Einer Krankenversicherten wurde von ihrer Fachärztin für Allgemeinmedizin wegen einer depressiven Verstimmung laufende Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, worauf die Krankenversicherung Krankengeld bewilligte. Zur Klärung einer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit zog die Versicherung ein halbes Jahr später einen weiteren Bericht der Hausärztin sowie einen Bericht der Fachärztin für Psychotherapie bei. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung sah nach Aktenlage keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und empfahl eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main wies die Klage der Versicherten ab. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin arbeitsunfähig gewesen sei, weil Anspruch auf Krankengeld nur Versicherte hätten. Die Pflichtmitgliedschaft der Versicherten habe geendet und eine freiwillige Versicherung sei nicht zustande gekommen. Die Berufung der Versicherten zum Hessischen Landessozialgericht hatte Erfolg. Das Gericht maß den Stellungnahmen des MDK keinerlei Beweiswert zu. Es handele sich ohne nähere Kenntnis des Krankheitsbildes und mangels inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Ausführungen der behandelnden Ärztin nicht um medizinische Gutachten. Das Verhalten der Krankenversicherung bewege sich nach Auffassung des Gerichts an der Grenze zur Willkür.
Aus den Gründen:
Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Versicherte erhalten das Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an (§ 48 Abs. 1 S. 1 SGB V).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin war, wie noch darzulegen ist, über den 30. Mai 2003 hinaus bis zum Ablauf der maximalen Bezugsdauer am 5. Mai 2004 arbeitsunfähig krank und hat damit Anspruch auf Krankengeld. Entgegen den rechtsfehlerhaften Ausführungen des Sozialgerichts war die Klägerin auch Versicherte im Sinne von § 44 Abs. 1 S. 1 SGB V. Das Sozialgericht hat verkannt, dass gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten bleibt, wenn u.a. ein Anspruch auf Krankengeld besteht. Die Klägerin war aber bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit als Bezieherin von Arbeitslosengeld in der Krankenversicherung der Arbeitslosen (KVdA) pflichtversichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V).
Für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit bei Personen, die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in der KVdA versichert waren, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf alle seiner/ihrer Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen abzustellen. Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit sind bei Arbeitslosen alle Beschäftigungen, die zu diesem Zeitpunkt gemäß § 121 Abs. 1 und 3 SGB III arbeitslosenversicherungsrechtlich zumutbar sind; einen besonderen krankenversicherungsrechtlichen „Berufsschutz“ gibt es im Rahmen der KVdA nicht (BSG, Urteil vom 4. April 2006, B 1 KR 21/05 R – juris -).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin in diesem Sinne über den 30. Mai 2003 hinaus arbeitsunfähig war. Denn ihr gesundheitliches Leistungsvermögen reichte nicht aus, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als geringfügige Arbeiten von wirtschaftlichem Wert erbringen zu können. (…)
Soweit die Beklagte dieses Ergebnis unter Hinweis auf die anders lautenden Stellungnahmen des MDK anzweifelt, ist dem nicht zu folgen. Zwar kommt im Streitfall der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch die behandelnden Ärzte keine bindende Wirkung zu. Weicht die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit durch die behandelnden Ärzte auf der einen Seite und durch den MDK auf der anderen Seite voneinander ab, sind Krankenkassen und Gerichte an den Inhalt einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht gebunden. Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt (lediglich) die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeld erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet; ein besonderer (gesteigerter) Beweiswert kommt ihr nicht zu (BSG, Urteil vom 8. November 2005, B 1 KR 18/04 R = SozR 4-2500 § 44 Nr. 7 m.w.N.). Vorliegend sind die Stellungnahmen des MDK jedoch nicht geeignet, die Richtigkeit der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der behandelnden Ärztinnen der Klägerin in Zweifel zu ziehen. Denn es handelt sich nach Art und Inhalt der Stellungnahmen des MDK (…) nicht um medizinische Gutachten im Sinne von § 275 Abs. 1 Nr. 3b) SGB V, die sich durch eine wissenschaftlich-methodische Untersuchung und Bewertung ärztlicher Befunde auszeichnen, sondern um Stellungnahmen, denen angesichts ihres Inhalts im konkreten Fall keinerlei Beweiswert zukommt. Die dortigen Ausführungen beruhen – anders als die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der behandelnden Ärztinnen – schon nicht auf einer persönlichen Befragung und Untersuchung der Klägerin. Eine solche hat seitens des MDK nie stattgefunden, obwohl dies gerade bei einem psychiatrischen Krankheitsbild zur Beurteilung der Frage der Arbeitsfähigkeit regelmäßig vonnöten sein wird; denn in solchen Fällen gibt es – anders als bei verschiedenen körperlichen Erkrankungen – kaum messbare Befunde und die Beurteilung der Leistungsfähigkeit beruht deshalb in besonderem Maße auf dem persönlichen Eindruck des Arztes. Zudem beschränken sich die Ausführungen in der Stellungnahme des MDK (…) auf eine durch keinerlei Befunde gestützte Interpretation des Berichtes von Dr. D. („anscheinend liegt ein minderschweres Krankheitsbild vor“), um hieraus die Empfehlung der Beendigung der Arbeitsunfähigkeit abzuleiten. Auch die Stellungnahme des MDK (…) enthält keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ausführungen der behandelnden Ärztin (…). Ein solches Vorgehen des MDK, der die Beendigung des Leistungsbezugs empfiehlt, obwohl jede nähere Kenntnis des Krankheitsbildes (insbesondere durch Befragung der behandelnden Ärzte) fehlt und welcher den sich zur Frage der Arbeitsfähigkeit überhaupt nicht konkret äußernden Berichts von Dr. D. – deren Eintragung bei der Frage nach der Arbeitsfähigkeit („November 2002“) völlig unklar lässt, was damit gemeint war – im Sinne eines minderschweren Krankheitsbildes interpretiert, bewegt sich nach Auffassung des Senats an der Grenze zur Willkür.
Angesichts dieser Umstände des Falles ist der Beklagten aber der Vorwurf einer zumindest fahrlässig verursachten Beweisvereitelung zu machen (vgl. hierzu BSG a.a.O.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 103 Rdnr. 18a; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 286 Rdnr. 17). Denn die Beklagte hat die ihr obliegende Pflicht zur Sachaufklärung von Amts wegen (§§ 20, 21 SGB X) schuldhaft verletzt. Bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens hat sie den maßgeblichen medizinischen Sachverhalt völlig unzureichend ermittelt. Sofern sich für die Beklagte aus der Tatsache, dass die Berichte der behandelnden Ärztinnen weder eine genaue Befundmitteilung noch nähere Angaben zum Behandlungsverlauf und zur Therapie enthielten, die Notwendigkeit näherer Feststellungen zu der von der behandelnden Ärztin bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ergaben, war es deshalb ihre Pflicht, von Frau K-C. oder Dr. D. genauere Informationen zum Krankheitsbild der Klägerin einzuholen und, soweit dies aus Sicht der Beklagten für eine Beurteilung nicht ausgereicht hätte, sodann auf der Grundlage dieser Auskünfte eine den Anforderungen des § 275 Abs. 1 Nr. 3b) SGB V entsprechendes, medizinisch qualifiziert begründetes Gutachten des MDK anzufordern. Dazu hätte auch gehört, den MDK zu einer persönlichen Untersuchung der Klägerin anzuhalten. Hingegen reichte es nicht aus, auf der Basis der wenig aussagekräftigen Befunde der behandelnden Ärztinnen eine Stellungnahme des MDK zu veranlassen und diese ihrerseits offensichtlich unzureichende Stellungnahme zur Grundlage einer abschließenden Entscheidung zu machen.
Dieses Unterlassen der gebotenen zeitnahen Aufklärung des maßgeblichen medizinischen Sachverhalts hat eine Benachteiligung der Klägerin in ihrer prozessualen Situation zur Folge. Denn ein Versicherter kann das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nur durch die entsprechenden Bescheinigungen der behandelnden Ärzte nachweisen. Mögliche Zweifel an den ärztlich getroffenen Feststellungen, die sich insbesondere durch Zeitablauf ergeben können, weil den behandelnden Ärzten bei einer späteren Befragung durch das Gericht die frische Erinnerung an den Patienten fehlt und die dokumentierten Befunde unzureichend sein können, dürfen jedoch in einem Fall, in dem die Krankenkasse die ihr obliegenden Pflichten zur Sachverhaltsaufklärung nicht oder unzureichend erfüllt, nicht zu Lasten des Versicherten gehen. Die Rechtsprechung billigt den Betroffenen in solchen Fällen deshalb Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zu (BSG a.a.O.). Derartige prozessuale Konsequenzen braucht der Senat im vorliegenden Fall allerdings nicht zu ziehen. Denn er ist – wie oben dargelegt – schon aufgrund des nachträglich ermittelten Sachverhalts davon überzeugt, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum durchgehend arbeitsunfähig krank war.
Mithin hat die Klägerin Anspruch auf Krankengeld bis zum 5. Mai 2004 als dem Tag, an dem nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten der bei derselben Krankheit nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB V zu beachtende maximale Bezugszeitraum von 78 Wochen endete.
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.10.2007, AZ: L 8 KR 228/06
Vorinstanz: Sozialgericht Frankfurt am Main, AZ: S 30 KR 3357/03