LG Coburg und die Bagatellschadengrenze – Kfz-Sachverständige dürfen regelmäßig bei Schäden ab 700 Euro eingeschaltet werden


Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall ist die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners verpflichtet, den Fahrzeugschaden zu zahlen. Um festzustellen, wie hoch dieser ist, kann der Geschädigte einen eigenen Kfz-Sachverständigen mit der Begutachtung seines Fahrzeuges beauftragen. Die Kosten für die Erstellung eines Gutachtens hat ebenfalls die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung zu tragen. Nach einer Entscheidung des LG Coburg vom 20.07.2007 muss die Gutachterbeauftragung aber unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erforderlich und zweckmäßig sein. Dies sei regelmäßig erst bei Schäden ab 700 Euro der Fall.

In dem entschiedenen Fall, hatte eine Autofahrerin nach einem unverschuldeten Unfall einen Sachverständigen mit der Feststellung des Schadenumfanges beauftragt. Die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung zahlte zwar die von diesem ermittelten Reparaturkosten in Höhe von 718 Euro, lehnte aber die Kosten für den Kfz-Sachverständigen in von Höhe 320 Euro ab. Die Autofahrerin hätte lediglich einen Kostenvorschlag einholen, nicht aber die unverhältnismäßig hohe Sachverständigenvergütung verursachen dürfen. Das wollte die Autofahrerin nicht hinnehmen und klagte. Die auf Zahlung der Gutachterkosten gerichtete Klage hatte beim Amtsgericht Erfolg, auch in der Berufungsinstanz bekam die Autofahrerin beim Landgericht Coburg Recht.

LG Coburg, Urteil vom 20.7.2007, Az: 33 S 36/07 (rechtskräftig)

Aus den Gründen:

Das LG Coburg wies darauf hin, dass der Gegner Sachverständigenkosten nur dann ausgleichen müsse, wenn die Begutachtung zur Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig sei. Das sei aus Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters zu beurteilen. Es komme darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Bei der Beantwortung dieser Frage könne der später festgestellte Schadensumfang zumindest ein Gesichtpunkt sein. Die sog. Bagatellschadensgrenze liege derzeit in einem Bereich von 700,- €. Im zu entscheidenden Fall habe die geschädigte Autofahrerin bei Einschaltung des Sachverständigen angesichts des Schadensbildes mit Reparaturkosten in mindestens dieser Höhe rechnen dürfen, was im Übrigen durch das Gutachten bestätigt werde. Ein Verstoß gegen ihre Schadensminderungspflicht könne ihr daher nicht angelastet werden.

Mit dieser Entscheidung hat das LG Coburg die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes umgesetzt. Der BGH hatte bereits 2004 (Urteil vom 30.11.2004, Az: VI ZR 365/03) entschieden, dass für die Beurteilung, ob die Kosten eines Sachverständigengutachtens zum erforderlichen Herstellungsaufwand gehören und vom Schädiger zu ersetzen sind, im Rahmen tatrichterlicher Würdigung auch die von dem Gutachter ermittelte Schadenshöhe zu berücksichtigen ist.

BGH, Urteil vom 30.11.2004, Az: VI ZR 365/03

Aus den Gründen:

Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB (n.F.) auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1988 – X ZR 112/87 – NJW-RR 1989, 953, 956). Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (n.F.) erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. Senatsurteil vom 6. November 1973 – VI ZR 27/73 – VersR 1974, 90, insoweit in BGHZ 61, 346 nicht abgedruckt).

Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (vgl. zur Beauftragung eines Rechtsanwalts Senatsurteil vom 8. November 1994 – VI ZR 3/94 – NJW 1995, 446, 447). Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte (vgl. Senatsurteile BGHZ 54, 82, 85 und 61, 346, 349 f.; Geigel/Rixecker, Der Haftpflichtprozeß, 24. Aufl., 3. Kap., Rn. 111). Diese Voraussetzungen sind zwar der Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verwandt. Gleichwohl ergeben sie sich bereits aus § 249 BGB, so daß die Darlegungs- und Beweislast hierfür beim Geschädigten liegt (vgl. Senatsurteil BGHZ 61, 346, 351; Baumgärtel/Strieder, 2. Aufl., § 249 BGB, Rn. 7).

Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist (…) nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen – wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs – ausgereicht hätten (vgl. Wortmann, VersR 1998, 1204 f.).

Die Auffassung (…), die Beauftragung eines Sachverständigen sei erforderlich gewesen, weil der Schaden im Streitfall mehr als 1.400 DM (715,81 €) betragen habe und es sich deshalb nicht um einen Bagatellschaden gehandelt habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Betrag liegt in dem Bereich, in dem nach allgemeiner Meinung die Bagatellschadensgrenze anzusiedeln ist (vgl. MünchKommBGB/Oetker, 4. Aufl., § 249 BGB, Rn. 372 m.w.N.; Wussow/Karczewski, 15. Aufl., Kap. 41, Rn. 6 m.w.N.).

Quelle: Pressemitteilung des LG Coburg vom 03.08.2007

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