Das Kriminalgericht Moabit


Den Berliner Ortsteil Moabit gibt es nicht mehr, zunächst ist er im Bezirk Tiergarten aufgegangen, dieser wiederum 2002 durch die Berliner Bezirksreform in dem neugeschaffenen Bezirk Mitte.  Als Synonym für die Berliner Strafjustiz steht der Begriff Moabit weiterhin. Das in der Turmstraße 91 gelegene Gerichtsgebäude, in dem nahezu die gesamte Berliner Strafjustiz untergebracht ist, wird nach wie vor als das Kriminalgericht Moabit bezeichnet.

Das Kriminalgericht ist das größte Gerichtsgebäude Europas. Direkt an den ausgedehnten Gebäudekomplex des Moabiter Gerichts schließt sich die gleichnamige Justizvollzugs- und Untersuchungshaftanstalt an. Alle Berliner Strafsachen werden ausschließlich bei den Strafabteilungen des Amtsgericht Tiergarten und den Strafkammern beim Landgericht Berlin verhandelt. Die Strafabteilungen des Amtsgerichts sind in der Turmstraße 91 untergebracht, die Verkehrs- und Wirtschaftsabteilungen befinden sich in einem separaten Gerichtsgebäude in der nahe gelegenen Kirchstraße 6. Teile des Bereitschaftsgerichts in Strafsachen befinden sich im Gebäude des Landeskriminalamtes Tempelhofer Damm 12.

Das Amtsgericht Tiergarten entscheidet in allen Fällen, für die ein Strafrichter oder das Schöffengericht zuständig sind. Ebenfalls im Kriminalgericht sind die Strafkammern des Berliner Landgerichts untergebracht. Das Landgericht ist in erster Instanz für alle Fälle der schweren Kriminalität zuständig. In zweiter Instanz wird über Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts Tiergarten entschieden. Im Kriminalgericht Moabit ist darüber hinaus ein Großteil der Berliner Staatsanwaltschaft untergebracht.

Kriminalgericht Moabit; Foto: Kümmerle

Mit der Anzahl der im Kriminalgericht beschäftigten Richter, Staatsanwälte, Wachtmeister, Kanzleikräfte, Archivare usw., den täglich über 1.000 Besuchern und Prozessbeteiligten erreicht das Kriminalgericht Moabit ohne weiteres die Bevölkerungszahl einer Kleinstadt. Böse Zungen behaupten, dieser Mikrokosmos hätte demgemäß auch eigene Gesetzmäßigkeiten entwickelt, das sog. „Moabiter Landrecht“.

Ursprünglich befand sich das Berliner Kriminalgericht in unmittelbarer Nähe des jetzigen Standortes an der Rathenower Straße/Ecke Alt-Moabit. Die Strafabteilungen der zwei Berliner Landgerichte und der Amtsgerichte I und II litten aber bereits nach wenigen Jahren unter Raummangel, so dass die Strafabteilungen der Berliner Amtsgerichte in Moabit konzentriert werden sollten, dort wo sich mit der Moabiter Haftanstalt bereits ein großes Untersuchungsgefängnis befand. Ein geräumiger Neubau wurde von daher notwendig.

Das von Baurat Vohl 1902 begonnene und am 17.04.1906 eingeweihte Gebäude mit seinen zwei 60 Meter hohen Türmen, war seinerzeit hochmodern. Es war der erste Stahlbetonbau auf dem europäischen Festland und – während auf den Moabiter Straßen noch Petroleumlampen brannten – das erste elektrisch erleuchtete Gebäude Berlins mit einem eigenen Kraftwerk, Zentralheizung und Aufzügen. Die imposante Eingangshalle misst 29 Meter in der Höhe und 27 Meter in der Breite. Die Bodenfliesen tragen die Insignien KCG – Königliches Criminal Gericht. An den Umgängen sind Figurengruppen mit Darstellungen der „Religion“, „Gerechtigkeit“, „Streitsucht“, „Friedfertigkeit“, „Lüge“ und „Wahrheit“ angebracht. Zwölf Höfe und 17 Treppenhäuser birgt der mächtige Altbau. Ein System versteckt verlaufender Gänge, ermöglicht es, Angeklagte aus der Untersuchungshaftanstalt vom Publikum unbemerkt bis in die Gerichtssälen zu führen und von dort ebenso unbemerkt wieder zurück.

In den sechziger und siebziger Jahren erfolgten Erweiterungsbauten, das Kriminalgericht verfügt in der Wilsnackerstr. 4 noch über einen weiteren Eingang zu den Gebäuden B, D und E. Und auch einzelne Verhandlungssäle mussten im Laufe der Zeit veränderten Sicherheitslagen angepasst werden. Den sog. „700er“ beispielsweise hat man mit gesonderten Eingangsschleusen, Panzerglasboxen und schusssicheren Fenstern, zum Hochsicherheitstrakt umgebaut.

Auf Grund der Größe des Gebäudes, der weitläufigen Gänge mit den separaten Treppenhäusern, fällt es nicht nur Gerichtsunkundigen schwer, sich zurecht und vor allem den richtigen Saal zu finden. Schon im April 1906 soll die Norddeutsche Allgemeine Zeitung die Möglichkeiten der Orientierung im Moabiter Kriminalgericht mit den Worten beschrieben haben: „Um sich in dem Labyrinth von Korridoren, Treppen und Seitengängen zurechtzufinden, wird es eines längeren Studiums bedürfen“.

Der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Michael Grunwald, beschrieb zum 100jährigen Bestehen des Kriminalgerichts die seiner Meinung nach „einfache Überschaubarkeit“ des Gebäudes wie folgt:

„Es hat im Mittelteil, um die Haupthalle herum, drei und ansonsten vier für Besucher relevante Etagen, die über ein gutes Dutzend versteckter und offener Treppen erreichbar sind. Drei Längsgänge in Ost-West-Richtung und fünfeinhalb bis sechs Quergänge durchkreuzen jede Etage. Zur Haupthalle hin verlaufen der vordere und mittlere Längsgang im Übergang vom Drei- ins Vieretagensystem in Zwischenetagen. Die Nummerierung der Räume tut ein Übriges zur Orientierungshilfe. Sie beginnt beispielsweise im Untergeschoss im vorderen Längsgang rechts von der Haupthalle mit Raum 201. Die ungeraden Anfangszahlen sind der linken Gebäudehälfte vorbehalten. Der Übergang zu den weiteren Gerichtsgebäuden B, C, D und E befindet sich von der Haupthalle aus betrachtet in der rechten hinteren Gebäudeecke, wo man beispielsweise bei Raum 429, also im ersten Obergeschoss, über eine Halbtreppe in die dritte Etage des Gebäudes C und dort logischerweise zu den Räumen C 201 ff gelangt.“ (Berliner Morgenpost, 20.08.2006: Michael Grunwald, Die Leiden des jungen Z.) Da bleiben keine Fragen offen, man muss es selbst erlebt haben. Der Verfasser selbst erklärt Mandanten, die staunend fragen, wie man sich in dem Gebäude überhaupt zurecht finden kann gern, dass jedes Jahr bei der Inventur jemand gefunden wird, der es nicht geschafft hat. Manche glauben diesen Witz sogar.

In seiner über 100jährigen Geschichte hat das Kriminalgericht Moabit viele Prozesse erlebt, große und kleine:

Als der Schuhmacher Wilhelm Voigt in Köpenick die Stadtkasse beschlagnahmte, war das Kriminalgericht gerade wenige Monate in Betrieb. Der „Hauptmann von Köpenick“ kann also für sich beanspruchen, einer der ersten gewesen zu sein, dem am 1. Dezember 1906 im Kriminalgericht der Prozess gemacht wurde.

Seither schrieben viele Angeklagte die Geschichte des Kriminalgerichts fort. George Grosz stand hier wegen Gotteslästerung vor Gericht und wurde freigesprochen, die „Meisterdiebe von Berlin“, die Brüder Erich und Franz Sass, wurden zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt, der Rechtsanwalt Horst Mahler, einst Gründungsmitglied der RAF, wurde wegen Bankraubs und Gefangenenbefreiung, später dann wegen wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung verurteilt, hier erhielt er 2004 auch sein vorläufiges Berufsverbot. Der Boxer Gustav „Bubi“ Scholz, Topterrorist Johannes Weinrich alias „Carlos“, Kaufhauserpresser Arno Funke alias „Dagobert“, Schauspieler Klaus Löwitsch, der Schiedsrichter Robert Hoyzer, Stasi-Chef Erich Mielke, ein ehemaliger Staatsratsvorsitzender, sogar ein ehemaliger CDU-Fraktionschef, standen in Berlin bereits vor Gericht.

Wer das wirklich imposante Kriminalgericht besuchen möchte, sollte die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Parkplätze vor dem Gericht und auch in der weiteren Umgebung sind Raritäten. Weiter sollte ein Lichtbildausweis nicht fehlen, ohne diesen darf man die gründliche Eingangskontrolle nicht passieren. Wer einen Termin im Gericht wahrzunehmen hat, sollte etwas früher erscheinen, da die Kontrollen sich hinziehen können und vor allem seine Ladung nicht vergessen. Film- und Fotoapparate, Diktier- und sonstige elektrische Geräte, dürfen nur in Ausnahmefällen mit besondere Genehmigung eingebracht werden. Achtung, auch Mobiltelefone mit Kamerafunktion fallen darunter. Die Mitnahme von Werkzeugen, Scheren, Messern, Weckern, CD- und MP3-Playern,Walkman, Radios, Glas- und Gasflaschen, Dosen, Luftpumpen, Trillerpfeifen, Gassprays und Pistolen etc. ist verboten.

Quellen:
Amtsgericht Tiergarten Senatsverwaltung für Justiz Landgericht Berlin Senatsverwaltung für Justiz
Wikidedia – Kriminalgericht Moabit
Spiegel-Online, Recht sprechen am Rande des Nervenzusammenbruchs
Berliner Morgenpost, 20.08.2006: Michel Grunwald, Die Leiden des jungen Z.
Die Zeit: U. Fichtner, Die Strafkolonie
Pressemitteilung de Senatsverwaltung für Justiz Nr. 31/2006 vom 26.04.2006: Neues Kriminalgericht Moabit wird 100

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