In einem Büro eines Versicherungsmaklers fielen bei der Frankierung von Briefumschlägen einige Umschläge auf, weil diese nicht, wie sonst üblich, eine maschinenschriftliche Adressierung, sondern eine handschriftliche Adressierung aufwiesen Aufgrund der markanten Handschrift und der Adressierung geriet ein Mitarbeiter, zu dessen Tätigkeiten es u.a. gehörte, die seine Arbeit betreffende Post vorzubereiten und diese zum Frankieren in die zentrale Poststelle zu geben, in Verdacht die Briefe in den Umlauf gebracht zu haben.
Das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters wurde fristlos, hilfsweise fristgerecht gekündigt. Hiergegen reichte er Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht Frankfurt am Main ein und argumentierte, er habe nicht versucht, sich rechtswidrig Leistungen seines Arbeitgebers „zu erschleichen“. Er habe nämlich nichts verheimlicht. Die Privatpost sei denn auch als solche erkannt und behandelt worden. Aus zeitlichen Gründen habe er zum Zeitpunkt der jeweiligen Fertigstellung seiner Privatpost nicht mehr die Möglichkeit gehabt, diese noch direkt bei einer Poststelle aufzugeben. Sein Verhalten sei mit einem Diebstahlsversuch nicht zu vergleichen, sodass sowohl eine außerordentliche wie eine ordentliche Kündigung unverhältnismäßig sei.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main wies die Klage ab, auch die hiergegen zum Hessischen Landesarbeitsgericht eingelegte Berufung des Mitarbeiters blieb erfolglos und wurde mit Urteil vom 14.05.2007, AZ: 16 Sa 1885/06, zurückgewiesen.
Aus den Gründen:
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Denn der Kläger hat dadurch, dass er zweimal, (…) private Briefe in die Geschäftspost gegeben hat, um diese durch die Frankiermaschine der Beklagten frankieren zu lassen, in erheblichem Maß gegen vertragliche Pflichten verstoßen und damit das Arbeitsverhältnis so belastet, dass der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung seitens der Beklagten als angemessene und billigenswerte Reaktion anzusehen ist. (…)
Im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses ist ein Arbeitnehmer, wie der Kläger, vertraglich nicht nur verpflichtet, die versprochenen Dienste zu leisten (§ 611 BGB). Vielmehr ist ein Arbeitnehmer darüber hinaus zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen seines Vertragspartners gehalten (§ 241 Abs. 2 BGB). Zu den einen Arbeitnehmer treffenden Nebenpflichten gehört es auch, die private Nutzung der vom Arbeitgeber zur Erreichung der von ihm verfolgten Betriebszwecke zur Verfügung gestellten Betriebsmittel zu unterlassen. Denn ein Arbeitnehmer ist ohne Billigung durch den Arbeitgeber nicht berechtigt, diese Betriebsmittel privat in Anspruch zu nehmen, zumal dem Arbeitgeber insoweit zusätzliche Kosten entstehen (vgl. BAG 07. Juli 2005, AP Nr. 192 zu § 626 BGB). Zu solchen Betriebsmitteln zählt auch eine zum Freimachen von Geschäftspost bestimmte Frankiermaschine. Wird diese vom Arbeitnehmer unberechtigterweise privat genutzt, liegt darin ein Verstoß gegen die nebenvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf Rechte seines Vertragspartners.
Ein solcher Vertragsverstoß ist auch erheblich. Denn durch die private Nutzung von Betriebsmitteln verhält sich der Arbeitnehmer nicht nur objektiv vertragswidrig, sondern er bricht, unabhängig vom Wert eines möglichen Schadens, in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit. Ein Arbeitgeber ist nämlich regelmäßig darauf angewiesen, darauf zu vertrauen, dass seine Arbeitnehmer die von ihm eingesetzten Betriebsmittel ausschließlich zur Verfolgung der arbeitstechnischen Zwecke des Betriebs, nicht aber für eigene Zwecke zu benutzen. (…)
Ausschlaggebend kann auch nicht der Umstand sein, welcher Schaden für den Arbeitgeber durch das Verhalten des Arbeitnehmers eingetreten ist oder eingetreten wäre. Die unberechtigte Nutzung von Betriebsmitteln zu privaten Zwecken wird nicht deshalb zu einer vernachlässigenden Lappalie, weil der Schaden gering ist. Auch eine geringe Schadenshöhe ändert nämlich nichts daran, dass der Arbeitnehmer unberechtigterweise in erheblichem Maß in die Rechtssphäre seines Vertragspartners, nämlich dessen Befugnis, den Verwendungszweck betrieblicher Einrichtungen zu bestimmen, eingreift und damit in erheblichem Umfang vertrauensbezogene Nebenpflichten verletzt.
Der Kläger handelte im vorliegenden Fall, als er seine Privatpost zur Frankierung durch Einrichtung der Beklagten in den Geschäftspostlauf gab, auch widerrechtlich. Denn weder war von der Beklagten allgemein im Betrieb oder dem Kläger gegenüber persönlich gestattet worden, Privatpost in der Weise frei zu machen, dass Betriebsmittel der Beklagten benutzt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass solches, unabhängig von einer ausdrücklichen Genehmigung, im Betrieb der Beklagten schlicht „hingenommen“ wurde, sind weder vorgetragen worden noch sonst wie ersichtlich.
Der Kläger handelte auch schuldhaft. Mangels Kenntnis von einer allgemein oder einer für ihn im Einzelfall erteilten Genehmigung der Beklagten und mangels jeglichen Vortrags, aus dem sich ergeben könnte, dass der Kläger von einer „stillschweigenden“ Genehmigung der Beklagten ausgehen durfte, muss die Berufungskammer annehmen, dass der Kläger wusste, dass er Privatpost nicht in der vorgenommenen Weise auf Kosten der Beklagten frankieren lassen durfte. (…)
Auf eine Abmahnung des Klägers als mildere Maßnahme kann die Beklagte nicht verwiesen werden. Richtig ist, dass eine Abmahnung auch bei Handlungsweisen, die den sog. Vertrauensbereich, wie hier, berühren, nicht stets entbehrlich, sondern notwendig ist, wenn ein steuerbares Verhalten in Rede steht und erwartet werden kann, dass das Vertrauen wieder hergestellt wird (vgl. BAG 04. Juni 1997, AP Nr. 137 zu § 626 BGB). Das rechtfertigt sich daraus, dass grundsätzlich eine negative Prognose Voraussetzung für die einseitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung ist, die eines rechtfertigenden Grundes bedarf (vgl. BAG 10. November 1988, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; BAG 21. November 1996, AP Nr. 130 zu § 626 BGB) und bei Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers in vielen Fällen nur eine vorangegangene erfolglose Abmahnung die greifbare Gefahr weiterer Störungen des Arbeitsverhältnisses bei dessen Fortsetzung zu prognostizieren vermag. Das bedeutet freilich nicht, dass eine „Negativprognose“ nur bei vorangegangener erfolgloser Abmahnung angestellt werden kann. Vielmehr indiziert ein Arbeitnehmer das Risiko künftiger Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses, wenn er einen Pflichtverstoß begeht, dessen Rechtswidrigkeit ohne weiteres erkennbar und dessen Hinnahme durch den Arbeitgeber offenkundig ausgeschlossen ist (vgl. z.B. BAG 10. Februar 1999, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969; BAG 12. August 1999, a.a.O.). Denn in einem solchen Fall ergibt sich die Zukunftsbezogenheit des Verhaltens aus der Vergangenheit, nämlich der Schwere der Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer (vgl. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 336). Dann ist eine Abmahnung zur Begründung der Negativprognose nicht erforderlich.
So liegt der Fall hier. Wie bereits ausgeführt, konnte und durfte der Kläger mit vertretbaren Überlegungen nicht davon ausgehen, die Beklagte werde die Nutzung, jedenfalls die mehrfache Nutzung des betrieblichen Postlaufs, insbesondere die Frankierung von Privatpost dulden. Denn dafür fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt. Dass entsprechende ausdrückliche Hinweise der Beklagten fehlten, ist insoweit unerheblich. Auch ohne solche Hinweise musste ein Arbeitnehmer, wie der Kläger wissen, dass er zum betrieblichen Gebrauch bestimmte Sachen und Einrichtungen nicht für private Zwecke nutzen kann und darf. Etwas anderes mag gelten, soweit geringwertiges Büromaterial, das massenhaft vorhanden ist, wie etwa Briefumschläge, im Einzelfall, nämlich dann, wenn gerade kein eigenes Material zur Verfügung steht, privat in Anspruch genommen wird (vgl. dazu LAG Köln 30. September 1999, NZA-RR 2001, 83, 84). Solches kommt nämlich in der Praxis des Arbeitslebens immer wieder vor und wird in der Regel, soweit es sich um Einzelfälle handelt, ohne ausdrückliches entgegenstehendes Verbot auch hingenommen, jedenfalls kann ein Arbeitnehmer, soweit keine ausdrücklichen gegenteiligen Anordnungen bestehen, im Einzelfall mit einer Hinnahme rechnen. Hiermit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Denn hier hat der Kläger schlichtweg mehrfach versucht, die einem Absender von Post entstehenden Portokosten dadurch zu sparen, dass er Privatpost in den Geschäftspostlauf einbrachte, um so die Frankierung durch die Beklagte zu erreichen. Dafür, dass ein derartiges Verhalten, soweit nicht ein ausdrückliches Verbot besteht, als sozialadäquat anzusehen ist oder von einem Arbeitnehmer wie dem Kläger so angesehen werden kann, spricht nichts.
Soweit der Kläger demgegenüber darauf verweist, er habe aus zeitlichen Gründen nicht mehr die Möglichkeit gehabt, die besagten Briefe direkt bei einer Poststelle aufzugeben, vermag auch das das Verhalten des Klägers nicht so erscheinen zu lassen, dass es, ohne vorherige ergebnislose Abmahnung für eine Negativprognose untauglich wäre. Mangels irgendeines auch nur ansatzweise konkreten Vortrags dahingehend, dass und wieso die Absendung der besagten Briefe eilbedürftig war, belegt dieser Vortrag nicht mehr, als dass der Kläger den Kauf von Briefmarken scheute. Im Übrigen hätte, worauf bereits das Arbeitsgericht zutreffend aufmerksam gemacht hat, nichts entgegengestanden, die Beklagte – unter Umständen gegen Kostenerstattung – um Frankierung der Privatpost zu bitten. Wenn das, wie geschehen, unterblieb, spricht nichts dafür, dass der Kläger sich in der Tat in einer Art „Notsituation“ befunden hat. Dass eine solche „Notsituation“ im Übrigen an zwei Tagen bei jeweils drei Briefen bestanden haben soll, ist nach der Lebenserfahrung eher unwahrscheinlich.
Beachtet man zudem, dass die Beklagte sich, wie bereits ausgeführt, notwendigerweise darauf verlassen musste, dass der Kläger ihre Betriebsmittel nicht eigenmächtig und unbefugt privat nutzte, so war von der Beklagten aus Rechtsgründen nicht zu erwarten, dass sie das Verhalten des Klägers lediglich mit einer Abmahnung sanktionierte.
Der Vertragspflichtverstoß des Klägers erweist sich auch nicht deshalb als für eine außerordentliche Kündigung unzureichend, weil unter Berücksichtigung der Gesamtumstände sowie der Interessen beider Vertragsteile eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist für die Beklagte zumutbar gewesen wäre. Dies ist nämlich nicht der Fall. Der Kläger hat sich, wie ausgeführt, in erheblichem Maß vertragsuntreu verhalten. Denn er hat das notwendige Vertrauen der Beklagten in seine Integrität in erheblichem Maße zerstört. Ein Arbeitgeber wie die Beklagte hat ein berechtigtes schutzwertes Interesse daran, dass sich Arbeitnehmer wie der Kläger Eingriffen in ihre Rechtsposition enthalten und insoweit nicht unbefugt Betriebsmittel zur privaten Nutzung verwenden. Ein erhebliches Interesse an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses resultiert vor allem daraus, dass es der Beklagten mit zumutbaren Anstrengungen letztlich nicht möglich ist, durch Kontrollvorrichtungen sicherzustellen, dass ein Arbeitnehmer sich den Umstand, dass Geschäftspost frankiert werden muss, für private Zwecke zunutzen macht. Insoweit bleibt der Beklagten letztlich nichts anderes übrige, als auf die Rechtschaffenheit ihrer Arbeitnehmer zu vertrauen. Hat die Beklagte, wie im vorliegenden Fall, dieses Vertrauen berechtigterweise verloren, hat der Kläger einer auch nur temporären Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jede Basis entzogen.
Das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger überwiegt auch im Übrigen das Interesse des Klägers am Erhalt seines Arbeitsplatzes jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Richtig ist und bleibt, dass die außerordentliche Kündigung, der damit verbundene sofortige Verlust des Arbeitsplatzes und der wirtschaftlichen Existenzgrundlage sowie der in der Regel bleibende Makel für das Berufsleben den Kläger hart trifft. Demgegenüber fällt jedoch entscheidend ins Gewicht, dass der Kläger bewusst und gewollt eine erhebliche Pflichtverletzung begangen hat, die das unabweisbare Vertrauen in die Loyalität und Redlichkeit des Klägers auf Seiten der Beklagten zerstört hat. Hinzu kommt, dass die Beklagte eben auch im Hinblick auf die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Betriebsführung ein erhebliches schutzwertes Interesse daran hat, dass sich Arbeitnehmer wie der Kläger Eingriffen in die Rechtsposition ihres Arbeitgebers durch Nutzung von Betriebsmitteln zu privaten Zwecken enthalten. Richtig ist zwar, dass viel dafür spricht, dass eine Kündigung wegen des an individualrechtlichen Maßstäben orientierten Kündigungsschutzrechts nicht deshalb gerechtfertigt sein kann, weil der Arbeitgeber mit ihr „ein Exempel statuieren“ oder allgemeine generalpräventive Zwecke verfolgen will (vgl. Preis, a.a.O., S. 337). Das schließt es aber nicht aus, dass im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung die Auswirkungen des Fehlverhaltens des Arbeitnehmers auf die betriebliche Organisation und die in ihr beschäftigten Arbeitnehmer mit zu berücksichtigen sind (vgl. Kammerurteil vom 17. September 2001 – 16 Sa 588/01). So ist es hier. Gerade weil die Beklagte unabdingbar darauf angewiesen ist, Geschäftspost zu frankieren, hat sie ein berechtigtes Interesse daran, dass diese Notwendigkeit nicht zu privaten Zwecken missbraucht wird und es Schule macht, dass Privatpost in die Geschäftspost „geschmuggelt“ wird.
Hält man sich zudem vor Augen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien im Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung mit nicht einmal 3 ½ Jahren eine Dauer hatte, die nicht allzu lange ist, so kann auch von einem durch lange Betriebszugehörigkeit gewonnenen Vertrauensbonus gegenüber dem Kläger nicht die Rede sein. Berücksichtigt man letztendlich, dass der Kläger ein Lebensalter aufweist, bei dem alles dafür spricht, dass er, unbeschadet einer außerordentlichen Kündigung, einen neuen Arbeitsplatz finden wird, so kann auch nicht davon die Rede sein, dass der Ausspruch der außerordentlichen Kündigung gegenüber dem Kläger eine im Verhältnis zu dem ihm zu Recht angelasteten Verhalten unangemessene Härte ist.
Hessisches LAG, Urteil vom 14.05.2007, AZ: 16 Sa 1885/06
Vorinstanz: Arbeitsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26. Juli 2006 – 22 Ca 966/06 –