Neues Versicherungsvertragsgesetz für 2008 vorgesehen


Versicherungsnehmer bekommen ab 2008 mehr Rechte. Der Bundestag hat am 05.07.2007 den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf für ein Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (VVG) angenommen. Nach jahrelangen erbitterten Diskussionen zwischen Verbraucherschützern und Vertretern der Versicherungswirtschaft ist der Weg damit frei für die Reform des Versicherungsrechts.
Das derzeit geltende VVG aus dem Jahre 1908 entspricht in weiten Teilen nicht den Bedürfnissen des Verbraucherschutzes und steht zudem im Widerspruch zur Rechtsprechung. Der Gesetzentwurf berücksichtigt so die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.2005, AktZ.: 1 BvR 80/95, zur Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung und des Bundesgerichtshofs vom 12.10.2005, AktZ.: IV ZR 162/03, zur Berechnung von Mindestrückkaufswerten. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Bundesgerichtshof hatten bemängelt, dass Lebensversicherungskunden von den Versicherern benachteiligt werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 01.01.2008 neue gesetzliche Regelungen zu schaffen, was mit dem neuen VVG geschehen ist.

Die Neuregelungen im Einzelnen:

Beratung und Information der Versicherungsnehmer
Versicherer müssen die Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Vertrages künftig besser beraten und informieren. Die Beratung ist auf die Wünsche und Bedürfnisse der Versicherungsnehmer abzustellen. Der erteilte Rat muss klar und verständlich formuliert werden. Es muss klargestellt werden, wann die Versicherung zahlt und wofür sie haftet. Die Beratung hat sich auch auf das laufende Versicherungsverhältnis zu erstrecken. Will ein Versicherungsnehmer z. B. einen Lebensversicherungsvertrag kündigen, ist er auf die Möglichkeit hinzuweisen, den Vertrag ohne Prämienzahlung fortzusetzen.

Das Beratungsgespräch ist zu dokumentieren. Im Streitfall erleichtert das dem Versicherungsnehmer die Beweisführung, z.B. bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen fehlerhafter Beratung. Der Versicherungsnehmer kann aber auf Beratung oder deren Dokumentation verzichten, etwa weil es sich um eine einfache Versicherung handelt oder weil er sich bereits umfassend informiert hat. Es erfolgt keine Zwangsberatung. Der Verzicht ist nur wirksam, wenn er durch gesonderte schriftliche Erklärung erfolgt und der Versicherer den Versicherungsnehmer zuvor ausdrücklich auf die nachteiligen Auswirkungen des Verzichts, so z.B. die genannten Beweisprobleme hingewiesen hat. Die Praxis wird zeigen, ob die Versicherer von dieser Möglichkeit der Umgehung der Beratungs- und Dokumentationspflicht überobligatorisch Gebrauch machen.

Wenn der Vertrag über einen selbständigen Vermittler abgeschlossen wird, gelten die Beratungs- und Dokumentationspflichten für den Vermittler entsprechend. Verletzen Versicherer oder Vermittler ihre Beratungs- oder Dokumentationspflichten, machen sie sich ggf. schadensersatzpflichtig.

Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer künftig – wie bei anderen Verträgen auch – über die Vertragsbestimmungen und die allgemeinen Versicherungsbedingungen vor Vertragsschluss informieren. Die bisherige Praxis, dem Versicherungsnehmer in der Regel erst mit dem Versicherungsschein sämtliche Vertragsunterlagen zuzuschicken, soll damit unterbunden werden. Welche Informationen dem Versicherungsnehmer mitzuteilen sind, wird in der Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG Info-V) geregelt werden. Auch hier kann der Versicherungsnehmer darauf verzichten, vor Abgabe der Vertragserklärung über einzelne Vertragsbestimmungen und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen informiert zu werden, es ist allerdings dann auch eine gesonderte schriftliche Erklärung erforderlich.

Vorvertragliche Anzeigepflichten
Der Versicherungsnehmer muss vor Vertragsschluss grundsätzlich nur solche Umstände offen legen und anzeigen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. Das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand für das versicherte Risiko erheblich ist, liegt damit nicht mehr beim Versicherungsnehmer.

Eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht berechtigen den Versicherer nur noch dann zum Rücktritt vom Vertrag, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat. Der Versicherer kann den Vertrag aber unter bestimmten Voraussetzungen mit Wirkung für die Zukunft kündigen oder die Fortsetzung zu anderen Bedingungen verlangen.

Der Versicherer muss seine Rechte innerhalb einer Ausschlussfrist (3 Jahre in der privaten Krankenversicherung, sonst 5, bei vorsätzlichem oder arglistigem Handeln innerhalb von 10 Jahren) geltend machen.

Direktanspruch gegen Pflichtversicherung
Bislang gab es einen Direktanspruch gegen den Versicherer nur im Bereich der KfZ-Haftpflichtversicherung. Künftig kann ein Geschädigter darüber hinaus bei allen Pflichtversicherungen den Versicherer unmittelbar in Anspruch nehmen, wenn über das Vermögen des Schädigers ein Insolvenzverfahren eröffnet, ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt oder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, oder wenn der Aufenthalt des Schädigers unbekannt ist.

Vereinheitlichung des Widerrufsrechts
Das Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen wird unabhängig vom Vertriebsweg vereinheitlicht. Nach dem neuen Recht können nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmer einen Vertrag widerrufen. Die Widerrufsfrist beträgt zwei Wochen, bei der Lebensversicherung 30 Tage. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn dem Versicherungsnehmer sämtliche Vertragsbedingungen und Informationen übermittelt worden sind. Die bislang geltende absolute Ausschlussfrist von einem Jahr entfällt ersatzlos.

Abschaffung des „Alles-oder-Nichts-Prinzips“
Eine der wichtigsten Neuregelungen ist die Abschaffung des sog. „Alles-oder-Nichts-Prinzips“, wonach der Versicherer bei Verletzung vertraglicher Pflichten des Versicherungsnehmers vollständig von seiner Leistungspflicht aus dem Vertrag befreit wurde. Nunmehr bemessen sich die Folgen danach, wie stark sein Verschulden wiegt.

Ein Versicherungsnehmer hat nach derzeitiger Rechtslage keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Lediglich wenn ihm leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, hat er Anspruch auf volle Entschädigung. Auch nach neuer Rechtslage wird es dabei bleiben, dass der Versicherer bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen des Versicherungsnehmers von seiner Pflicht zur Leistung frei wird. Einfach fahrlässige Verstöße bleiben für den Versicherungsnehmer folgenlos. Bei grob fahrlässigen Verstößen des Versicherungsnehmers gegen Obliegenheiten kann die Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens gekürzt, jedoch nicht mehr vollständig versagt werden. Der Versicherer wird zumindest anteilig leisten müssen.

Das Prinzip der Unteilbarkeit der Prämie wird abgeschafft
Bei Kündigung des Versicherungsvertrages im Laufe des Versicherungsjahres oder Beendigung durch Rücktritt, muss der Versicherungsnehmer künftig die Prämie nur noch bis zum Beendigungszeitpunkt zahlen. Nach geltendem Recht schuldet der Versicherungsnehmer die volle Jahresprämie auch dann, wenn der Versicherungsvertrag nicht zum Ende der Versicherungsperiode von regelmäßig einem Jahr, sondern im Laufe des Versicherungsjahres endet. Kündigt also der Versicherer den Vertrag aufgrund Zahlungsverzugs des Versicherungsnehmers vor Ablauf der Versicherungsperiode so sind die Beiträge nach neuem Recht lediglich bis zum Zeitpunkt der Kündigung zu zahlen.

Wegfall der Klagefrist
Der Versicherungsnehmer muss, nachdem der Versicherer die Leistung schriftlich abgelehnt hat, nach geltendem Recht seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung binnen sechs Monaten gerichtlich geltend machen (§ 12 Abs. 3 VVG). Nach Ablauf dieser Ausschlussfrist ist der Versicherer endgültig von seiner Leistung frei. Diese einseitige Verkürzung der Verjährungsfrist zu Lasten der Versicherungsnehmer fällt ersatzlos fort.

Anspruch auf Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung
Nach dem neuen VVG können Versicherungsnehmer künftig auf höhere Gewinne aus ihrer Lebensversicherung hoffen. Denn die Versicherer müssen künftig einen großen Teil ihrer stillen Reserven an die Kunden ausschütten. Der Anspruch auf Überschussbeteiligung wird im Gesetz als Regelfall verankert.

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seinem Urteil zur Überschussbeteiligung vom 26.07.2005 entschieden, dass Versicherungsnehmer angemessen auch an den noch nicht realisierten Gewinnen durch Wertsteigerungen aus Anlagen beteiligt werden müssen, weil die Investments mit ihren Prämien finanziert worden sind.

Die Versicherungsunternehmen müssen nach dem Gesezesentwurf die stillen Reserven offen legen und den Versicherungsnehmer jährlich über den auf ihn entfallen Teil unterrichten. Die Hälfte der stillen Reserven, die durch die Beiträge des Versicherungsnehmers erwirtschaftet worden sind, ist auszuzahlen – allerdings erst bei Beendigung des Vertrags. Das kann nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit oder nach Kündigung geschehen. Die andere Hälfte verbleibt im Unternehmen. Entstehen in einem Jahr keine stillen Reserven, sondern stille Lasten, bekommt der Versicherte nichts.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes hat jeder Versicherungsnehmer diesen Anspruch, und zwar für die Restlaufzeit seines Vertrages nach Inkrafttreten. Bereits erfolgte Überschussbeteiligungen für die Zeit vor Inkrafttreten.

Anspruch auf Modellberechnung bei Lebensversicherung
Der Versicherungsnehmer ist darüber zu unterrichten, welche Leistungen aus dem Vetrag zu erwarten sind. Die Angaben müssen realistisch sein und dem Versicherungsnehmer deutlich machen, dass es sich nur um Prognosen und nicht um garantierte Leistungszusagen handelt. Um Missbrauchsgefahren zu verhindern, werden die Versicherer verpflichtet, eine Modellrechnung zu überlassen, bei der die mögliche Ablaufleistung unter Zugrundelegung realistischer Zinssätze dargestellt wird.

Berechnung des Rückkaufswerts
Von dem neuen Gesetz profitieren werden auch die Verbraucher, die ihre Lebensversicherung in den ersten Jahren kündigen. Weil die Versicherer mit den ersten Prämien die Vertreterprovisionen bezahlen, bekommen Verbraucher bisher nur einen Teil ihres Geldes oder gar nichts zurück.

Der Rückkaufswert der Lebensversicherung ist nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.20.2005 nach dem Deckungskapital der Versicherung zu berechnen, dies gilt auch, wenn der Vertrag vorzeitig beendet wird. Deckungskapital ist das Kapital, welches vorhanden sein muss, um die Ansprüche des Versicherungsnehmers zu erfüllen.

Für die Berechnung des Rückkaufswertes wurde bisher auf den unklaren Begriff des Zeitwerts der Versicherung abgestellt. Der nach dem Deckungskapital berechnete Rückkaufswert wird im Regelfall höher sein als der nach dem Zeitwert berechnete. Das Urteil gilt jedoch nur für Verträge, die zwischen 1994 und 2001 geschlossen worden sind. Nach dem neuen VVG erhalten alle Versicherten, die eine Lebensversicherung nach dem 01.01.2008 abschließen und diese vorzeitig kündigen, einen Teil ihrer Beiträge zurück.

Kostentransparenz
Die Versicherungsnehmer sollen künftig erfahren, wie viel Geld an den Versicherungsvertreter geht. Die Versicherer werden daher verpflichtet, die jeweiligen Abschluss- und Vertriebskosten einer Lebens- oder einer privaten Krankenversicherung zu beziffern und offenzulegen. Die Einzelheiten werden in der geplanten Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) geregelt.

Geltung des neuen VVG
Das Gesetz wird voraussichtlich am 01.01.2008 in Kraft treten. Es wird dann für alle nach diesem Zeitpunkt geschlossenen Verträge gelten. Auf laufende Verträge (Verträge, die bis zum 31.12.2007 abgeschlossen werden) findet bis zum 31.12.2008 altes Recht Anwendung; danach gilt auch für diese Verträge das neue Recht. Die Neuregelung der Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung gilt auch für Altverträge schon ab dem 01.01.2008. Die Neuregelung der Berechnung der Rückkaufswerte gilt nur für Neuverträge, also für Verträge, die nach dem 01.01.2008 geschlossen werden.

Gesetz in der vom Bundestag verabschiedeten Fassung – BT-Drs. 16/5862

Die Reform des Versicherungsvertragsrechts hat nach dem Bundestag auch den Bundesrat passiert. Die Novelle wird am 1. Januar 2008 in Kraft treten.
PM des BMJ vom 21.09.2007: Bundesrat billigt neues Versicherungsvertragsrecht

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