LG Karlsruhe – Linksabbieger muss Gegenverkehr beachten, auch wenn dieser bei Gelb fährt


Der Linksabbieger muss den Vorrang des Gegenverkehrs grundsätzlich auch dann beachten, wenn dieser Gelb – oder sogar bei frühem Rot einfährt. Selbst eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des Geradeausfahrenden hebt dessen Vorrecht nicht auf. Als bevorrechtigter Verkehr gegenüber dem Wartepflichtigen ist auch noch der bei spätem Gelb oder der ersten Rotsekunde anfahrende Gegenverkehr anzusehen. Er muss mit Nachzüglern rechnen und diesen den Vorrang einräumen.

Der spätere Kläger wollte an der Kreuzung nach links in die gegenüberliegende Straße einfahren. Zur selben Zeit befuhr der spätere Beklagte in stadtauswärtiger Richtung und bog nach rechts ab. Dabei kollidierte er im Kreuzungsbereich mit dem Pkw des Klägers, der bei Grün in den Kreuzungsbereich eingefahren war. Der Kläger verlangte Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom Beklagten, der Beklagte wiederum verlangte widerklagend vom Kläger Schadensersatz aus demselben Unfallereignis. Das Landgericht Karlsruhe wies die Klage ab und gab der Widerklage des Beklagten weitestgehend statt.

Der beweispflichtige Kläger konnte den Nachweis, dass der Beklagte bei Rot über die Haltelinie in die Kreuzung eingefahren ist und zu schnell fuhr, nicht erbringen. Der Beklagte selbst gab an, mit 50 km/h und bei Gelb gefahren zu sein. Nach §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 1, Abs. 3 StVG hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz wie auch der Umfang der Ersatzpflicht von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorliegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Halter und Fahrer der beteiligten Fahrzeuge und der Berücksichtigung von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr hielt das Landgericht es für gerechtfertigt, dass der Kläger seinen unfallbedingten Schaden auf sich behält.

Aus den Gründen:

Zu Lasten des Klägers wirkt (…) betriebsgefahrerhöhend eine für den Unfall ursächliche schuldhafte Verletzung des § 9 Abs. 3 StVO. Sofern – wie vorliegend – eine konkrete Lichtzeichenregelung für Linksabbieger fehlt, gilt § 9 Abs. 3 StVO, wonach der abbiegende Entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren zu lassen hat. Der Kläger wurde auf diese Regelung vorliegend durch das angebrachte Hinweisschild (…) ausdrücklich hingewiesen. Nach seinen eigenen Angaben ist er in die Kreuzung eingefahren und dann in der Fahrbahn des entgegenkommenden Beklagten (…) mit diesem kollidiert. Deshalb spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass er den Vorrang des entgegenkommenden Verkehrs nicht beachtet hat. Diesen Anscheinsbeweis hat er nicht erschüttert, d. h. nicht den notwendigen Gegenbeweis dafür erbracht, dass der Beklagte (…) später als in der ersten Rotsekunde in die Ampelkreuzung oder mit unfallursächlicher stark überhöhter Geschwindigkeit eingefahren ist.

Der Linksabbieger muss den Vorrang des Gegenverkehrs grundsätzlich auch dann beachten, wenn dieser – wie hier der Beklagte (…) bei Gelb – oder sogar bei frühem Rot einfährt. Selbst eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des Geradeausfahrenden hebt dessen Vorrecht nicht auf (OLG Hamm, NZV 2001, 520; NZV 1989, 191; OLG Nürnberg, VM 1986, 53, 54; KG, VM 1984, 36, 37; OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 392, 393; KG Berlin, VM 1987, NR 41). Als bevorrechtigter Verkehr gegenüber dem Kläger ist auch noch der bei spätem Gelb oder der ersten Rotsekunde anfahrende Gegenverkehr anzusehen. Der Kläger musste mit Nachzüglern rechnen und diesen den Vorrang einräumen (OLG Hamm, NZV 1989, 191; NZV 2001, 520; KG, VM 1984, 36, 37; OLG Celle, VRS 102, 325 ff.; OLG Rostock 2000, 65, 66; Jagusch/Hentschel, a. a. O., § 9 StVO, Rn. 40 m. w. N.). Der Beklagte (…) verlor auch durch die gegenüber der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 10 km/h überhöhte Annäherungsgeschwindigkeit nicht sein Vorrecht (Jagusch/Hentschel, a. a. O., § 9 StVO Rn. 39 m. w. N.). Der im Kollisionsfall für einen Schuldvorwurf des Linksabbiegers streitende Anscheinsbeweis kann zwar durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung des entgegenkommenden Geradeausfahrers erschüttert werden (OLG Oldenburg, VersR 1995, 1457). Nach dem oben Gesagten handelt es sich jedoch vorliegend um eine allenfalls maßvolle Geschwindigkeitsüberschreitung angesichts der Unfallörtlichkeit, die im Übrigen (…) für den Unfall nicht ursächlich war. (…)

Die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge rechtfertigt es vorliegend, dass der Kläger seinen unfallbedingten Schaden auf sich behält. Die allgemeine Betriebsgefahr des PKW des Beklagten (…) ist nach dem oben Gesagten nicht durch eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise erhöht. Zwar kann sich eine Erhöhung auch aus einem zulässigen Fahrverhalten ergeben, wenn die allgemeine Gefahr des Fahrens mit einem Kraftfahrzeug übersteigende Gefahrenmomente vorhanden sind. Die um gegenüber der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 10 km/h überhöhte Geschwindigkeit des PKW des Beklagten (…) sowie die Überquerung der für seine Fahrtrichtung maßgeblichen Haltelinie der Lichtzeichenanlage bei Gelblicht ist jedoch lediglich geeignet, eine leichte Erhöhung der Betriebsgefahr zu begründen, die hinter dem gravierenden Verstoß des Klägers gegen § 9 Abs. 3 StVO vollständig zurücktritt. Eine Einschränkung der Verhaltensanforderung des Wartepflichtigen im Hinblick auf sein Vertrauen auf ein verkehrsgerechtes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer ist zwar denkbar, etwa wenn auf erschwerte Sichtmöglichkeiten nicht in zumutbarer Weise ausreichend reagiert werden kann oder der Verkehrsverstoß des Unfallgegners, etwa seine überhöhte Geschwindigkeit, zu verständlichen Fehlbeurteilungen der Verkehrssituation führt. Sie ist aber nicht gerechtfertigt, wenn die Vorfahrt – wie hier – ohne Überspannung an die Verhaltensanforderungen gewährt und dadurch einem möglichen schweren Unfall im Gegenverkehr entgegengewirkt werden kann. Im Hinblick auf die Gefährlichkeit des Abbiegens und der Überquerung der Gegenfahrbahn und die hieraus resultierenden besonderen Verpflichtungen des Linksabbiegers ist von einem derart groben Verschulden des wartepflichtigen Klägers auszugehen, dass die allenfalls leicht erhöhte Betriebsgefahr auf Seiten des Beklagten (…) vollständig zurücktreten lässt (vgl. OLG Nürnberg, VM 1986, 53, 64; KG, VM 1987, Nr. 41; einschränkend: OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 392, 393). (…) Der Beklagte (…) kann nach dem oben Gesagten vom Kläger (…) Ersatz seines unfallbedingten Schadens in vollem Umfang verlangen. (…)

LG Karlsruhe, Urteil vom 26.1.2007, 3 O 471/05

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