Brandenburgisches Oberlandesgericht – THC-Grenzwerte und Fahreignung


Die Brandenburger Bußgeldstelle verhängte gegen einen Autofahrer wegen Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung berauschender Mittel eine Geldbuße von 350 Euro und setzte ein Fahrverbot von einem Monat gegen ihn fest. Das Amtsgericht Perleberg sprach den Autofahrer von diesem Tatvorwurf frei, weil allein die festgestellte Konzentration Tetracydrocannabinol von 1,2 ng/ml im Serum ohne entsprechenden Fahrfehler und körperliche Ausfallerscheinungen nicht belege, dass er entsprechend § 24 a Abs. 2 StVG unter der Wirkung berauschender Mittel gestanden habe.
Das Amtsgericht hat sich auf ein Sachverständigengutachten bezogen, das es u.a. zu der Frage eingeholt hatte, ob die beim Betroffenen festgestellte Konzentration von THC und Amphetamin aus wissenschaftlicher Sicht (nicht) geeignet sei, die Möglichkeit einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit zu begründen. Der Sachverständige sei hinsichtlich der Frage des Cannabiskonsums zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Fahrsicherheit (erst) dann angenommen werden könne, wenn der von der Grenzwertkommission empfohlene Wert von 1 ng/ml THC erreicht sei. Das Bundesverfassungsgericht habe das Bestimmungsmedium zur Feststellung der entsprechenden Grenzwerte jedoch nicht benannt, so dass nicht feststehe, ob es sich hierbei um eine Konzentration „im Blut“ oder „im Serum“ handeln soll. Da sich entsprechend dem Sachverständigengutachten insoweit ein Umrechnungsfaktor von 1 („im Blut“) zu 2 („im Serum“) ergebe, sei davon auszugehen, dass der Grenzwert bei 2,0 ng/ml im Serum liege und im vorliegenden Fall damit nicht erreicht sei.

Die gegen den Freispruch von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsbeschwerde hatte beim OLG Brandenburg Erfolg, die Sache wurde zurück verwiesen.

Aus den Gründen:

Gemäß § 24 a Abs. 2 Satz 1 StVG in der seit dem 1. August 1998 geltenden Fassung handelt ordnungswidrig, wer zumindest fahrlässig unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24 a StVG aufgeführten berauschenden Mittels – hier: Cannabis – im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt. Nach der Legaldefinition des § 24 a Abs. 2 Satz 2 StVG liegt eine solche Wirkung vor, wenn eines der betreffenden Mittel im Blut nachgewiesen ist. Der Gesetzgeber hat insoweit keinen Mindestgrenzwert bestimmt, sondern ein generelles Verbot eingeführt, weil einerseits eine Quantifizierbarkeit der Dosis-Wirkungsbeziehung nicht möglich sei und exakte Drogengrenzwerte somit nicht definierbar seien, andererseits auch schon bei sehr geringen Mengen im Blut eine Gefährdung möglich sei. Der Gesetzgeber ist ferner davon ausgegangen, dass die Regelung nicht unverhältnismäßig sei, weil ein milderes Mittel zur Bewältigung der Verkehrssicherheitsproblematik derzeit nicht zur Verfügung stehe und die betreffenden Substanzen auch nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Genuss des berauschenden Mittels im Blut nachweisbar seien, so dass bei einem entsprechendem Nachweis die aktuelle Beeinflussung des Betroffenen belegt sei. (vgl. BTDrucksache 13/3764, S. 5f; 13/8979, S. 6)

Im Hinblick darauf, dass sich infolge des technischen Fortschritts THC im Blut nunmehr wesentlich länger – „über mehrere Tage, unter Umständen sogar Wochen“ – nachweisen lasse, hat das Bundesverfassungsgericht durch Kammerbeschluss vom 21. Dezember 2004 entschieden, dass nicht mehr jeder Nachweis von THC im Blut für eine Verurteilung ausreiche. § 24 a Abs. 2 StVG sei vielmehr verfassungskonform auszulegen: Es müsse eine Konzentration festgestellt werden, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdeliktes als möglich erscheinen lasse, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen habe, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt gewesen sei (BVerfG NJW 2005, 349, 351). Das werde in der Wissenschaft zum Teil erst ab dem von der Grenzwertkommission in ihrem Beschluss zu § 24 a Abs. 2 StVG vom 20. November 2002 angegebenen „Grenzwert von 1 ng/ml“ angenommen (BVerfG aaO.). Das Bundesverfassungsgericht hat damit keinen bestimmten Grenzwert vorgegeben, sondern lediglich klargestellt, dass der Wirkstoffnachweis ab bestimmten (Mindest)Werten den Rückschluss erlaube, der Täter habe bei der Teilnahme am Straßenverkehr unter der tatbestandlich relevanten Wirkung des Rauschmittels gestanden.

Die Arbeitsgruppe für Grenzfragen und Qualitätskontrolle der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Gesellschaft für Forensische und Toxikologische Chemie, die sog. Grenzwertkommission, hat im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in ihrer Sitzung vom 24. Oktober 2005 durch einstimmigen Beschluss bekundet, dass die 1 ng/ml-Grenze für THC als „Entscheidungsgrenze“ anzusehen sei, die unter der Voraussetzung geeigneter Nachweisverfahren auch den erforderlichen und ausreichenden Sicherheitszuschlag enthalte (vgl. Eisenmenger NZV 2006, 24, 25 mit Nachweisen). Dem ist die obergerichtliche Rechtsprechung gefolgt.

Danach reicht es für die Feststellung des Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis aus, wenn bei einer Blutuntersuchung auf THC im Blutserum, welche den von der Grenzwertkommission vorausgesetzten Qualitätsstandards genügt (vgl. Eisenmenger aaO.), ein Messergebnis ermittelt wird, welches den von der Grenzwertkommission empfohlenen analytischen Grenzwert von 1 ng/ml THC im Serum erreicht; Zuschläge für Messungenauigkeiten sind dabei nicht erforderlich (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. Januar 2007 – 3 Ss 205/06, BA 2007, 101 f; OLG Schleswig, Beschl. v. 18. September 2006 – 1 Ss OWi 119/06, Zit. aus juris; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29. November 2006 – 1 SS (B) 44/2006 (57/06), NJW 2007, 309, 310; OLG Bamberg, Beschl. v. 8. August 2005 – 2 Ss OWi 551/05, BA 2006, 238, 239; OLG Köln, Beschl. v. 30. Juni 2005 – 8 Ss-OWi 103/05, NStZ-RR 2005, 385, 386; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 13. April 2005 – 1 Ss 50/05 BA 2006, 235, vgl. auch Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht 19. Aufl. § 24 a StVG Rdnr. 5 a).

Der Senat hat keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung der Oberlandesgerichte abzuweichen. Eine Verurteilung nach § 24 a Abs. 2 StVG erfordert nicht, dass eine tatsächliche Wirkung des Rauschmittels im Sinne einer konkreten Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit bei dem Betroffenen im Einzelfall festgestellt und nachgewiesen wird. Verfassungsrechtlich geboten ist lediglich die Einschränkung des ein abstraktes Gefährdungsdelikt darstellenden Tatbestandes für die Fälle, in denen das Verhalten des Täters für das betroffene Rechtsgut – die Sicherheit des Straßenverkehrs – kein reales Gefährdungsrisiko bewirkt. Dies kommt nur in Betracht, wenn die festgestellte Konzentration des Rauschmittels so gering ist, dass keinerlei Wirkung und Beeinträchtigung für die Verkehrssicherheit mehr vorliegen kann. Da es weiterhin an gesicherten, in Wissenschaftskreisen einhellig akzeptierten Erkenntnissen über die Dosis-Konzentrations-Wirkungsbeziehungen, welche eine exakte Festlegung von Grenzwerten analog denen für die Blutalkoholkonzentration (vgl. § 24 a Abs. 1 StVG) erlauben würden, fehlt, (vgl. die Zusammenstellung von Krause, HRRS 4/2005, 138, 145- 149), ist insoweit lediglich sicherzustellen, dass vom blutanalytischen Wirkstoffnachweis nur solche Konzentrationen berücksichtigt werden, die „deutlich oberhalb des Nullwertes“ liegen (vgl. BVerfG NJW 2005, 349, 351). Diesen Anforderungen werden die von der „Grenzwertkommission“ festgelegten analytischen Grenzwerte gerecht, bei denen es sich nicht um Gefahrengrenzwerte oder feststehende Werte, ab denen die Leistungsfähigkeit gemindert ist, sondern um vom wissenschaftlichen Fortschritt abhängige, pharmakodynamische und rein analytische Grenzwerte handelt (Bönke, BA 2004 Suppl. 1, S. 6), die – ohne zusätzlich erforderliche Zuschläge für Messunsicherheiten – den sicheren Nachweis zulassen, dass der Betreffende noch unter der Einwirkung zuvor genossenen Rauschmittels steht (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2007, 309, 310 m.w.N.).

Entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Auffassung unterliegt es auch keinem Zweifel, dass es sich – betreffend dem danach geltenden analytischen Grenzwert – bei dem Medium, in dem die Konzentration gemessen wird, nicht um „Blut“, sondern „(Blut)Serum“ handelt (vgl. Eisenmenger aaO, S. 25 zu den einzelnen Werten „im Serum“, dort auch zu in der Schweiz geltenden, abweichend bestimmten analytischen Grenzwerten „im Blut“). Dass das Bundesverfassungsgericht – das sich hinsichtlich eines konkret anzuwendenden Grenzwertes auch nicht festgelegt hat – in seiner Entscheidung das Untersuchungsmedium zu dem genannten Wert von 1,0 ng/ml nicht genau bezeichnet hat, steht dem nicht entgegen. Denn die Kammer hat sich hierbei (vgl. BVerfG NJW 2005, 349, 351) u.a. auch auf die Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bezogen, das in dem zitierten Beschluss das Medium genau bezeichnet hat („1 ng/ml im Serum“, BayObLG NJW 2003, 1681, 1682). (…)

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. März 2007, AZ: 1 Ss (OWi) 291 B/06 5312 Ss-OWi 72/06 – Volltext (pdf)
Vorinstanz: Amtsgericht Perleberg, Urteil vom 6. Juni 2006, AZ: 358 Js-OWi 21312/05

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