Angeklagter führt online ein Prozesstagebuch und schreibt sich um Kopf und Kragen


Ein treffendes Beispiel dafür, dass das Sprichwort „Schweigen ist Gold“ insbesondere im Strafrecht zutrifft, liefert ein Verfahren vor dem Landgericht Aachen. Zwischen 1999 und 2001 soll ein Gesamtschullehrer aus Wassenberg eine zu Beginn erst 13 Jahre alte Schülerin in acht Fällen sexuell missbraucht haben. Zu Prozessbeginn legte der Angeklagte vor dem Aachener Landgericht ein Teilgeständnis ab. Allerdings verteidigte sich der angeklagte Lehrer nicht nur vor Gericht sehr beredt, er führte auch ein Prozesstagebuch und veröffentlichte dies im Internet.
Das Gericht zeigt sich befremdet und lehnte ein Gesprächsangebot des Verteidigers ab, der die Möglichkeit einer Verfahrensabsprache mit dem Zweck der Festlegung einer Strafobergrenze mit dem Ziel einer Bewährung ausloten wollte. Dem Gericht lagen Ausdrucke der Internetseite des Angeklagten vor. Von einer „Wende im Missbrauchs-Prozess“ die Rede, „Vermeintliches Missbrauchs-Opfer im Zwielicht“, die „frühreife Hauptbelastungszeugin“ wird zitiert, Zeugenaussage interpretiert und Schlussfolgerungen gezogen wie „Lügengebäude bricht allmählich zusammen“. Auch wo das mutmaßliche Opfer, die auch Nebenklägerin ist, heute arbeitet, werde mehrfach betont.

Damit hat sich der Angeklagte einen Bärendienst erwiesen. Das Landgericht Aachen verurteilte ihn wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Ein Geschlechtsverkehr mit der Schülerin im Frühjahr 1999 konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Zu diesem Zeitpunkt zählte die Schülerin noch 13 Jahre, so dass diese Tat als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern mit einem wesentlich höheren Strafmaß bewertet worden wäre. Die Aussetzung der ausgesprochenen Strafe zur Bewährung war allerdings – da die Freiheitsstrafe zwei Jahre übersteigt – ausgeschlossen.

Es steht jedem Angeklagten frei, ob er aussagt oder nicht. Er darf zum Tatvorwurf schweigen, er kann eine Aussage machen, dabei darf er auch ungestraft lügen. Niemand darf zu einem Geständnis gezwungen werden. Ein Geständnis, welches der Angeklagte hier zumindest teilweise abgelegt hat, ist ein zu berücksichtigender Strafmilderungsgrund. Über die Beweiskraft eines Geständnisses entscheidet das Gericht in freier Beweiswürdigung nach § 261 StPO. Wie diese Beweiswürdigung ohne Kenntnis des Gerichts von den Veröffentlichungen im Internet ausgefallen und ob das Gericht zu einer bewährungsfähigen Strafe gekommen wäre, ist zwar Spekulation. Allerdings hat sich der Angeklagte hier um einen wesentlichen Strafmilderungsgrund gebracht, da sein Geständnis für das Gericht als nicht von „offensichtlicher Reue“ getragen angesehen wurde.

Quellen:
Aachener-Zeitung Online vom 05.10.2007 – Sex mit Schülerin: Angeklagter Lehrer bricht in Tränen aus
Aachener-Zeitung Online von 24.10.2007 – Psychiater sieht keine Schuldminderung
RP-Online vom 10.11.2007 – Richterin: „Ich bin befremdet“
RP-Online vom15.11.2007 – Gericht vermisst ehrliche Reue
Aachener Zeitung Online vom 15.11.2007 – Dauerhaft aus der Bahn geworfen

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