BVerfG – Schluss mit dem Rollendenken, auch im Knast!


In der Justizvollzugsanstalt durften die in einem gesonderten Hafthaus untergebrachten weiblichen Gefangenen von ihrem Eigengeld monatlich für 30 Euro telefonieren und für 25 Euro Kosmetika einkaufen. Ein männlicher Strafgefangener wollte das auch und stellte einen Antrag. Dieser wurde abgelehnt. Seine Klage zum Landgericht blieb erfolglos, da zum einen im Hafthaus der Männer keine Telefonapparate zur Verfügung stehen und die notwendige Gesprächsüberwachung zudem personell nicht zu leisten sei. Hinsichtlich des Kosmetikeinkaufs liege eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht vor, da es sich aufgrund der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht um einen im Wesentlichen vergleichbaren Sachverhalt handele.

Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats hob den Beschluss des Landgerichts wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (Verbot der Benachteiligung oder Bevorzugung u.a. wegen des Geschlechts) auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück.

Zur Begründung heißt es in dem Beschluss unter anderem:

Die geltend gemachten Unterschiede in der Ausstattung der Hafthäuser mit Telefonapparaten sind der Prüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht von vornherein entzogen, zumal nichts dafür spricht, dass nicht eine Angleichung mit geringem Aufwand möglich wäre. Zwar kann für das Maß an Einschränkungen, das Gefangene hinzunehmen haben, auch die Ausstattung der jeweiligen Anstalt von Bedeutung sein. Angesichts des grundrechtlichen Verbots der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts kann es aber andererseits nicht im freien Belieben der Justizvollzugsanstalten oder ihrer Träger stehen, eine spezifische faktische Benachteiligung von Frauen und Männern im Haftvollzug dadurch herbeizuführen, dass deren Unterbringungseinrichtungen unterschiedlich ausgestattet und an diesen Unterschied der Ausstattung sodann Unterschiede der sonstigen Behandlung geknüpft werden. Soweit die ablehnende Entscheidung auf den Überwachungsbedarf gestützt war, hat das Landgericht versäumt, diese Begründung daraufhin zu befragen, ob sie auch und gerade im Hinblick auf die praktizierten Unterschiede in der Behandlung männlicher und weiblicher Gefangener tragfähig war. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass von unüberwachten Telefonaten aus dem Hafthaus der weiblichen Gefangenen geringere Gefahren für die Anstaltssicherheit ausgehen als von unüberwachten Telefonaten aus dem Hafthaus, in dem der Beschwerdeführer untergebracht ist, wären geeignet, die Ungleichbehandlung auch vor Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu rechtfertigen. Solche Anhaltspunkte wurden jedoch nicht geprüft.

Die unterschiedliche Behandlung hinsichtlich des Kosmetikeinkaufs hat das Landgericht zu Unrecht als mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar angesehen. An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur bei Männern oder nur bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind, oder eine Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht sie legitimiert. Geschlechtsbezogene Zuschreibungen, die allenfalls als statistische eine Berechtigung haben mögen (Geschlechterstereotype), und tradierte Rollenerwartungen können danach zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nicht dienen. Auch wenn das Interesse an Kosmetikprodukten in der Gruppe der Frauen verbreiteter oder häufiger stark ausgeprägt sein mag als in der Gruppe der Männer, handelt es sich nicht um ein von Natur aus nur bei Frauen auftretendes Interesse. Den Angehörigen eines Geschlechts kann die Befriedigung eines Interesses nicht mit der Begründung versagt werden, dass es sich um ein typischerweise beim anderen Geschlecht auftretendes Interesse handele. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt auch das Recht, unbenachteiligt anders zu sein als andere Mitglieder der Gruppen, denen man nach den in dieser Bestimmung genannten Merkmalen angehört.

BVerfG, Beschluss vom 7. November 2008, Az: 2 BvR 1870/07 (Volltext)

Quelle: Pressemitteilung Nr. 100/2008 vom 2. Dezember 2008

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