Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seine Rechtsprechung zur Beweislastumkehr bei einem Verbrauchsgüterkauf nach § 476 BGB fortgeführt. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger erwarb – nach seinen Angaben als Verbraucher – von dem Beklagten, der einen Kraftfahrzeughandel betreibt, einen gebrauchten Personenkraftwagen mit einem Kilometerstand von 159.100 km zum Kaufpreis von 4.490 €. Etwa vier Wochen nach Übergabe wurde in einer Fachwerkstatt festgestellt, dass sich im Kühlsystem des Fahrzeugs zu wenig Wasser befand.
Nach der Demontage des Zylinderkopfes stellte sich weiter heraus, dass die Zylinderkopfdichtung defekt und die Ventilstege gerissen waren. Nachdem der Kläger den Beklagten vergeblich zur Beseitigung der Mängel aufgefordert hatte, erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag und erhob Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises.
Ein Rücktrittsrecht des Klägers besteht nur dann, wenn die nach der Übergabe festgestellten Fahrzeugmängel schon bei der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger vorhanden waren. Diese zwischen den Parteien streitige Frage konnte im Prozess nicht geklärt werden. Diese Ungewissheit wirkt sich grundsätzlich zu Lasten des Käufers aus. Für den Verbrauchsgüterkauf – den Kauf einer beweglichen Sache durch einen Verbraucher von einem Unternehmer – greift dem gegenüber nach § 476 BGB aus Gründen des Verbraucherschutzes eine Umkehr der Beweislast. Nach dieser Bestimmung wird regelmäßig vermutet, dass ein Sachmangel, der sich innerhalb von sechs Monaten seit der Übergabe an den Käufer zeigt, schon bei der Übergabe vorhanden war. Die Parteien stritten vornehmlich darüber, ob diese Vermutung dem Kläger im Streitfall zugute kommt. Amts- und Landgericht hatten dies unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verneint.
Der Bundesgerichtshof ist dem nicht gefolgt. Soweit er in zwei zuvor entschiedenen Fällen – dem Zahnriemenfall (BGH, Urteil vom 02.06.2004 – VIII ZR 329/03) und dem Turboladerfall (BGH, Urteil vom 23.11.2005 – VIII ZR 43/05) – eine Beweislastumkehr zugunsten des Käufers verneint hat, beruhte das darauf, dass dort schon nicht hatte geklärt werden können, ob der jeweils erst nach Übergabe des Fahrzeugs eingetretene Motor- bzw. Turboladerschaden seinerseits auf einen Mangel oder auf eine andere Ursache wie einen zur sofortigen Zerstörung des Motors führenden Fahrfehler des Käufers bzw. gewöhnlichen Verschleiß zurückzuführen war. Im Streitfall ist dagegen nicht ungeklärt geblieben, ob das Fahrzeug mangelhaft ist. Vielmehr steht dies fest. Nach dem unstreitigen Sachverhalt haben sich nach der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger Mängel in Gestalt der defekten Zylinderkopfdichtung und der gerissenen Ventilstege gezeigt. Ungeklärt geblieben ist allein die Frage, ob der Defekt der Zylinderkopfdichtung und die daraus folgende oder dafür ursächliche Überhitzung des Motors, auf die nach den Ausführungen des Sachverständigen auch das Reißen der Ventilstege zurückzuführen ist, bereits vor der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger eingetreten waren oder ob sie erst danach – durch einen Fahr- oder Bedienfehler des Klägers – entstanden sind. Insoweit begründet § 476 BGB die Vermutung, dass die – feststehenden – Mängel bereits bei Übergabe vorgelegen haben.
Entgegengetreten ist der Bundesgerichtshof auch der Hilfsbegründung des Berufungsgerichts, die Vermutung des § 476 BGB greife jedenfalls deswegen nicht ein, weil es sich um Mängel handele, die typischerweise jederzeit eintreten könnten und deshalb keinen hinreichend wahrscheinlichen Schluss darauf zuließen, dass sie schon bei der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger vorhanden waren. Diese Ansicht hat der Bundesgerichtshof, was das Berufungsgericht übersehen hat, bereits wiederholt abgelehnt, weil sie den mit der Vorschrift des § 476 BGB bezweckten Verbraucherschutz weitgehend leerlaufen ließe.
Da es für die Endentscheidung weiterer tatsächlicher Feststellungen insbesondere zu den Voraussetzungen eines Verbrauchsgüterkaufs bedarf, hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
BGH, Urteil vom 18. Juli 2007 – VIII ZR 259/06
Vorinstanzen: AG Halle-Saalkreis, Urteil vom 16. November 2005 – 101 C 943/03 ./. LG Halle, Urteil vom 13. September 2006 – 2 S 295/05
Quelle: Pressemitteilung Nr. 105/2007 vom 18.07.2007
Nachtrag vom 07.08.2007:
Auf einen offensichtlichen Widerspruch des BGH-Urteils zu den vorangegangenen Urteilen zum Eingreifen der Vermutung des § 476 BGB weist Prof. Dr. U. Wackerbarth im Corporate BLawG hin.
„Der VIII. Senat meint zunächst unter Tz. 15 zu früheren Urteilen zum Eingreifen der Vermutung des § 476 BGB, wenn man die genaue Ursache eines Mangels nicht kennt: ´[In den beiden Urteilen] griff die Vermutung jeweils nicht ein, weil in tatsächlicher Hinsicht nicht hatte geklärt werden können, ob im Zahnriemenfall (…) der Motorschaden durch einen Sachmangel des betreffenden Fahrzeugs oder auf andere Weise – durch einen zur sofortigen Zerstörung des Motors führenden Fahrfehler des Käufers – verursacht worden war.´
Eine Randnummer später (Tz. 16) heißt es zum aktuellen Fall: ´Nicht geklärt ist allein die Frage, ob der Defekt der Zylinderkopfdichtung und … die Überhitzung … bereits vor der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger eingetreten waren und deswegen die Mängelhaftung des Beklagten begründen oder ob sie – durch einen Fahr- oder Bedienungsfehler des Klägers – erst nach Gefahrübergang entstanden sind und deswegen der Beklagte nicht für sie haftet. Für diese Fallgestaltung begründet § 476 BGB gerade die in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung, dass die zutage getretenen Mängel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen haben.´“
Zu Recht stellt sich da die Frage, ob – wenn sich nicht klären lässt, ob ein behaupteter Mangel tatsächlich vor der Fahrzeugübergabe vorhanden war oder aber auf Fahrfehler des Käufers nach Gefahrübergang zurückzuführen ist – § 476 BGB nun, wie jetzt entscheiden – eingreift oder – wie in den vorangegangenen Urteilen – nicht. Die Ausführungen in den Tz. 15 und 16 des BGH-Urteils stehen sich zu dieser Frage jedenfalls widersprüchlich gegenüber.