Der BGH hat mit Beschluss vom 18.07.2007, Az: 1 StR 280/07, die Revision eines Angeklagten verworfen, der die Rüge erhoben hatte, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft seine Vernehmung als Zeugen verwertet. Mit Urteil vom 03. 07.2007, AktZ.: 1 StR 3/07, hatte der BGH die rechtlichen Voraussetzungen präzisiert, unter denen die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind, einen Verdächtigen über seine Beschuldigtenrechte zu belehren.
Im jetzt entschiedenen Verfahren sah der BGH diese Voraussetzungen nicht als gegeben. Rechtsfehlerhaft wäre die Verwertung nur dann, wenn der bei der Vernehmung als Zeuge belehrte Vernommene bereits zu diesem Zeitpunkt die Stellung eines Beschuldigten gehabt hätte und deshalb nicht nach § 55 StPO, sondern nach § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 StPO zu belehren gewesen wäre.
„Der § 136 StPO zugrunde liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt subjektive und objektive Elemente. Die Beschuldigteneigenschaft setzt – subjektiv – den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich – objektiv – in einem Willensakt manifestiert (…). Wird gegen eine Person ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, liegt darin ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich dessen Vorliegen danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt (eingehend: Urteil des Senats vom 3. Juli 2007 – 1 StR 3/07, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Dieser Grundsatz gilt auch für Vernehmungen. Allerdings ergibt sich bereits aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO, dass im Strafverfahren auch ein Verdächtiger im Einzelfall als Zeuge vernommen werden darf, ohne dass er über die Beschuldigtenrechte belehrt werden muss (…; Urteil des Senats vom 3. Juli 2007 aaO; …). Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter abklären; da er mithin nicht gehindert ist, den Vernommenen mit dem Tatverdacht zu konfrontieren, sind hierauf zielende Vorhalte und Fragen nicht zwingend ein hinreichender Beleg dafür, dass der Vernehmende dem Vernommenen als Beschuldigten gegenübertritt. Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung ergeben.
Ergibt sich die Beschuldigteneigenschaft nicht aus einem Willensakt der Strafverfolgungsbehörden, kann – abhängig von der objektiven Stärke des Tatverdachts – unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Beschuldigtenrechte gleichwohl ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorliegen. Ob die Strafverfolgungsbehörde einen solchen Grad des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie einen Verdächtigen als Beschuldigten vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen Beurteilung. Im Rahmen der gebotenen sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls kommt es dabei darauf an, inwieweit der Tatverdacht auf hinreichend gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich Tat und Täter oder lediglich auf kriminalistischer Erfahrung beruht. Falls jedoch der Tatverdacht so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde andernfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn dennoch nicht zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird (…).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien ergibt sich, dass zum Zeitpunkt der Vernehmung (…) der Geschädigte zwar bereits über einen Monat als vermisst gemeldet war, sein Tod war den ermittelnden Beamten jedoch noch nicht bekannt geworden. Vielmehr konnte, wie sich aus dem Vermerk des KHK K. (…) ergibt, auch noch mehr als drei Monate nach der fraglichen Vernehmung mangels weiterer Erkenntnisse weder ein Unglücksfall noch eine Straftat ausgeschlossen werden. Letztlich blieb damals sogar die Möglichkeit offen, dass der Geschädigte noch lebte und lediglich unbekannten Aufenthalts war, (…).“
BGH, Beschluss vom 18.07.2007, Az: 1 StR 280/07