Die spätere Klägerin fuhr in einer Tempo 30-Zone rückwärts aus einer Parklücke heraus. Der Unfallgegner und spätere Beklagte näherte sich auf der Fahrbahn mit 20 km/h schneller als erlaubt. Dazu war er alkoholisiert und mit 1,23 o/oo absolut fahruntauglich. Es kam wie es kommen musste, die Fahrzeuge kollidierten und das Fahrzeug der Klägerin wurde beschädigt. Sie klagte und verlangte vor dem Landgericht Potsdam vollen Schadenersatz.
Nach den Feststellungen des vom Landgericht zu Rate gezogenen Sachverständigen wäre der Zusammenstoß bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vermieden worden. Darin sei das Verschulden des Beklagten zu sehen. Die Alkoholisierung des Beklagten sei hingegen nicht zusätzlich unfallverursachend gewesen. Die Klägerin habe nach Auffassung des Landgerichts den Unfall auch selbst mitverschuldet, da sie beim rückwärts ausparken den Verkehr nicht hinreichend beachtet hat. Daher teilte das Landgericht die Haftung mit jeweils 50 %. Die Berufung der Klägerin vor dem Oberlandesgericht Brandenburg hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Vorliegend kann nicht festgestellt werden, dass ein nüchterner Fahrzeugführer in der fraglichen Situation keine Schwierigkeiten gehabt hätte, den Unfall zu vermeiden, so dass der Anscheinsbeweis nicht greift. Insbesondere kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass es zu einer verspäteten Reaktion des Beklagten zu 1. in Form einer zu spät erfolgten Vollbremsung gekommen ist. Hinreichende Erkenntnisse zu einer solchen Annahme liegen nicht vor, weshalb letztlich die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung verbleibt. Diese ist jedoch kein sicheres Indiz dafür, dass ursächlich hierfür die Alkoholisierung aufgrund einer entsprechenden Enthemmung gewesen ist. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung in einer 30 km/h-Zone um 20 km/h fällt nicht derart aus dem Rahmen, dass sie einem nüchternen Fahrzeugführer in der Regel nicht unterläuft.
Dem damit auf Seiten des Beklagten zu 1. verbleibenden Verschuldensvorwurf hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung steht ein Verschulden der Klägerin aus § 10 StVO entgegen. (…) Der Klägerin ist vorzuwerfen, dass sie beim Rückwärtsfahren aus der Parklücke heraus in die Fahrbahn den in der Fahrbahn befindlichen Verkehr nicht hinreichend beachtet hat. (…) Davon kann hier ausgegangen werden, wobei regelmäßig der erste Anschein gegen den Ausfahrenden bei einer Kollision mit dem fließenden Verkehr spricht (Hentschel, § 10 StVO, Rn. 11), weshalb häufig das zurücksetzende Fahrzeug die Alleinhaftung trifft oder zumindest die überwiegende Haftung an einem Unfall (vgl. dazu auch Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 10. Aufl., Rn. 269, 270).
Der Anscheinsbeweis wird entkräftet durch bewiesene Tatsachen, die einen atypischen Verlauf möglich gemacht haben können. Als eine solche bewiesene Tatsache kann aber nicht jede Geschwindigkeitsüberschreitung des Unfallgegners angesehen werden, da damit der Zurücksetzende in gewissem Umfang rechnen muss. (…) Nach Auffassung des Senats sind die dem Beklagten zu 1. vorzuwerfende Geschwindigkeitsüberschreitung einerseits und der Verstoß der Klägerin gegen § 10 StVO andererseits gleich schwer zu bewerten, so dass eine Haftungsquote von 50 : 50 sachgerecht erscheint.
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 14.06.2007, AZ: 12 U 188/06 (PDF)
Vorinstanz: Landgericht Potsdam, Urteil vom 31.08.2006, AZ: 2 O 66/06