OLG Hamm – Nötigung im Straßenverkehr durch Auffahren auf das vordere Auto


Der Fahrer eines Pkw fuhr über eine Strecke von etwa 2 km bei einer Geschwindigkeit von 100 – 120 km/h auf der linken Fahrspur mehrfach bis auf etwa 4 m auf das vorausfahrende Fahrzeug auf. Neben dem Abblendlicht schaltete er ohne verkehrsbedingten Grund auch die Nebelscheinwerfer ein und pendelte hinter dem Vorausfahrenden hin und her. Der vorausfahrende Fahrer konnte verkehrsbedingt nicht auf die rechte Fahrspur wechseln.

Das Amtsgericht Hagen verurteilte den Auffahrenden wegen tatmehrheitlich begangener versuchter Nötigung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses falsches Fahren bei einem Überholvorgang zu einer Gesamtgeldstrafe. Seinen Führerschein durfte er behalten. Der Angeklagte legte Sprungrevision zum Oberlandesgericht Hamm ein, wobei er sich vornehmlich gegen die Verurteilung wegen der tatmehrheitlich begangenen versuchten Nötigung zu wehren versuchte. Er war der Meinung, sein Verhalten stelle keine versuchte Nötigung dar und verwies auf diverse Rechtsprechung.

Der 2. Strafsenat des OLG Hamm verwarf die Revision als unbegründet, die Nachprüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben, insbesondere die mitgeteilte Rechtsprechung sei mit dem Fall nicht vergleichbar, und führte ergänzend aus:

Aus den Gründen:

Die erste Tat (versuchte Nötigung) ist durch die präzise Angabe der Uhrzeit, der an dem Vorfall beteiligten Pkw bzw. Personen und der zu dieser Zeit befahrenen Richtungsfahrbahn (…) hinreichend und unverwechselbar bezeichnet, auch wenn der zur Tatzeit befahrene Abschnitt der Autobahn nicht mit den genauen Streckenkilometern und der Gemarkung angegeben ist.

Während den Entscheidungen des OLG Karlsruhe vom 24. April 1997 = VRS 94, 262 und vom 16. Juli 1998 = Die Justiz 1999, 25 ein mehrfaches Auffahren auf mindestens 10 – 15 m mit wiederholtem Betätigen der Lichthupe bei Geschwindigkeiten zwischen 60 und 80 km/h, allerdings ohne Angabe der Nachfahrstrecke bzw. im anderen Fall ein zwar grob verkehrswidriges, jedoch nur einmaliges Überholmanöver im Kurvenbereich zugrunde lag, und auch die Entscheidungen des hiesigen 3. Strafsenats vom 18. August 2005 in 3 Ss 304/05 = VRR 2006, 33 und des 4. Strafsenats vom 11. August 2005 in 4 Ss 308/05 = VRR 2006, 35 = zfs 2006, 110 ein wohl nur einmaliges und nicht näher beschriebenes kurzzeitiges dichtes Auffahren unter Betätigung der Lichthupe bzw. im anderen Fall ein zwar sehr dichtes Auffahren von 2 – 3 m, jedoch ohne Angabe der Dauer und zurückgelegten Fahrstrecke, betrafen, ist der Angeklagte vorliegend über eine Strecke von etwa 2 km, in Worten: zwei Kilometer, bei einer Geschwindigkeit von 100 – 120 km/h auf der linken Fahrspur mehrfach bis auf etwa 4 m auf das vorausfahrende Fahrzeug aufgefahren, dessen Fahrer verkehrsbedingt nicht auf die rechte Fahrspur wechseln konnte. Dabei hatte er neben dem Abblendlicht – offenbar ohne verkehrsbedingten Grund – auch die Nebelscheinwerfer eingeschaltet und pendelte mit seinem Fahrzeug – einem Audi A 8 – mehrfach von links nach rechts dicht hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug. Damit sind die von der Rechtsprechung geforderten Kriterien hier hinsichtlich Streckenlänge, Intensität und Dauer der Einwirkung hinreichend dargestellt. Es handelt sich keinesfalls um ein nur kurzfristiges Bedrängen oder eine nur kurzfristige Behinderung.

Sowohl aus dieser insoweit typischen Fahrweise als auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte nach den festgestellten 2 km Fahrt plötzlich rechts überholt hat, ist schon wegen der objektiven Gegebenheiten auf den Nötigungsvorsatz zu schließen, auch wenn der Tatrichter dies nicht ausdrücklich hervorgehoben hat.

Im Übrigen vermag der Senat die Argumentation (…), durch den Zeitraum von „nur“ etwa einer Minute bei der gefahrenen Geschwindigkeit von 100 – 120 km/h und dem Abstand von „immerhin noch“ etwa 4 m – und nicht nur rd. 2,5 m – sei der Tatbestand einer Nötigung bzw. versuchten Nötigung noch nicht erfüllt, nicht nachzuvollziehen.

OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2007, AZ: 2 Ss 50/07

Praxisrelevanz:

Die Nötigung durch „drängeln“ oder „ausbremsen“ ist neben der Straßenverkehrsgefährdung, z.B. durch anschließendes rechts überholen auf der Autobahn, ein im Straßenverkehr häufig erhobener Vorwurf. Auch der Versuch der Nötigung ist strafbar.

Die Rechtsprechung der Strafgerichte, wonach dichtes Auffahren im Straßenverkehr unter Einsatz von Signalhorn und Lichthupe in der Regel den Nötigungstatbestand erfüllt, wurde unlängst vom Bundesverfassungsgericht bestätigt (BVerfG, Beschuss vom 29. 03. 2007 – 2 BvR 932/06). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Nötigung außerorts und innerorts begangen wurde. Maßgebend sind für die Verwirklichung des Nötigungstatbestandes sind insoweit immer die Streckenlänge, die Dauer und die Intensität des Verhaltens. Ein nur kurzzeitiges dichtes Auffahren und Bedrängen oder andere kurzfristige Behinderungen, selbst wenn diese verkehrswidrig sind, stellen von daher noch keine Nötigung dar. Dass Auffahren, Bedrängen bzw. Behindern muss ersichtlich ohne vernünftigen Grund erfolgen, so etwa bei Schikane, Mutwillen, Erziehungsabsicht oder beharrlicher Reglementierung aus Ärger und eigensüchtigen Motiven. Letztlich wird auch die gefahrene Geschwindigkeit eine entscheidende Rolle spielen.

Die Nötigung erfordert ein vorsätzliches Verhalten, wobei die schwächste Vorsatzform, der bedingte Vorsatz ausreichend ist (Bsp.: Ich halte es für möglich und nehme es auch billigend in Kauf, dass der Vorausfahrende die Fahrspur freimacht, wenn ich nur dicht genug auffahre.). Indizien wie Lichthupe, Blinker, Hupe oder Gesten können dabei den Schluss auf einen Vorsatz zulassen. Fehlen solche Indizien, ist einem Beschuldigten bzw. Angeklagten von jeder Äußerung nur dringend abzuraten. Das Gericht muss die Feststellungen zum Vorsatz treffen. Ergibt sich, dass nur irgendein ein Fehlverhalten vorlag, ohne dass ein Nötigungsvorsatz nachweisbar ist, kann keine Verurteilung erfolgen.

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