An einem 20. April soll mein Mandant auf dem Gelände einer Tankstelle Geburtstag gefeiert und zu „Ehren des Geburtstagskindes“ zusammen mit einer Gruppe junger kurzhaariger Männer „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ sowie mehrfach „Sieg Heil“ skandiert haben. Als sich die Gruppe von der Tankstelle zu einer Bushaltestelle begab, griff die bereits wartende Polizei zu und nahm alle Anwesenden fest. Mein Mandant beteuerte, nicht dazu zu gehören. Er hatte an der Bushaltestelle mit zwei Freunden gesessen und auf den Bus gewartet, als plötzlich das Chaos hereinbrach. Das gleiche erzählte er auch bei seiner Beschuldigtenvernehmung, allerdings waren seine zwei Freunde nirgendwo in der Akte erwähnt. Also klagte man ihn zusammen mit vier weiteren Männern wegen eines Vergehens nach § 86a StGB an.
Von den zwei Freunden waren in der Tat keine Personalien in der Akte vermerkt, mein Mandant meinte, sie wären auch nur kurz befragt worden, da sie offensichtlich wegen ihrer bunten Haare nicht ins Bild passten und sofort gehen durften. Anders mein Mandant, der wegen kurzer Haare wohl ins Beuteschema passte. Obwohl die Mitangeklagten und auch die Angeklagten eines Parallelverfahrens meinen Mandanten entlasteten, teilweise gar nicht kannten, schien das Gericht deutlich davon überzeugt, dass er dazu gehöre und mit gerufen habe. Von den ursprünglich vier Angeklagten waren am Ende des ersten Verhandlungstages nur mein Mandant und ein nicht verteidigter Mitangeklagter übrig, die standhaft das großzügige Angebot einer Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage nicht angenommen hatten. Die zwei Mitverteidiger sahen mich kopfschüttelnd an und gingen.
Auf den gestellten Beweisantrag die zwei Freunde zu laden und als Zeugen zu hören, setzte die Richterin missmutig einen nachmittäglichen Fortsetzungstermin an, zu dem dann auch eine Menge Polizisten geladen wurden. Es wurde zuerst der Einsatzleiter gehört, der im Brustton der Überzeugung aussagte, man habe nur Leute festgenommen, die von der Tankstelle kamen, an der Bushaltestelle sei keiner gewesen und man habe auch keinen gehen lassen. Auch niemanden mit bunten Haaren. Die zwei Freunde sagten anschließend übereinstimmend aus, mit meinem Mandanten an der Bushaltestelle gesessen und die Tankstelle nicht betreten zu haben. Sie hätten gehen dürfen, mein Mandant hingegen nicht. Beide wurden von der Staatsanwaltschaft anschließend zu Sau gemacht und ihnen wurden Verfahren wegen Falschaussage in Aussicht gestellt.
Für das Gericht war die Sache offensichtlich klar und man fragte, ob die weiteren Zeugen wirklich noch benötigt würden. Ja sicher doch. Dann kam eine junge Beamtin, die zu aller Überraschung aussagte, an der Bushaltestelle habe beim Zugriff eine Dreiergruppe gesessen, zwei Männer mit bunten und einer mit kurzen Haaren. Von denen habe sie die Personalien aufgenommen, auf einen Zettel notiert und diesen dem Einsatzleiter gegeben. Sie erkannte sogar die im Zuschauerraum sitzenden Freunde meines Mandanten wieder. Dem ebenfalls im Zuschauerraum sitzenden Einsatzleiter fiel das Grinsen aus dem Gesicht, er stand auf und wollte seine Aussage korrigieren. Durfte er dann auch. Nun wollte er nicht mehr ausschließen, dass es neben der Gruppe die von der Tankstelle kam, noch eine zweite Gruppe an der Haltestelle gab. Die Frage, wo der Zettel seiner Kollegin mit den Personalien hingekommen sei, konnte er allerdings nicht beantworten. Der müsse in dem Durcheinander wohl „weggekommen“ sein.
Die Richterin bot nun allen Ernstes eine Verfahrenseinstellung ohne Auflage an, was mit einigem Befremden abgelehnt wurde. Es warteten noch weitere Beamte draußen, auf die das Gericht wohl gern verzichtet hätte. Die Zeit war schon etwas fortgeschritten. Auf Wunsch eines einzelnen Verteidigers, dessen Tag ohnehin gelaufen war, mussten alle nacheinander rein und machten – oh Wunder – nur noch sehr vage Angaben. Draußen muss wohl eine kurze „Einsatzbesprechung“ stattgefunden haben. Es wurde spät, sehr spät, bis von der immer mehr missmutig dreinschauenden Richterin der Freispruch verkündet wurde, für meinen Mandanten und den noch übrig gebliebenen Mitangeklagten, bei dem das Gericht auch nicht mehr ausschließen mochte, dass er nicht dabei war.
Und die Moral von der Geschichte? Nimm nie das erstbeste Angebot an und kurze Haare machen noch keinen Nazi.