Gastbeitrag unseres Koopeationspartners, Rechtsanwalt Dr. Pagels aus Torgau:
Gut, der Wagen des Mandanten ist geblitzt worden und er bekommt einen Anhörungsbogen als Betroffener. Er sagt mir, dass nicht er, sondern sein Sohn es gewesen sei. Ich rate ihm zu schweigen, und einen Bußgeldbescheid abzuwarten. Der kommt dann auch einige Zeit später mit einem erheblichen Bußgeld plus Fahrverbot. Wir legen Einspruch ein. Nach Akteneinsicht und taggenau 3 Monaten und einen Tag nach der Fahrt schreiben wir der Bußgeldstelle, dass der Sohn es gewesen ist. Dies haben wir deshalb erst dann getan, damit der Sohnemann nicht mehr verfolgt werden, denn der Vorwurf verjährt binnen drei Monaten.
Der Vater war Betroffener in dem Bußgeldverfahren und hatte deshalb ein Schweigerecht und musste auch nicht sagen, dass es der Sohnemann gewesen ist. Die Bußgeldstelle nimmt den Bußgeldbescheid zurück. Sie will aber, dass mein Mandant seinen Verteidiger selbst bezahlt, denn er habe entlastende Umstände erst zu spät vorgetragen, hätte er es früher erzählt, wäre es gar nicht er erst zum Bußgeldbescheid gekommen, so die Bußgeldstelle. Es gibt tatsächlich eine gesetzliche Regelung, nach der man seine Verteidigerkosten selbst tragen muss, selbst wenn man gewinnt, aber entlastende Umstände ohne triftigen Grund erst verspätet vorträgt.
Dagegen lege ich Antrag auf gerichtliche Entscheidung ein. Diese Norm kann man nämlich nicht anwenden, wenn es „billigenswerte Gründe“ dafür gibt, erst so spät die Katze aus dem Sack zu lassen. Wenn man das deshalb macht, um einen nahen Angehörigen vor Verfolgung und Fahrverbot zu schützen, so ist das der klassische billigenswerte Grund. Die Sache sieht nach einem glatten Gewinner aus. Diese Vorgehensweise der Verteidigung entspricht dem kleinen ein mal eins und wird von nahezu jedem brauchbaren Rechtsanwalt, der regelmäßig als Verteidiger arbeitet, sicher beherrscht. Das spielt aber alles im April 2008.
Meine Handakte geriet sodann bei mir in Vergessenheit, denn die Bußgeldstelle musste die Bußgeldakte ans Amtsgericht schicken und das Amtsgericht hätte hier jetzt etwas machen müssen, einen Beschluss, einen Hinweis, überhaupt irgendwas, dann hätte ich den Vorgang vorgelegt bekommen. Es passiert aber nichts. Deswegen schlummerte meine Handakte auch bei mir im Schrank still vor sich hin und schlief den Schlaf der Gerechten.
Im Dezember 2011 mache ich wie jedes Jahr bei mir in der Kanzlei die sogenannte Verjährungskontrolle. Dazu kontrolliere ich jede in der Kanzlei noch vorhandene Handakte, ob zum Jahresende etwas zu verjähren droht und unbedingt noch etwas gemacht werden muss, um die unangenehme Tatsache Verjährung zu vermeiden. So kriege ich auch diese Sache auf den Tisch. Den Landkreis, der Bußgeldbehörde ist, gibt es bereits nicht mehr; er ist fusioniert worden. Ich schreibe also an die neue Bußgeldstelle (sinngemäß): „Freunde, die Sache ist von April 2008, warum tut sich nichts?“. Die Sachbearbeiterin der Bußgeldstelle muss tief heruntersteigen ins feuchte und dunkle Kellergewölbe des Landratsamts (Archiv genannt) und antwortet schließlich:
Man habe die Bußgeldakte Ende April 2008 an das Amtsgericht E. geschickt. Man habe auch in 2009 und 2010 eine Sachstandsanfrage an das Gericht geschickt, das sich aber in Schweigen hüllte. Jetzt habe man aber massiv beim Gericht insistiert und jedenfalls in Erfahrung gebracht, dass der Vorgang am Gericht am 30.04.2008 einging und das gerichtliche Aktenzeichen „12 Cs Owi 1314/08“ (Az. geändert) trägt.
Jetzt habe ich mich heute an das Gericht gewandt. Mal sehen, was mir der Richter oder die Richterin (ggf. wenn ich eine unpassende Antwort erhalten sollte: der Amtsgerichtsdirektor) erklärt zu 45 Monaten Nichtbearbeitung. Ich würde fast wetten, die Akte ist dort hinter ein Regal gerutscht und so im spinnenwebenverhangenen Nirvana verschwunden. Entschieden werden muss jetzt aber noch.