Das Amtsgericht Tiergarten hatte den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung unter Verdoppelung der Regelgeldbuße zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde wurde vom Kammergericht zugelassen. Das Urteil wurde im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und an eine andere Abteilung des AG Tiergarten zurückverwiesen. Hier entnahm das Kammergericht den Urteilsausführungen, dass der Amtsrichter das Schweigen des Betroffenen , als etwas Ungehöriges bewertete, weil es darauf abziele, die Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht zu erschweren. Aufgrund der Verdoppelung der Regelgeldbuße lag für das Kammergereicht daher die Annahme nahe, dass hierbei eben dieses prozessual zulässige Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt worden ist. Da dies dem Kammergericht bereits bei früheren Verfahren aufgefallen war und ohne höchstrichterliche Entscheidung zu besorgen sei, dass der betreffende Amtsrichter seine rechtsfehlerhafte Praxis in gleich gelagerten Fällen fortsetzt und es nicht bei einem Einzelfall bleibt, gab es einen Ordnungsgong in Beschlussform.
Aus den Gründen:
(…) Betroffene wie auch Angeklagte sind nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu Beginn einer jeden – auch richterlichen – Vernehmung auf ihr Schweigerecht hinzuweisen und können von diesem Recht Gebrauch machen, ohne befürchten zu müssen, dass sich dies zu ihren Lasten auswirkt [vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 261 Rdn. 15]. Dieses elementare Recht besteht in jedem Straf- oder Bußgeldverfahren und seine Verletzung führt, ob bewusst oder unbewusst bewirkt, zu nicht hinnehmbaren Unterschieden in der Rechtsprechung, wenn das prozessuale Verhalten Eingang in die Beweiswürdigung oder Rechtsfolgenbemessung findet.
Genau dies ist vorliegend geschehen. Die Gründe des angefochtenen Urteils legen die Annahme nahe, dass der Tatrichter das Schweigen des Betroffenen im Rahmen der Bemessung der Geldbuße zu seinen Lasten gewertet hat. In den Urteilsausführungen wird das prozessuale Verhalten des Betroffenen mit den Worten zusammengefasst, dass sein „ Versuch…, dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern oder zumindest zu erschweren, dass er sich zur Sache nicht einließ, … gescheitert ist “ (…). Seine Berufung auf das Schweigerecht, auf das der Tatrichter ihn zuvor hingewiesen hatte, wird damit als Mittel gewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abzielt, die Aufklärung des Sachverhaltes durch das Gericht zumindest zu erschweren. Diese Wertung lässt besorgen, dass der Tatrichter das dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare entstammende Recht zu schweigen, das zu den elementaren Wesensmerkmalen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, nicht als solches ansieht, sondern als unlauter und seine Tätigkeit unnötig erschwerend begreift. Da er zugleich die Geldbuße gegenüber der – auch bei der höheren Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblichen – Regelbuße des Bußgeldbescheides verdoppelte, liegt die Annahme nahe, dass er hierbei eben dieses prozessuale Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt hat.
Dieser, dem Senat bereits aus früheren Verfahren bekannte und nun nicht mehr hinnehmbare Rechtsfehler veranlasst die Zulassung der Rechtsbeschwerde und führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruches des angefochtenen Urteils.(…)
KG, Beschluss vom 11.06.2010, Az: 3 Ws (B) 270/10, 3 Ws (B) 270/10 – 2 Ss 157/10 (Justiz Berlin-Brandenburg)
Nachtrag: Nachdem der Beschluss des Kammergerichts schon vor einiger Zeit für Fassungslosigkeit beim Kollegen Burhoff, seines Zeichens Richter am OLG Hamm a.D., sorgte und das lawblog heute ebenfalls berichtete, schließt sich der Kreis, denn der Berliner Kollege Hoenig kennt den betreffenden Richter ebenfalls und zwar als den „Schmatzer„. Moabit ist eben doch ein Dorf.