OLG Brandenburg – kein Rückschluss auf Verschulden an einem Unfall trotz Akzeptieren eines Verwarngeldes


Nach einem Verkehrsunfall machte die Klägerin Schadenersatzansprüche gegen den Fahrer und das Land Brandenburg als Halter eines Fahrzeuges geltend. Der Fahrer des landeseigenen Fahrzeuges hatte den Auftrag, Straßenschilder ab- und woanders wieder aufzubauen. Die Klägerin behauptete, der Unfallgegner sei plötzlich vom Fahrbahnrand angefahren und habe aus Unachtsamkeit ihr Fahrzeug nicht bemerkt. Der beklagte Fahrer meinte, die Fahrerin des Fahrzeuges der Klägerin habe sein langsam fahrendes Fahrzeug überholt und geschnitten. Am Unfallort wurde dem beklagten Fahrer durch die Polizei ein Verwarnungsgeld in Höhe von 35,00 Euro ausgesprochen, welches dieser an Ort und Stelle in bar entrichtete.
Das Landgericht Neuruppin wies die Klage nach Vernehmung von Zeugen mit der Begründung ab, nach der Beweisaufnahme stehe das Alleinverschulden der Fahrerin des Fahrzeugs der Klägerin fest. Das Fahrzeug der Beklagten, welches sich auf die Kreuzung zubewegt habe, sei im Abbiegevorgang überholt und geschnitten worden. Hinter dem (Allein-) Verschulden der Fahrerin des Fahrzeuges der Klägerin trete die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges zurück. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin zum Brandenburgischen Oberlandesgericht hatte keinen Erfolg. Zwar hat das Landgericht nach Auffassung des OLG einen Fehler gemacht, da es die kostenpflichtige Verwarnung des beklagten Fahrers unerwähnt ließ, darauf komme es im Ergebnis aber nicht an.

Aus den Gründen:

Trotz der im Übrigen sorgfältigen (…) Begründung des Beweisergebnisses leiden die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils daran, dass der Umstand des ausgesprochenen und vom Beklagten zu 1. angenommenen Verwarnungsgeldes nicht (erkennbar) in die Würdigung eingestellt worden ist. (…) Im Verhältnis zum Beklagten zu 2. ist (…) die Klage und damit auch die Berufung schon deshalb unbegründet, weil dieser infolge der Haftungsüberleitung nach Art. 34 Satz 2 GG selbst in keinem Fall persönlich haftet. Ein Anspruch gegen ihn als Führer des Fahrzeuges ist ausgeschlossen, weil er das Fahrzeug des beklagten Landes in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit steuerte und seine Haftung – (jedenfalls) als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne (…) – gemäß § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG auf die Anstellungskörperschaft – hier das zweitbeklagte Land – übergeleitet ist. (…)

Eine Haftung des beklagten Landes nach §§ 7, 17, 18, StVG, 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG besteht ebenfalls nicht. (…) Nach § 17 Abs. 1 StVG hängt zwischen den Fahrzeughaltern die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen verursacht worden ist. Hierbei ist – ausgehend von der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge – zu Lasten jeder Seite nur von unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen auszugehen. Jede Partei hat also insbesondere die der Gegenseite zum Verschulden gereichenden und sich damit in einer Erhöhung der Betriebsgefahr auswirkenden Umstände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Es ist danach also Sache der Klägerin zu beweisen, dass der Beklagte zu 1. gegen die „Kardinalpflicht“ des § 10 Satz 1 StVO (Ausschluss der Gefährdung anderer beim Anfahren vom Straßenrand) verstoßen hat, was zunächst voraussetzt, dass dieser überhaupt „angefahren“ ist. Demgegenüber steht zur Beweislast der Beklagten die Behauptung, die Zeugin K… habe bei unklarer Verkehrslage entgegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO überholt und den Beklagten zu 1. unter Verstoß gegen Abs. 4 Satz 4 der Vorschrift behindert. Dies setzt wiederum voraus, dass das Beklagtenfahrzeug nicht gestanden hat, was insoweit – das heißt im Hinblick auf einen der Klägerin zuzurechnenden (Mit-) Verursachungsanteil – der Beklagte zu 2. zu beweisen hat.

Entgegen ihrer Auffassung kann die Klägerin sich nicht auf den bei einem Auffahrunfallgeschehen für ein Verschulden des „Hintermannes“ eingreifenden Beweis des ersten Anscheins berufen. (…) Im Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme und der ergänzenden Vernehmung der beiden Zeugen sowie der Anhörung des Beklagten zu 1. steht für den Senat in Übereinstimmung mit dem angefochten Urteil fest, dass die Zeugin K… das in – wenn auch langsamer – Fahrt befindliche Fahrzeug des Zweitbeklagten unachtsam überholte und diesem beim Rechtsabbiegen in die Baustraße den Fahrweg abschnitt. (…)

Die Berücksichtigung des von der Berufung zu Recht als fehlend gerügten Gesichtspunkt der kostenpflichtigen Verwarnung des Beklagten zu 1. ändert an dem Ergebnis der Beweiswürdigung nichts. Zwar kann auf den ersten Blick der Umstand, dass ein Unfallbeteiligter eine Verwarnung wegen eines Verkehrsverstoßes akzeptiert, für dessen Fehlverhalten oder dafür sprechen, dass dieser die für die Annahme eines solchen Fehlverhaltens sprechenden Tatsachen einräumt. Dies gilt jedoch – ungeachtet grundsätzlicher Bedenken, die gegen die Tatsachenfeststellung anlässlich einer polizeilichen Unfallaufnahme vor Ort bestehen können – jedenfalls im Streitfall nicht. So lässt sich schon nicht feststellen, dass die Polizeibeamten die für die Klärung des tatsächlichen Unfallhergangs und damit der Schuldfrage notwendigen Tatsachen in einer ausreichenden Weise festgestellt haben. So steht (…) fest, dass der Zeuge F… vor Ort überhaupt nicht zum Unfallhergang befragt wurde, was nahe gelegen hätte. Ist aber schon die Tatsachenfeststellung selbst mangelhaft, kommt es nicht darauf an, dass der Vermerk über die ausgesprochene Verwarnung ebenso wenig wie das Protokoll über die Unfallaufnahme eine auch nur ansatzweise nachvollziehbare „Würdigung“ enthält. So ist dem Protokoll etwa nicht einmal zu entnehmen, welcher der Beteiligten sich in welcher Hinsicht zur Sache einließ. Da somit insbesondere nicht ersichtlich ist, dass die Verwarnung auf einem entsprechenden (Ein-) Geständnis des Beklagten zu 1. beruhte, kann dem Umstand der Verwarnung ein erheblicher Beweiswert nicht beigemessen werden. Eine andere Beurteilung der tatsächlichen Umstände, aber auch der Beweiswürdigung, rechtfertigt auch nicht der Umstand, dass der Beklagte zu 1. die Verwarnung akzeptierte. In seiner persönlichen Anhörung vermittelte der Beklagte zu 1. den Eindruck, dass er in der besonderen Situation nach dem Unfall das Verwarnungsgeld einfach deswegen hinnahm, weil die Polizei ihm die Schuld „zugewiesen“ hatte. Aufgrund der zurückhaltenden Art und Weise, wie der Beklagte zu 1. sich vor dem Senat zur Sache äußerte, ist nachvollziehbar, dass er mit Rücksicht auf seine Persönlichkeit, aber vor allem auch sein Ausdrucksvermögen, nicht ohne weiteres in der Lage ist, einem – wenn auch von ihm für unberechtigt gehaltenen – Vorwurf überzeugend entgegenzutreten. Daher ist es für den Senat kein Widerspruch, dass der Beklagte zu 1. am Unfallort das Verwarnungsgeld gleichsam „schicksalhaft“ akzeptierte, den Unfallhergang jedoch (…) abweichend und in einer ihm gegenüber den Vorwurf eines verkehrswidrigen Verhaltens gerade nicht rechtfertigenden Weise schilderte. Steht dies mithin einer abweichenden Würdigung des Beweisergebnisses nicht entgegen, führt der Umstand der akzeptierten Verwarnung auch nicht zu einer Verschiebung der Beweislast.

Dass ein Beteiligter eine kostenpflichtige Verwarnung annimmt, könnte allenfalls einem Anerkenntnis der „Alleinschuld“ gleichstehen, dem in der Regel nicht mehr als die Wirkung eines „Zeugnisses gegen sich selbst“ beizumessen ist, mit der Folge, dass sich die Beweislast zu Lasten des Anerkennenden verschieben kann (…). Selbst bei dieser Annahme wäre den Beklagten auf der Grundlage des Beweisergebnisses der Gegenbeweis gelungen.

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. Januar 2008, Az: 2 U 20/07 (PDF)
Vorinstanz: Landgericht Neuruppin, Urteil vom 12. April 2007, Az: 3 O 61/07

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