Ein Winterreifenmärchen?


Angesichts derzeitiger Witterungsverhältnisse stellt sich wieder einmal die Frage, ob es in Deutschland eine Winterreifenpflicht gibt oder nicht. Aus der Straßenverkehrsordnung ergibt sich eine solche Pflicht nicht ausdrücklich. Zwar ist die Ausrüstung eines Kraftfahrzeugs an die Wetterverhältnisse anzupassen, wozu insbesondere geeignete Reifen gehören. Was aber geeignete Reifen sind, lässt sich der Verordnung nicht entnehmen.

Mit der Vierzigsten Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (40. StVRÄndV) vom 22. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3761) wurde der § 2 Abs. 3a StVO geändert. Die Änderung trat bereits am 01.05.2006 in Kraft und lautet:

(3a) Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Bereifung und Frostschutzmittel in der Scheibenwaschanlage. Wer ein kennzeichnungspflichtiges Fahrzeug mit gefährlichen Gütern führt, muss bei einer Sichtweite unter 50 m, bei Schneeglätte oder Glatteis jede Gefährdung anderer ausschließen und wenn nötig den nächsten Platz zum Parken aufsuchen.

Im Sommer scheint Sonne…

Grundsätzlich gilt die Regelung für alle Wetterverhältnisse in allen Jahreszeiten, nicht nur im Winter. Selbstverständlich ist die Scheibenwaschanlage mit Wasser zu befüllen und ggf. Schmutzlösemittel zu verwenden, um Insekten oder klebrige Absonderungen unter Bäumen wirksam zu entfernen. Die Vorschrift ergänzt und konkretisiert die sonstigen Pflichten des Fahrzeugführers, wie sie in § 23 StVO festgelegt sind. Diese betrifft die Sicht, das Gehör, die Ladung und Besetzung sowie die Lesbarkeit der Kennzeichen und die Funktionstüchtigkeit der Beleuchtungseinrichtungen.

…im Winter da schneits.

Darüber hinaus soll verhindert werden, dass bei extremen winterlichen Straßenverhältnissen Kraftfahrzeuge und besonders Lkw liegen bleiben und erhebliche Verkehrsbehinderungen verursachen. Die Regelung bezieht sich im Winter nicht nur auf geeignete Reifen sondern auch darauf, dass z.B. Frostschutzmittel in der Scheibenwaschanlage verwendet werden. Die Vorschrift ist so allgemein gehalten, dass auch sonstige Ausrüstungsmängel im Hinblick auf die Witterung erfasst werden. Zum Beispiel der Leistungsabfall einer bereits mangelhaften Autobatterie bei entsprechender Kälte oder „Einfrieren von Dieselkraftstoff“ durch unzureichendes Kraftstoffgemisch, Beeinträchtigung der Sicht durch mangelhafte Scheibenwischerblätter oder das Fahrzeug wurde nicht von Schnee und Eis befreit.

Wieviel kostet ein Verstoß?

Ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3a StVO stellt eine Verkehrsordnungswidrigkeit dar, wobei nicht nur ungeeignete Reifen, sondern auch beeinträchtigte Sicht oder Schnee auf dem Fahrzeug mit einem Verwarn- oder Bußgeld geahndet werden können:

Sie passten als Führer eines Kraftfahrzeuges die Ausrüstung nicht an die Wetterverhältnisse an (20 EUR), bei Behinderung anderer (40 EUR/1 Punkt), bei Gefährdung anderer (50 EUR/1 Punkt), bei Schädigung anderer (60 EUR/1 Punkt).

Sie führten das Fahrzeug, obwohl die vorgeschriebenen Kennzeichen schlecht lesbar waren (5 EUR); Ihre Sicht beeinträchtigt war (10 EUR), dessen Beleuchtungseinrichtung nicht betriebsbereit oder verschmutzt war (10 EUR) oder die Verkehrssicherheit durch die Ladung litt – wozu auch Schnee auf dem Dach zählt – (25 EUR).

Trotz der an die Witterung angepassten Ausrüstung ist jeder Fahrzeugführer darüber hinaus verpflichtet, seine Fahrgeschwindigkeit den Straßen-, Verkehr-, Witterungs- und Sichtverhältnissen anzupassen. Bei Schnee- und Eisglätte verlängert sich der Bremsweg um das Vierfache.

Was ist ein Winterreifen?

Der § 36 Abs. 1 Satz 3 der Straßenverkehrszulassungsordnung beinhaltet eine Legaldefinition für Winterreifen, dabei handelt es sich um Reifen mit der Kennzeichnung „M+S“ (Matsch und Schnee). Die Verwendung dieses Symbol unterliegt jedoch keiner Prüfung oder Kontrolle und genießt daher keinen Schutz. Es finden sich am Markt auch Reifen mit einem Schneeflocken-Symbol. Dabei handelt es sich um ein anerkanntes Testverfahren welches prüft, ob der Testreifen auf winterlichen Straßen bei ABS-Bremsung bessere Werte erfüllt als ein genau definierter Norm-Reifen.

Auch Winterreifen können letztlich ungeeignet sein, wenn die Profiltiefe nicht mehr ausreichend, oder der Reifen verhärtet ist. Die gesetzliche Mindestprofiltiefe von 1,6 mm (§ 36 Abs. 2 StVZO) reicht für winterliche Anforderungen nicht aus. Empfehlenswert ist eine Profiltiefe von mindestens 4 mm . Zudem sollte ein Winterreifen nicht älter als 6 Jahre sein. Das Herstellungsjahr wird seit dem Jahr 2000 4-stellig (2500 = 25. Woche 2000) auf jedem Reifen angegeben.

Gibt es also eine „Winterreifenpflicht“ in Deutschland?

Faktisch ja, nämlich bei entsprechenden witterungsbedingten Straßenverhältnissen. Zwar ist nur eine „geeignete Bereifung“ statt der verpflichtenden Benutzung von Winterreifen vorgeschrieben. Wenn aber Sommerreifen ungeeignet sind, bedeutet § 2 Abs. 3 a StVO letztlich ein Sommerreifenverbot bei winterlichen Straßenverhältnissen. Da ein Kraftfahrzeug ohne Reifen nicht fahren kann, bleiben letztendlich nur Winterreifen.

Zahlt die Versicherung bei Sommerreifen wenn es kracht?

In der Kfz-Haftpflichtversicherung kann die Benutzung von Sommerreifen im Winter zu einer Mithaftung führen, da sich die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges erhöht. Die Betriebsgefahr stellt diejenige Gefahr dar, die regelmäßig und notwendigerweise mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges verbunden ist. Wird diese durch besondere unfallursächliche Umstände erhöht, kann dies zu einer verschuldensunabhängigen Mithaftung führen, auch wenn der Unfallgegner durch ein eigenes Verschulden den Unfall verursacht hat. Da ein objektiver Verstoß gegen § 2 Abs. 3 a StVO bei der Benutzung von Sommerreifen auf Schnee vorliegt, kann sich eine Haftung auch aus Verschulden ergeben.

In der Kaskoversicherung kann die Benutzung von Sommerreifen wegen grober Fahrlässigkeit zur Leistungskürzung bis hin zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen (§ 81 VVG). Notwendig hierfür ist eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße, weil nahe liegende Überlegungen nicht angestellt wurden und dasjenige unbeachtet blieb, was jedem Verständigen einleuchtet. Neben der objektiven Erforderlichkeit kommt es auch auf die Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit an.

Wie sieht es bei den Nachbarn aus?

Eine Übersicht unter www.focus.de vom 14.11.08 gibt Auskunft über die Vorschriften im Ausland.

Österreich: Auch in Österreich besteht keine generelle Winterreifenpflicht. Bei schneebedeckten und vereisten Straßen oder bei Schneematsch sind jeweils vom 1. November bis zum 15. April Schneeketten oder Winterreifen vorgeschrieben, wobei Ganzjahres- oder Allwetterreifen als Winterreifen gelten, sofern sie mit dem Kürzel „M + S“ versehen sind. Ist eine Passage mit einem Durchfahrverbot gekennzeichnet, das „Fahrzeuge mit Winterausrüstung“ ausnimmt, ist das Weiterfahren nur mit Winterreifen oder Schneeketten erlaubt, blaue Verkehrsschilder, die einen Reifen mit Schneeketten zeigen, verpflichten diese anzulegen.

Schweiz: Wer ohne geeignete Reifen den Verkehr blockiert, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Wer mit Sommerreifen bei Schnee in einen Unfall gerät, wird erheblich in Mithaftung genommen.

Italien: Im Aosta-Tal besteht eine generelle Pflicht zum Winterreifen und zwar jeweils vom 15. Oktober bis zum 15. April. Ansonsten sind Schneeketten und Winterreifen auf bestimmten Strecken nur zeitweise vorgeschrieben.

Frankreich: Je nach Situation werden auf Gebirgsstrecken kurzfristig Schneeketten angeordnet. Diese müssen an der Antriebsachse angebracht sein.

Für alle Nachbarländer gilt: Wenn Schnee oder Eis auf den Straßen liegt, darf der Fahrer Schneeketten montieren.

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