OLG Oldenburg – Beweisverwertungsverbot, wenn Polizei generell Befugnis erteilt wurde, bei Blutprobenanordnung auf Richtervorbehalt zu verzichten


(c) Katzensteiner / Pixelio

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Im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle wurde der Betroffene angehalten, ein Polizeibeamter stellte „wässrige“ Augen fest. Der Betroffene erzählte freimütig, ohne belehrt worden zu sein, dass er am Vortrag Cannabis konsumiert habe. Mit einen Drogentest auf der Wache war der Betroffene einverstanden. Auf der Wache erzählte der Betroffene, diesmal nach Belehrung, täglich Cannabis zu konsumieren. De Drogenvortest verlief positiv. Daraufhin ordnete der Polizeibeamte ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft und ohne richterliche Anordnung die Entnahme einer Blutprobe an.

Auf die Einholung eines richterlichen Beschlusses verzichtete der Beamte, da er zuvor vom Leiter der Polizeiinspektion folgende E-Mail erhalten hatte:

„Liebe Kollegen, der Präsident des AG Osnabrück hat in einem Telefongespräch mit dem Polizeipräsidenten der PD … am 02.04.2008 eindringlich darauf hingewiesen, dass nach Rechtsauffassung des AG bei der Anordnung von Blutproben immer Gefahr im Verzuge vorliegt und somit eine richterliche Anordnung gem. § 81 a StPO nicht mehr erforderlich ist. Somit sind die Polizeivollzugsbeamtinnen und beamten und Beachtung der entsprechenden Rechtsvorschriften immer zur Anordnung einer Blutprobe ermächtigt. Dieses gilt am Tage und in der Nacht sowie Werktags und an Sonn und Feiertagen. Der PP hat in diesem Zusammenhang sowohl auf die bestehende Rechtsauffassung im Lande Niedersachsen (MI und MJ) als auch auf die Verfügungslage der PD hingewiesen, welche ebenfalls bei einschlägigen Sachverhalten immer das Vorliegen von Gefahr im Verzuge bejaht.“

Die entnommene Blutprobe ergab einen THC Wert von 6,5 ng/ml und einen THC-Carbonsäure-Wert von 150 ng/ml. Das Amtsgericht Lingen verurteilte den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 24 StVG, 24 a Abs. 2 und 3 StVO zu einer Geldbuße von 250,00 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Betroffene erkennen können und müssen, dass er möglicherweise unter Einfluss berauschender Mittel fuhr, da er nach eigenen Angaben regelmäßig täglich 1 „Köpfchen“ konsumierte. Das aufgrund der entnommenen Blutprobe erstattete Gutachten hielt das Amtsgericht für verwertbar. Auf die eingelegte Rechtsbeschwerde hob das OLG OLdenburg das Urteil des Amtsgerichts Lingen auf und sprach den Betroffenen frei.

Aus den Gründen:

Die dem Betroffenen entnommene Blutprobe und das daraus resultierende Gutachten vom 29.04.2008 waren nicht verwertbar. Die durch den Zeugen G… angeordnete Blutentnahme nach § 81 a StPO war wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt rechtswidrig. (…) Der Zeuge G… hatte die Blutprobe angeordnet, ohne auch nur versucht zu haben, einen richterlichen Beschluss zu erwirken. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge G… im konkreten Fall Gefahr im Verzug angenommen hat, oder davon ausgegangen wäre, dass eine richterliche Entscheidung nicht herbeigeführt werden könne, liegen nach den Feststellungen des Amtsgerichtes, die hierzu nichts enthalten, nicht vor. Der Zeuge hatte sich vielmehr auf die o.g. Mitteilung seiner vorgesetzten Dienststelle verlassen. Dieser Verfahrensverstoß führt vorliegend auch zu einem Beweisverwertungsverbot, also zur Unverwertbarkeit des Ergebnisses der Blutuntersuchung.

Zwar führt nicht jeder Verstoß gegen eine Beweiserhebungsvorschrift zu einem Verwertungsverbot. Vielmehr ist diese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbotes und des Gewichtes des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei bedeutet ein Beweiserhebungsverbot eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind, die nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 44. Band, 243,249). Ein Beweisverwertungsverbot wird von der Rechtsprechung bei willkürlicher Vornahme einer Maßnahme ohne richterliche Anordnung und damit bewusstem Ignorieren des Richtervorbehaltes oder gleichwertiger gröblicher Missachtung angenommen (vgl. BGHSt 51. Band, 285 ff).

Gemessen daran ist vorliegend von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen. Der Zeuge G… hat von der Einholung eines richterlichen Beschlusses abgesehen, weil ihm von seiner vorgesetzten Dienststelle mitgeteilt worden war, dass der Präsident des Amtsgerichts Osnabrück am 02.04.2008 bekannt gegeben habe, dass bei der Anordnung von Blutproben immer Gefahr im Verzuge bestehe und eine richterliche Anordnung nicht mehr erforderlich sei.

Unter diesen Umständen ist allerdings dem Zeugen G… nicht vorzuwerfen, dass er willkürlich gehandelt hat. Es liegt vielmehr ein grober Verstoß seiner Dienstvorgesetzten vor, die nicht dafür Sorge getragen haben, dass der Bedeutung des Richtervorbehalts auch auf der Ebene des Polizeibeamten vor Ort Rechnung getragen wurde. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass seinerzeit seitens des Amtsgerichtes Osnabrück sowie des Innenministeriums Niedersachsen als auch des Justizministeriums Niedersachsen die Auffassung vertreten wurde, bei „einschlägigen Sachverhalten“ liege immer Gefahr im Verzug vor.

Das OLG Hamm (Beschluss vom 12.03.2009, 3 Ss 31/09 (juris)) führt in diesem Zusammenhang aus: „Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei der Entwicklung der Rechtsprechung zum Richtervorbehalt um keine ganz junge Entwicklung mehr handelt. Die Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht dem Richtervorbehalt grundsätzlich zumisst, ist mindestens mit der Entscheidung vom 20.02.2001 (NJW 2001, 1121) deutlich geworden. In der Folgezeit ist die Bedeutung auch des einfach gesetzlichen Richtervorbehalts, u. a. auch bei § 81 a StPO, in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aufgezeigt und veröffentlicht worden (insbesondere mit den Beschlüssen vom 12.02.2007 = NJW 2007, 1345 und vom 31.10.2007 – 2 BvR 1346/07 – juris). Auch zum Zeitpunkt der hier in Frage stehenden Anordnung“ – Tatzeit in dem der Entscheidung des OLG Hamm zugrundeliegenden Sachverhalt war der 01.05.2008, somit weniger als zwei Wochen nach dem Tatzeitpunkt im vorliegenden Fall – „war die Relevanz des Richtervorbehalts nach § 81 a Abs. 2 StPO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts damit schon mehr als ein Jahr bekannt. Von einem Ausschluss der objektiven Willkür, weil zum Anordnungszeitpunkt die entsprechenden Rechtsfragen noch im Streit waren … kann daher nicht mehr die Rede sein … Die Schwere des Verstoßes ergibt sich hier also nicht daraus, dass ein Polizeibeamter im Einzelfall die Voraussetzungen des Richtervorbehalts verkannt oder nicht geprüft hat, sondern daraus, dass dessen Voraussetzungen … aufgrund langjähriger Praxis, also gleichsam einem „Fehler im System“, ungeprüft geblieben sind.“

Zwar ist hier eine langjährige Praxis nicht festgestellt worden. Der Fehler im System bestand allerdings darin, dass die Anordnung von Blutproben ausnahmslos dem Richtervorbehalt entzogen worden war.
Die bei Taten im Zusammenhang mit Alkohol und Drogen typischerweise bestehende abstrakte Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis der Tatbegehung erschwert oder gar verhindert wird, kann für sich allein jedoch noch nicht für die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges als ausreichend angesehen werden. Andernfalls würden die konkreten Umstände des Einzelfalles, etwa im Hinblick auf die jeweilige Tages oder Nachtzeit, die jeweiligen Besonderheiten am Ort der Kontrolle, die Entfernung zur Dienststelle bzw. zum Krankenhaus mit Erreichbarkeit eines Arztes oder den Grad der Alkoholisierung und seine Nähe zu rechtlich relevanten Grenzwerten, völlig außer Acht gelassen (OLG Bamberg NJW 09, 2146 f). So waren beispielsweise auch Fälle dem Richtervorbehalt entzogen, bei denen bei einer Atemalkoholmessung eine erhebliche Alkoholisierung festgestellt wurde, so dass es wegen klar zu erwartender Überschreitung der die Strafbarkeit begründenden Grenzwerte auf die Feststellung des genauen Blutalkoholwertes nicht ankam (vgl. Dencker, DAR 2009, 257, 258 mit weiteren Beispielen, in denen Gefahr im Verzug nicht anzunehmen ist).

Allerdings sahen das Landgericht Braunschweig (Beschluss vom 04.01.2008, 9 Qs 381/07 (juris)) und das Landgericht Hamburg (Beschluss vom 12.11.07, 603 Qs 470/07 (juris)) beim Verdacht auf Trunkenheitsfahrten eine Dringlichkeit als „evident“ an. Demgegenüber hatte das OLG Stuttgart mit Beschluss vom 26.11.2007 (Ss 532/07 (juris)) – also vor der dem Zeugen G… zur Kenntnis gebrachten Email – bei einem Sachverhalt, dem ebenfalls der Verdacht auf Teilnahme am Straßenverkehr unter Drogeneinfluss zugrunde lag, ausgeführt, dass die formellen Voraussetzungen für die Anordnung durch den Polizeibeamten nicht vorgelegen hätten, zumal im Idealfall die richterliche Anordnung binnen einer Viertelstunde telefonisch hätte erreicht werden können. Auch das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hatte im Beschluss vom 04.02.2008 (281/07 (REV) – 1 Ss 226/07(juris)) ausgeführt, dass in den Ermittlungsakten die Gefährdung des Untersuchungserfolges einzelfallbezogen zu begründen sei. Nicht ausreichend sei beim Nachweis von Alkohol und Drogen die typischerweise bestehende Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis erschwert oder gar verhindert werde.

Somit gab es bereits vor der dem Zeugen G… übermittelten Mail obergerichtliche Entscheidungen, in denen begründet dargelegt wurde, dass nicht pauschal für jeden Fall einer Blutentnahme bei Verdacht einer Alkohol oder Drogenfahrt bei Einschaltung eines Richters ein Beweismittelverlust drohte. Diesen gewichtigen Argumenten hätte sich die Polizeiführung nicht verschließen dürfen. Dem Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt bei derartiger Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zu (vgl. BGHSt 51. Band, 285,295,296).

Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben. Da es einer rechtlich zulässigen Grundlage für den Nachweis einer Fahrt des Betroffenen unter Drogeneinfluss fehlt und nicht ersichtlich ist, dass dieser auf andere Weise erlangt werden kann, war der Betroffene durch den Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG freizusprechen. Zwar hat der Betroffene nach Belehrung eingeräumt, täglich Cannabis zu konsumieren. Allein dadurch kann jedoch die erforderliche Feststellung, dass er unter der Wirkung berauschender Mittel im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt hat, nicht getroffen werden. Eine solche Wirkung liegt nämlich nur vor, wenn eine der in der Anlage zu § 24 a StVG genannten Substanzen im Blut nachgewiesen wird. Dieser Nachweis ist wegen der Unverwertbarkeit der Blutprobe nicht möglich. (…)

OLG Oldenburg, Beschluss vom 12.10.2009, Az: 2 SsBs 149/09

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