefahr im Verzug – nicht immer, aber immer öfter

Das OLG Hamm (Beschluss vom 25.08.2008, Az: 3 Ss 318/08) wies ebenfalls eine Revision mangels ausreichenden Verteidigervortrages und fehlenden Widerspruchs gegen die Verwertung der Blutuntersuchung zurück und wies ergänzend zum Begriff der Gefährdung des Untersuchungserfolges darauf hin, dass eine evidente Dringlichkeit bei (Straßen-) Verkehrsdelikten, bei denen es auf die Überschreitung eines bestimmten BAK-Wertes ankommt, zwar nicht immer, aber häufig gegeben sein wird. Zwar lasse sich auch durch eine nicht ganz so zeitnahe Blutprobe durch Rückrechnung auf den Tatzeitpunkt noch ein BAK-Wert ermitteln, mit zunehmendem Zeitablauf erfolge die Berechnung aber immer mehr zu Gunsten des Beschuldigten. Das OLG Hamm meint also, dass die zu Gunsten des Beschuldigten wirkenden Rückrechnungsregeln, zu dessen Ungunsten als Begründung einer angeblich evidenten Dringlichkeit herhalten müssen. Die Frage eines Beweisverwertungsverbotes ließ das OLG Hamm offen.

LG Cottbus – Einer geht noch!

Das Landgericht Cottbus (Beschluss vom 25.08.2008, Az: 24 Qs 225/08, Volltext Justiz Berlin-Brandenburg) zeigte der Polizei die gelbe Karte und entschied, dass wegen der in der Vergangenheit mit Duldung der Staatsanwaltschaft geübten Praxis, Blutentnahmen ohne richterlich Anordnung durchzuführen, noch nicht von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen werden könne, bei künftigen Entscheidungen die Blutentnahme ohne richterliche Anordnung allerdings als willkürlich angesehen werde und somit zu einem Beweisverwertungsverbot führe.

AG Essen – Alles vernichten!

Am konsequentesten zeigte sich das Amtsgericht Essen (Beschluss vom 26.08.2008, Az: 44 Gs 1816/08). Das Bundesverfassungsgericht hat, so dass Gericht, seine Entscheidung für die Blutentnahme zum Nachweis des Drogenkonsums getroffen. Da jedoch bei einer Drogenintoxikation der Abbau der Wirkstoffe im Blut wesentlich schneller erfolgt als der Abbau der Blutalkoholkonzentration, müssen die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zum Richtervorbehalt und zur Gefahr im Verzug erst recht auch für die Blutentnahme zum Nachweis von Trunkenheitsdelikten gelten. Die sich aus der Einholung einer richterlichen Entscheidung ergebenden zeitlichen Verzögerungen sind in der Regel nur gering, eine richterliche Entscheidung sei regelmäßig innerhalb einer Viertelstunde einholbar. In den Fällen, in denen der Beschuldigte zur Blutentnahme noch auf die Polizeiwache verbracht oder ein Arzt erst herbeigeholt werden muss, können die Polizeibeamten in der Zwischenzeit eine richterliche Entscheidung sogar ohne zeitliche Verzögerungen einholen. Erst wenn der Richter trotz nachhaltigen und wiederholten Versuchs nicht erreicht werden kann, wäre die Anordnungskompetenz wegen Gefährdung des Untersuchungserfolges auf den Polizeibeamten übergegangen. Die angeordnete Blutentnahme sei danach als rechtswidrig einzustufen und die entnommene Blutprobe zu vernichten.

OLG Köln – Mangelndes Problembewusstsein bei der Polizei ist noch lange keine Willkür

Das OLG Köln (Beschluss vom 26.09.2008, Az: 83 Ss 69/08 / 1 Ws 32/08; Volltext unter iww.de) äußerte im Rahmen einer Revision gegen die Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt durch das AG Siegburg Bedenken, ob die Einholung einer richterlichen Anordnung wegen der Gefährdung des Untersuchungserfolges (als Voraussetzung für die Eilanordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – subsidiär – ihrer Hilfsbeamten) regelmäßig entbehrlich ist, weil wegen des Abbaus des Blutalkoholgehalts jede zeitliche Verzögerung bei der Blutentnahme zu größeren Ungenauigkeiten oder gar einer Unmöglichkeit der Rückrechnung führt, da diese Sichtweise mit der Rechtsprechung des BVerfG nicht in Einklang zu bringen ist.

Einzelfallbezogen sind Tageszeit und damit die Erreichbarkeit eines Richters sowie der Grad der Alkoholisierung von Bedeutung. Gerade bei höhergradiger Alkoholisierung, die durch alkoholtypische körperliche Ausfallerscheinungen oder durch den Atemalkoholgehaltwert ersichtlich sind, sollten kurzfristige Verzögerungen durch Rückrechnung problemlos ausgeglichen werden können. Anders mag es hingegen bei geringen Alkoholisierungsgraden sein, bei denen alkoholtypische Anzeichen fehlen, oder bei geringen Drogenwirkungen. Hier wird die Gefahr des vollständigen Abbaus der Wirkstoffe im Körper/Blut und somit die. Gefahr des Beweismittelverlustes nicht auszuschließen sein. In diesen Fällen werden die Strafverfolgungsbehörden Gefahr im Verzug annehmen können.

Aber selbst wenn von einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt und mithin von einem Beweiserhebungverbot auszugehen wäre, würde dies kein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Untersuchungsergebnisses der erlangten Blutprobe begründen. Eine willkürliche Annahme seiner Anordnungskompetenz wegen Gefahr im Verzug kann einem Polizeibeamten nicht vorgehalten werden, da er sich jedenfalls auf eine (noch) verbreitete Rechtsmeinung stützen könne.

Im konkreten Fall hatte der anordnende Beamte sogar mit der Staatsanwaltschaft telefoniert, wobei aber allein die Frage einer Sicherheitsleistung, nicht aber diejenige der Blutentnahme erörtert worden ist. Dieses Verhalten lässt sich nach Auffassung des OLG Köln sowohl mit fehlendem Problembewusstsein als auch mit der – wenn auch irrigen – Rechtsmeinung erklären, in Fällen der vorliegenden Art seien die rechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Eilkompetenz stets erfüllt.

OLG Dresden – Auch Polizisten dürfen irren

Das OLG Dresden (Beschluss vom13.10.2008 3 Ss 490/08; Volltext unter iww.de) interessierte sich nicht dafür, ob die formellen Voraussetzungen einer Eilanordnung der Blutentnahme durch die Polizei vorgelegen hätten, da aus dem möglichen Beweiserhebungsverbot jedenfalls kein Beweisverwertungsverbot folgen würde. Fast schon trotzig führt das Gericht aus, dass eine Eilanordnung der Polizei nicht schlechthin verboten und ein richterlicher Anordnungsbeschluss im konkreten Fall höchstwahrscheinlich zu erlangen gewesen wäre. Dass die Polizeibeamtin von einer irrtümlichen Fehleinschätzung bzw. Fehlinterpretation des Begriffs „Gefahr in Verzug“ bzw. der Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung des Verfahrens ausgegangen ist, mache ihre Anordnung noch lange nicht willkürlich.

LG Kiel – Wer noch Zeit für Fotos hat, kann auch den Richter anrufen

Das Landgericht Kiel (Beschluss vom 15.10.2008 – 37 Qs (79/08) – Volltext unter verkehrslexikon.de) gab der Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung einer Fahrerlaubnis statt und merkte an, dass bezüglich des Ergebnisses der Blutentnahme ein Beweisverwertungsverbot bestehen könnte, da diese unter Umgehung des Richtervorbehaltes unmittelbar durch die Polizei selbst angeordnet worden ist. Eine Dokumentation der die Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründenden einzelfallbezogenen Tatsachen fehlte in den Ermittlungsakten, einen Ausnahmefall der Gefährdung des Untersuchungserfolges vermochte das Gericht nicht zu erkennen. Die Polizei ließ sich mit der Blutentnahme knapp zwei Stunden Zeit, führte zwischenzeitlich einen Drogenschnelltest durch, der positiv auf Kokain reagierte, setzte einen Drogenspürhund ein und fertigte in Anwesenheit des Beschuldigten ein Bildbericht von Unfallort. Wer also soviel Zeit und Muße aufbringe, hätte problemlos auch eine richterliche Anordnung einholen können.

OLG Brandenburg – Richter, Staatsanwalt, Polizist – ist doch egal wer anordnet

Auch das Brandenburgische Oberlandesgericht hat eine Entscheidung (Urteil vom 16.12.2008, Az: 2 Ss 69/08 – Volltext Justiz Berlin-Brandenburg) beigesteuert. Das Amtsgericht Eberswalde hatte ein Beweisverwertungsverbot angenommen und einen Beschuldigten vom Vorwurf der Trunkenheitsfahrt freigesprochen, die Staatsanwaltschaft legte mit Erfolg (Sprung-)Revision ein.

Die Strafverfolgungsbehörden müssen zwar nach Auffassung des OLG Brandenburg regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen. Wenn eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs drohe und damit bei enger Auslegung Gefahr im Verzuge angenommen wird, dürften sie selbst eine Blutprobenentnahme anordnen, müssten dies aber mit Tatsachen in der Akte begründet. Eine Rechtswidrigkeit der Eilanordnung, führt nach Auffassung des OLG Brandenburg aber nicht ohne weiteres zur Unverwertbarkeit des Beweismittels. Ein Beweisverwertungsverbot liegt nur dann vor, wenn Gefahr im Verzug – subjektiv oder objektiv – willkürlich angenommen wurde oder ein gleichgewichtiger, besonders schwerer Verfahrensfehler vorliegt. Der vom Amtsgericht vertretene Auffassung, dass gar nicht erst versucht worden war, einen Richter zu erreichen, führe bereits zu einem Beweisverwertungsverbot, folgte das OLG nicht, da bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Eilanordnung diese sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von deren Ermittlungspersonen getroffen werden kann.

Soweit in der Entscheidung des BVerfG von einer Nachrangigkeit der Ermittlungspersonen die Rede ist, soll damit lediglich zum Ausdruck gebracht worden sein, dass die Staatsanwaltschaft die Herrin des Ermittlungsverfahrens ist (§§ 158 f. StPO) und ihre Ermittlungspersonen verpflichtet sind, ihren Anordnungen Folge zu leisten (§ 152 Abs. 1 GVG). Ist die Staatsanwaltschaft am Verfahren aber noch gar nicht beteiligt – wie es für die Fälle des Aufgreifens von betrunkenen Kraftfahrern typisch ist – so kann und darf eine Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft die Anordnung einer Blutprobenentnahme in eigener Eilkompetenz treffen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. Eine Verpflichtung der Ermittlungspersonen, in jedem Falle vor Ausübung der Eilkompetenz bei der zuständigen Staatsanwaltschaft nachzufragen, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Grundsätzlich gilt der Richtervorbehalt, was auch das Gericht anerkennt. Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs besteht eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – so in der Entscheidung des BVerfG ausdrücklich betont – nachrangig ihrer Ermittlungspersonen. Ein eigenes Antragsrecht beim Ermittlungsrichter steht der Polizei nicht zu, so dass ohnehin zuvor die Staatsanwaltschaft informiert werden müsste und damit am Verfahren beteiligt ist. Erst wenn die Staatsanwaltschaft nicht erreicht werden kann, steht bei Gefahr im Verzug die Eilanordnungskompetenz auch der Polizei zu.

Kammergericht – Nach anderthalb Stunden wird es plötzlich eilig

Das Kammergericht (Beschluss vom 29.12.2008, Az: 2 Ss 300/08 – 3 Ws (B) 467/08; Volltext unter strafrecht-online.de) hatte über die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen zu entscheiden, der wegen Fahrens unter Wirkung von THC verurteilt worden war. Das KG nahm Gefahr im Verzug an, da für eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG eine Wirkstoffkonzentration festgestellt sein muss, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdeliktes als möglich erscheinen lässt, dass der Betroffene am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war. Dies sei erst bei einem Nachweis von mindestens 1 mg/ml Tetrahydrocannabinol (THC), der Fall. Es sei „anerkannt“, dass im Hinblick auf den schnellen Abbau von THC im Blut schnellstmöglich eine Blutentnahme zu veranlassen sei.

Die Besonderheit im entschiedenen Fall bestand darin, dass anderthalb Stunden mehrfach vergeblich versucht wurde, den zuständigen Richter vom Bereitschaftsdienst des AG Tiergarten telefonisch zu erreichen. Nach Einholung einer „zustimmenden Stellungnahme“ der Staatsanwaltschaft Berlin wurde dann unter Annahme von Gefahr im Verzuge von den Polizeibeamten die Durchführung der Blutentnahme angeordnet. Daher sei die Annahme von Gefahr im Verzuge nicht zu beanstanden. Selbst wenn man von einer rechtsfehlerhaften Annahme des Vorliegens von Gefahr im Verzuge ausgehen würde, sei zu berücksichtigen, dass die gewonnenen Untersuchungsergebnisse in der Regel nicht unverwertbar werden, wobei dies insbesondere bei fehlender Anordnungszuständigkeit, etwa bei unzutreffender Bejahung von Gefahr im Verzuge, gelte. Objektive Willkür oder eine grobe Fehlbeurteilung sei nicht ersichtlich gewesen, so dass ein Beweisverwertungsverbot nicht vorlag.

LG Schwerin – Keine Richteranordnung? Kein Beweis!

Das LG Schwerin (Beschluss vom 09.02.2009, Az: 33 Qs 9/09 – Volltext bei RA Melchior) nimmt bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt ein Beweisverwertungsverbot an. Gefahr im Verzug lasse sich grundsätzlich nicht allein damit begründen, eine richterliche Entscheidung sei Gewöhnlicherweise am späten Nachmittag oder frühen Abend nicht zu erlangen. Sowohl bei Tage, als auch außerhalb der Dienstzeiten müsse die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters uneingeschränkt gewährleistet sein. Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung bestehe auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs müsse mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident sei. Da nach Aktenlage ein Versuch, den Richter telefonisch zu erreichen, nicht unternommen wurde, war die Anordnung der Blutentnahme durch die Polizei rechtswidrig, es bestand insoweit ein Beweiserhebungsverbot, welches im vorliegenden Fall auch ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hatte, da die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruhte.

Durch Beschluss vom 07.05.2009, Az: 33 Qs 36/09 (Volltext bei RA Melchior) hat das LG Schwerin seine Rechtsauffassung nochmals bekräftigt.

Wer noch nicht genug hat…

kann weitere lesenswerte Informationen und Urteile z.B. im Aufsatz von Prof. Dr. Cornelius Prittwitz, Richtervorbehalt, Beweisverwertungsverbot und Widerspruchslösung bei Blutentnahmen gem. § 81 a Abs. 2 StPO, in StV 9/2008, S. 486 ff.,PDF unter strafverteidiger-stv.de nachlesen; interessant ist auch die Entscheidung des AG Essen (Beschluss vom 11.10.2007, Az: 44 Gs 4677/07) PDF unter rechtsanwaltskanzlei-plauen.de .

Resümee

Den Entscheidungen lässt sich eine Tendenz entnehmen. Der Richtervorbehalt wird zwar grundsätzlich anerkannt, eine Eilkompetenz der Polizei jedoch nahezu immer angenommen, da Gefahr im Verzug mit Hinblick auf den Abbau von Alkohol oder Drogen im Körper, jedenfalls Grenzwertbereichen vorliege. Der Regelfall wird damit schematisch zum „Einzelfall“ erklärt. Die vom BVerfG statuierte Dokumentationspflicht ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis, fehlt sie, wird die Dringlichkeit eben als evident dargestellt. Selbst wenn die Anordnung als rechtswidrig angesehen wird, sei dies nicht willkürlich, so dass ein Beweisverwertungsverbot nicht in Frage kommt.

Wie lange man der Polizei nach der Entscheidung des BVerfG aus 2007 schon ein „mangelndes Problembewusstsein“ zu Gute hält, erstaunt angesichts der Tatsache, dass es richterliche und staatsanwaltschaftliche Bereitschaftsdienste gibt und es ohne weiteres möglich wäre, den gesetzlichen Vorgaben genüge zu tun. Auch eine systematische und bewusste Aushöhlung des Richtervorbehalts kann zu einem Beweisverwertungsverbot führen, wie der BGH in seiner Entscheidung vom 18.04.2008 festhielt (5 StR 546/06; BGHSt 51, 285; NJW 2007, 2269, 2271). Mehr dazu im nächsten Teil.

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