OLG Saarbrücken – Fahrlässigkeit einer Drogenfahrt bei länger als einem Tag zurückliegendem Cannabiskonsum kann zweifelhaft sein


Das Amtsgericht St. Wendel setzte gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Pkw unter der Wirkung von Cannabis eine Geldbuße von 150,00 Euro fest und verhängte ein Fahrverbot von 1 Monat. Der Betroffene hatte am 11. März 2006 im öffentlichen Straßenverkehr einen Pkw geführt, obwohl er noch unter der Wirkung zuvor genossenen Cannabis stand.
Die toxikologische Analyse der ihm nach der Fahrt entnommenen Blutprobe nach der gaschromatographisch – massenspektrometrischen Methode hatte Werte von 0,002 mg/l – das entspricht 2 ng/ml – THC, 0,001 mg/l Hydroxy-THC und 0,052 mg/l THC-Carbonsäure ergeben.

In der Hauptverhandlung hatte der Betroffene sich dahin eingelassen, am Abend des 09. März 2006 einen Joint geraucht zu haben. Bei Fahrtantritt mehr als 28 Stunden danach habe er keinerlei Beeinflussung infolge dieses Haschischkonsums mehr verspürt.

Das Amtsgericht ging von fahrlässiger Tatbegehung aus, da der Betroffene die Fahrt zu einem Zeitpunkt unternommen habe, als er nicht sicher sein konnte, dass eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften und Fähigkeiten durch den vorausgegangenen Cannabis-Konsum unter keinen Umständen eintreten kann und in seinem Blut die psychoaktiv wirkende Substanz THC nicht mehr in relevantem Umfang und nicht mehr als allenfalls noch in Spuren von unter 1 ng/ml vorhanden war.

Mit seiner hiergegen eingelegten Rechtsbeschwerde rügte der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts unter Hinweis darauf, dass § 24a Abs. 1 S. 1 und 2 StVG nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 2004 (ZfS 2005, 149) verfassungskonform auszulegen sei, was vorliegend seiner Auffassung nach nicht geschehen sei.

Das Oberlandesgericht Saarbrücken hob das Urteil des Amtsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Bei einer Wirkstoffkonzentration von 1 ng/ml THC, ist zwar der sichere Nachweis erbracht, dass der Betroffene noch unter der Wirkung zuvor genossenen Cannabis steht. Allerdings könne es an der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt und damit am Merkmal der Fahrlässigkeit fehlen, wenn zwischen der Einnahme des Rauschmittels und der Fahrt längere Zeit vergeht.

Aus den Gründen:

Zum objektiven Tatbestand des § 24 a Abs. 2 StVG gehört lediglich das Führen eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24 a StVG genannten berauschenden Mittels, hier von Cannabis. Nach der Legaldefinition des § 24 a Abs. 2 S. 2 StVG liegt eine solche Wirkung vor, wenn eine der in der Anlage genannten Substanzen – hier THC – im Blut nachgewiesen wird. Nach seinem Wortlaut geht das Gesetz von einer „Null – Toleranz – Schwelle“ aus, indem das Führen eines Kraftfahrzeuges selbst bei dem Nachweis geringster Spuren der genannten Substanzen den Ordnungswidrigkeitstatbestand erfüllt.

Der verfassungsgerichtlichen Überprüfung hat allerdings nicht standgehalten, dass nach dem Wortlaut auch geringste Konzentrationen, die nunmehr aufgrund verbesserter Messmethoden gegenüber den Nachweismöglichkeiten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes festgestellt werden können, den Schluss zuließen, sie übten noch eine Wirkung bei dem betroffenen Kraftfahrer aus. Vom blutanalytischen Wirkstoffnachweis sollen nur solche Konzentrationen erfasst werden, die deutlich oberhalb des Nullwertes liegen (BVerfG NZV 2005, 270; BayObLG NZV 2003, 252; OLG Hamm NJW 2005, 3298; OLG Zweibrücken BA 2006, 235; OLG Köln BA 2006, 236; OLG München BA 2006, 239; Janiszewski/Jagow/Burmann/Jagow, Straßenverkehrsrecht, 19. Auflage, § 24 a Rn. 5 a; Hentschel NJW 2005, 641 <646>).

Diese Voraussetzung erfüllen die analytischen Grenzwerte, die von der beim Bundesministerium für Verkehr angesiedelten „Grenzwertkommission“ festgelegt wurden (veröffentlicht u.a. in BA 2005, 160 und bestätigt durch den Beschluss der Kommission vom 24.10.2005 vor dem Hintergrund der vorgenannten Verfassungsgerichtsentscheidung – vgl. Eisenmenger NZV 2006, 25). Es handelt sich hierbei nicht um Gefahrengrenzwerte oder feststehende Werte, ab denen die Leistungsfähigkeit gemindert ist, sondern um vom wissenschaftlichen Fortschritt abhängige, pharmakodynamische und rein analytische Grenzwerte (vgl. OLG Zweibrücken BA 2006, 235 <236>; Maatz BA 2004 Supplement 1, S. 9 ff.). Damit ist die dort festgelegte 1 ng/ml – Grenze für den Wirkstoff THC im Blut eines Betroffenen in Beachtung verfassungsgerichtlicher Rechtssprechung lediglich als Entscheidungsgrenze („cut-off“) anzusehen, die den sicheren Nachweis belegt, der Betreffende stehe noch unter der Einwirkung zuvor genossenen Cannabis. Ein Zuschlag für „Messunsicherheiten“ ist dabei nicht erforderlich (vgl. hierzu Eisenmenger NZV 2006, 24 ff <25>).

Diese Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes hat das erkennende Gericht vorliegend auf der Grundlage der mit dem standardisierten und auch hinsichtlich seiner Messgenauigkeit allgemein anerkannten Verfahren der Gaschromatographie – Massenspektrometrie durchgeführten Blutserumanalyse des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes, welches regelmäßig und mit Erfolg an toxikologischen Ringversuchen der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Medizin (GTFCH) teilnimmt, rechtsfehlerfrei angenommen.

Allerdings sind die Ausführungen, mit denen der Tatrichter die Annahme unterlegt, der Betroffene habe den Tatbestand fahrlässig (§§ 24 a Abs. 3 StVG, 10 OWiG) verwirklicht, nicht geeignet, den Schuldspruch in subjektiver Hinsicht zu tragen.

Fahrlässiges Handeln i.S.d. § 10 OWiG liegt vor, wenn der Täter die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, außer Acht lässt und deshalb entweder die Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt bzw. nicht voraussieht – unbewusste Fahrlässigkeit – oder die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung zwar erkennt, aber mit ihr nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, diese werde nicht eintreten – bewusste Fahrlässigkeit (vgl. Göhler, OWiG, 14. A., § 10 Rn. 6).

Bezogen auf den Tatbestand des § 24 a Abs. 2 StVG bedeutet dies, dass dem Betroffenen nachzuweisen ist, dass er die Möglichkeit fortdauernder Wirkung des Haschischkonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen. Denn der Vorwurf schuldhafter Tatbegehung, sei dies vorsätzlich oder fahrlässig, bezieht sich nicht allein auf den Konsumvorgang, sondern auch auf die Wirkungen des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt (vgl. OLG Hamm NJW 2005, 3298). Fahrlässig handelt danach, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat und sich dennoch an das Steuer seines Fahrzeuges setzt, ohne sich bewusst zu machen, dass der Rauschmittelwirkstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert („Ahndungsvoraussetzung“ – vgl. Stein NZV 2003, 251) abgebaut ist. Nicht erforderlich ist, dass sich der Betroffene einen „spürbaren“ oder „messbaren“ Wirkstoffeffekt vorgestellt hat oder zu einer entsprechenden exakten physiologischen und biochemischen Einordnung in der Lage war, zumal ein Kraftfahrer die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen in Rechnung zu stellen hat (vgl. OLG Zweibrücken VRS 102, 300; Leipziger Kommentar-König, StGB, 11. Auflage, § 316 Rn. 225; Janiszewski/Jagow/Burmann, aaO., § 24 a Rn. 7a).

Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen im angefochtenen Urteil nicht. Ihnen ist bereits nicht eindeutig zu entnehmen, ob das Gericht den (…) Angaben des Betroffenen in der Hauptverhandlung, er habe letztmalig über 28 Stunden vor der Tat Haschisch geraucht, geglaubt und diesen Zeitpunkt zugrunde gelegt hat.

Wenn man nämlich diesen Zeitpunkt zugrundelegt, hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffenen hätte bewusst machen können, dass sein nach eigenen Angaben geringer Haschischkonsum nach mehr als einem Tag noch hätte Auswirkungen haben können. Denn an der Erkennbarkeit im Tatzeitpunkt kann es ausnahmsweise fehlen, wenn zwischen der Einnahme des Rauschmittels und der Fahrt längere Zeit vergeht (vgl. Senat NJW 2007, 309, 311; OLG Hamm, NJW 2005, 3299; OLG Bremen NZV 2006, 276; OLG Bamberg, Beschluss vom 27. Februar 2007 – 3 Ss OWi 688/2005 – zit. nach juris).

OLG Saarbrücken, Beschluß vom 16.3.2007, AZ: Ss (B) 5/2007 (18/07)

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