Die Mandantin fuhr nach einer Betriebsfeier mit ihrem Auto gut angeschickert nach Hause. Es gab Sekt, reichlich Sekt. Mit im Auto hatte sie noch einen Kollegen, der sich ebenfalls gut zurechtgemacht, über die Mitfahrgelegenheit freute. Man fuhr so dahin, plauderte und hörte Musik. Nachdem meine Mandantin den Kollegen abgesetzt hatte, fuhr sie nach Hause und stellte ihr Auto vor der Haustür ab, als zwei Beamte auf sie zutraten und ihr eröffneten, sie hätte einen Unfall verursacht. Da meine Mandantin recht deutlich nach Alkohol roch, nahm an sie gleich mit. Die Blutentnahme – sogar richterlich angeordnet – ergab eine BAK deutlich jenseits der Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit.
Auf der Fahrt habe meine Mandantin ein Fahrzeug überholt und beim Einscheren touchiert. An ihrem Auto und dem überholten Fahrzeug waren auch sehr deutliche Spuren vorhanden. Der Führerschein wurde gleich einbehalten und, da eine einschlägige Vorstrafe eingetragen war, Anklage erhoben. Gefährdung des Straßenverkehrs, und, da sie nach dem Unfall noch weiterfuhr, eine Unfallflucht mit einer weiteren Trunkenheitsfahrt, alles vorsätzlich begangen. Ich beantragte im Vorfeld ein Sachverständigengutachten zur Frage der Wahrnehmbarkeit. Der erste Hauptverhandlungstermin wurde nur mit dem Geschädigten und seiner Beifahrerin als Zeugen durchgeführt, also wurde nochmals ein Sachverständigengutachten beantragt und sogar ein Sachverständigenbüro vorgeschlagen, was aber mit dem Worten, das Gericht lasse sich nichts vorschreiben quittiert wurde.
Nun gut. Der Sachverständige sollte sein Gutachten mündlich erstatten, ich hoffte also auf einen schnellen Fortsetzungstermin. Weit gefehlt. Es dauerte vier Monate, bis der Herr Sachverständige Zeit für das Gericht hatte. Zwischenzeitlich gab es einen Dezernentenwechsel, ich hatte es nun mit einer sehr jungen, sehr aufgeregten Richterin (anscheinend auf Probe) zu tun. Der Sachverständige erklärte im Brustton der Überzeugung, das müsse meine Mandantin bemerkt haben und ließ sich auch durch Nachbohren zur Bauart des Autos im Allgemeinen und der Geräuschkulisse in geschlossen fahrenden Cabrios im Speziellen, nicht von seiner Meinung abbringen. Wenigstens bei der Frage ob denn durch Alkohol die Wahrnehmbarkeit hätte beeinträchtigt werden können, gab er zwar ausweichend, aber doch bejahend Auskunft. Da die Beweisaufnahme nicht wirklich glanzvoll verlaufen war und um den Eindruck den der Gutachter beim Gericht augenscheinlich hinterlassen hatte am Ende der Beweisaufnahme nicht so stehen zu lassen wurde beantragt, den Beifahrer als Zeugen zu hören.
Beim Fortsetzungstermin machte dieser seine Aussage, gab glaubhaft an, auch nichts bemerkt zu haben, so dass die Richterin überraschend ein Rechtsgespräch vorschlug. Ihr waren nach dem vorangegangenen Termin offensichtlich doch leise Zweifel an der Aussage des Gutachters gekommen. Da hatte ich mich in der jungen und immer noch aufgeregten Richterin wohl gehörig getäuscht. Wir kamen dann überein, die Unfallflucht mit der anschließenden Trunkenheitsfahrt nach § 154 StPO einzustellen, das ersparte dem Gericht einen Teilfreispruch. Hinsichtlich der verbleibenden fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs wurde eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt, die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von noch 3 Monaten ausgesprochen. Das war ein hervorragendes Ergebnis, welches die Mandantin mit einem erleichterten Lächeln aufnahm und das nach Rechtsmittelverzicht auch sofort rechtskräftig wurde. Durch die Verurteilung wegen Fahrlässigkeit anstelle der angeklagten Vorsatztaten kommt sie auch um die Verfahren- und Rechtsanwaltskosten herum, die zahlt nun ihre Rechtsschutz. Wenn sie jetzt noch durch die MPU kommt und ihre Fahrerlaubnis neu erteilt bekommt, wird sie hoffentlich künftig um Sektempfänge einen weiten Bogen machen.
Kleiner Lesetipp für Praktiker: Himmelreich/Bücken/Krumm, Verkehrsunfallflucht; das ist wahrlich gut investiertes Geld