OLG Karlsruhe – Persönliche Haftung des H-Arztes bei einem Diagnosefehler


Der Kläger verlangt von dem beklagten Arzt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung. Nach einem Arbeitsunfall im Juli 2001 wandte er sich wegen einer Handverletzung an den Beklagten, der Facharzt für Chirurgie und als Heilbehandlungsarzt (sogenannter H-Arzt) der Berufsgenossenschaften zugelassen ist. Nach einer Röntgenaufnahme schloss der Beklagte eine Fraktur aus, diagnostizierte eine Zerrung des Handgelenks und legte einen Zink-Leim-Verband an.

Das Röntgenbild zeigte jedoch eine perilunäre Luxation (Verrenkung des Handgelenks, hier verbunden mit Bänderrissen), bei der nach dem Vertrag „Ärzte/Unfallversicherungsträger“ jeder behandelnde Arzt verpflichtet ist, für eine Überweisung des Unfallverletzten in eine von der Berufsgenossenschaft zugelassene Klinik zu sorgen.

Der Kläger kann seinen Beruf als Getränkefahrer nicht mehr ausüben und ist um 30 % in der Erwerbstätigkeit gemindert, zwischenzeitlich verrentet. Das Landgericht Karlsruhe hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen, weil der beklagte Arzt als H-Arzt entsprechend der Rechtsprechung zum Durchgangsarzt nicht selbst für eine falsche Diagnose hafte, sondern die zuständige Berufsgenossenschaft, für die er tätig geworden sei.

Die Berufung des Klägers zum Oberlandesgericht Karlsruhe – Senat für Arzthaftungssachen – hatte Erfolg. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten zur Zahlung von knapp 14.000 Euro verurteilt und festgestellt, dass er verpflichtet ist, dem Kläger weitere immaterielle und materielle Schäden zu ersetzen. Auf der Grundlage der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen stellte der Senat fest, dass der Beklagte als Facharzt für Unfallchirurgie die Luxation auf dem Röntgenbild hätte erkennen müssen.

Dieser Behandlungsfehler ist ursächlich für die Beschwerden des Klägers, seine Beeinträchtigungen und die Berufsunfähigkeit, denn der Diagnoseirrtum führte dazu, dass der Beklagte den Kläger nicht wie erforderlich unmittelbar in eine Klinik überwies. Dort wäre der Kläger operiert worden, was bei einer frischen Luxation nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 % dazu geführt hätte, dass die Verletzung mit geringen Folgen verheilt und eine Arbeitsunfähigkeit wahrscheinlich nicht eingetreten wäre.

Für die Folgen dieses Behandlungsfehlers haftet der Beklagte, der als H-Arzt tätig wurde, persönlich und nicht etwa die Berufsgenossenschaft. Der Bundesgerichtshof vertritt zwar in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der Durchgangsarzt bei seiner Entscheidung, ob und in welcher Weise ein Verletzter in die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung übernommen werden soll, eine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht erfülle. Diese Entscheidung und die sie vorbereitenden Maßnahmen seien als Ausübung eines öffentlichen Amtes zu betrachten, für die nur die Berufsgenossenschaft nach den Grundsätzen der Amtshaftung einzustehen habe. Übernehme dagegen der Durchgangsarzt im Rahmen der allgemeinen oder besonderen Heilbehandlung die Weiterbehandlung des Patienten und unterlaufe ihm dabei ein Behandlungsfehler, so hafte er für diesen zivilrechtlich wie jeder andere Arzt.

Die Grundsätze zur Haftung des Durchgangsarztes sind jedoch auf den H-Arzt nicht übertragbar. Der H-Arzt hat nicht die gleiche Entscheidungskompetenz wie der Durchgangsarzt, der nach den Regelungen des Vertrages „Ärzte/Unfallsicherungsträger“ eine höhere Qualifikation aufweist. Er darf nur in den dort genannten leichteren Fällen die Heilbehandlung selbst übernehmen, im Übrigen trifft ihn wie jeden anderen nicht zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung zugelassenen Arzt die Pflicht, den Unfallverletzten unverzüglich einem Durchgangsarzt vorzustellen. Verstößt ein H-Arzt wie im vorliegenden Fall gegen diese Vorstellungspflicht und behandelt er den Patienten selbst, trifft er im Gegensatz zum Durchgangsarzt, der „verlängerter Arm“ der Unfallversicherungsträger mit weitgehenden Vollmachten ist, keine Entscheidung in Ausübung einer Amtspflicht.

Der Kläger hat danach Anspruch auf Schadensersatz in Höhe seines entgangenen Verdienstes, der sich abzüglich Lohnfortzahlung, Verletztengeld, Arbeitslosengeld sowie Unfallrente auf knapp 4.000 Euro beläuft. Ersparte Aufwendungen wegen nicht mehr anfallender Kosten für Fahrten zum Arbeitsplatz sind davon nicht abzuziehen, da der Kläger in Höhe dieses Betrages den Vorteil eingebüßt hat, wöchentlich zwei Kisten Bier oder alkoholfreie Getränke unentgeltlich zu beziehen. Der Senat hat weiter ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro für angemessen erachtet und den Beklagten auch zur Haftung für künftige Schadensfolgen verpflichtet. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ist die Revision zugelassen worden.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 14.11.2007 – 7 U 101/06 –

Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 16.11.2007

, , , ,