OLG Celle – Beweisverwertungsverbot bei Anordnung der Blutentnahme durch Polizei bei erheblicher Alkoholisierung


Gegen 16.45 Uhr fuhr der spätere Angeklagte mit einem Lkw, obwohl er mit einer festgestellten Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,66 g ‰ absolut fahruntauglich war. Ein Polizeibeamter war dem Angeklagten ca. 3 km hinterhergefahren und hatte beobachtet, wie dieser relativ langsam und in Schlangenlinien fuhr. Ein Atemalkoholtest ergab einen Wert von 3,08 g ‰.
Der ermittelnde Polizeibeamte ordnete eine Blutentnahme an, wobei er davon ausging, dass eine solche Anordnung wegen Gefahr im Verzug stets zulässig sei. Deshalb war es ihm auch nicht in den Sinn gekommen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.

Der Angeklagte hatte in eine Blutentnahme nicht eingewilligt und in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck der Verwertung des Blutalkoholgutachtens widersprochen. Das Amtsgericht hielt das Ergebnis der Blutuntersuchung allerdings für verwertbar und verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25,00 Euro. Die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen und sein Führerschein eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die gegen die Verurteilung eingelegte Sprungrevision hatte beim OLG Celle zumindest vorläufigen Erfolg. Das Urteil wurde aufgehoben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückverwiesen. Nach Auffassung des OLG Celle unterliegt zwar das Ergebnis der Blutentnahme einem Beweisverwertungsverbot, ein Freispruch des Angeklagten komme aber trotzdem nicht in Betracht, weil es unabhängig von dem Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung Anhaltspunkte für eine Trunkenheitsfahrt gibt, denen das Amtsgericht bisher nicht ausreichend nachgegangen ist. Das OLG nimmt auch Stellung zu der Frage, ob eine richterliche Anordnung telefonisch, ohne Vorlage einer Akte, getroffen werden kann und bejaht dies – anders als das LG Limburg – ausdrücklich.

Aus den Gründen:

Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu. Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, die Anordnung des zuständigen Richters einzuholen, bevor sie selbst die Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2007, 1345 f., OLG Dresden, NJW 2009, 2149 ff., OLG Bamberg NJW 2009, 2146 ff.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs gemäß § 81a Abs. 2 StPO, die eine Anordnung der Blutentnahme durch den ermittelnden Polizeibeamten gerechtfertigt hätte, ist nicht belegt. Der ermittelnde Polizeibeamte hat vielmehr nicht einmal den Versuch unternommen, einen Richter oder jedenfalls einen Staatsanwalt zu erreichen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs war auch in keiner Weise evident.

Zunächst bedarf eine richterliche Anordnung gemäß § 81a Abs. 2 StPO nicht zwingend der Vorlage schriftlicher Akten, deren Herstellung in vielen Fällen eine Verzögerung der Untersuchung nach sich ziehen würde. In der Zeit zwischen dem Verdacht auf eine Trunkenheitsfahrt und dem Zeitraum, der allein durch die Benachrichtigung eines Arztes zur Entnahme der Blutprobe und dessen Ankunft vergeht, besteht regelmäßig hinreichende Gelegenheit, jedenfalls telefonisch eine richterliche Anordnung einzuholen.

Dies war auch hier der Fall. In der Revisionsbegründung wird mitgeteilt, dass die Blutentnahme um 17.26 Uhr erfolgte, also ca. 40 Minuten, nachdem der Angeklagte von der Polizei angehalten worden war. Der Atemalkoholtest erfolgte auf der Dienststelle nach einer Fahrtzeit von 15 bis 20 Minuten. Demnach blieben auch nach Durchführung des Atemalkoholtests bis zu der Blutprobenentnahme noch etwa 20 Minuten für die Einholung einer richterlichen Anordnung. Nach diesem Zeitablauf ist davon auszugehen, dass jedenfalls der Versuch, einen Richter zu erreichen und eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, zu keiner Verzögerung geführt hätte.

Eine fernmündliche richterliche Anordnung war auch nicht von vorneherein ausgeschlossen. Es handelte sich um einen überschaubaren und einfachen Sachverhalt, die Fahrereigenschaft des Beschuldigten stand außer Frage und es gab aufgrund seiner Fahrweise sowie nach dem Ergebnis des Atemalkoholtests konkrete Anhaltspunkte für eine alkoholische Beeinflussung, die den Verdacht einer Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB begründeten. Anhaltspunkte dafür, dass die richterliche Anordnung ohne Aktenvorlage verweigert worden wäre, sind weder dokumentiert noch sonst ersichtlich.

Eine etwaige weitere zeitliche Verzögerung wäre in dem konkreten Fall zudem hinzunehmen gewesen. Bei dem Angeklagten wurde ein Atemalkoholgehalt von 3,08 g ‰ gemessen. Gerade bei hohen Alkoholwerten kann der mögliche Abbau in der Regel unproblematisch durch Rückrechnung ausgeglichen werden. Zwar ist der tatsächliche Abbauwert von situativen und individuellen Faktoren (z.B. den Trinkgewohnheiten und der Konstitution des Betroffenen) abhängig. Die von der Rechtsprechung entwickelten Rückrechnungsformeln arbeiten demgegenüber mit allgemeinen Sicherheitszuschlägen und abschlägen, was zu Ungenauigkeiten führt. Je weiter sich die Atemalkoholwerte aber von den Grenzwerten zur Abgrenzung einer Ordnungswidrigkeit von einer Straftat bzw. zur absoluten Fahruntüchtigkeit entfernen, desto weniger ist eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch zeitliche Verzögerungen anzunehmen (vgl. hierzu OLG Hamm, NJW 2009, 242 ff., OLG Bamberg, NJW 2009, 2146 ff., Brandenburgisches OLG, 1 Ss 15/09 vom 25.03.2009 – zitiert nach juris –).

Zwar sind Atemalkoholwerte nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Bestimmung eines bestimmten Blutalkoholwerts im Strafverfahren nicht anerkannt, weil Störfaktoren wie z.B. Feuchtigkeit, Temperatureinflüsse, Mundrestalkohol, Atemkapazität und Atemtechnik das Ergebnis des Atemalkoholtests beeinflussen können (vgl. hierzu Bode in Anm. zu BVerfG, 2 BvR 1956/01 vom 03.12.2007 – zitiert nach juris –). So haben Studien mit Dräger Alcotest 7110 EvidentialGeräten ergeben, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,00 g ‰ die aus den möglichen zugehörigen Atemalkoholkonzentrationen errechneten BAKWerte zwischen 0,86 und 1,19 lagen. Die Abweichung betrug demnach etwa 20 %. Das Verhältnis der Atem und Blutalkoholkonzentration zueinander war aber umso geringer, je höher die Blutalkoholkonzentration war, insbesondere wenn die Wartezeiten zwischen Trinkende und Atemalkoholtest – wie im vorliegenden Fall – mindestens 20 Minuten betrugen (vgl. hierzu Slemeyer u.a. NZV 2001, 281 ff., Iffland/Hentschel NZV 1999, 489 ff., Schuff u.a. BA 2002, 145 ff.). Danach war eine Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Unterschreitung des Grenzwertes für die absolute Fahruntüchtigkeit von 1,1 g ‰ selbst im Fall einer weiteren zeitlichen Verzögerung bis zur Einholung einer richterlichen Anordnung faktisch auszuschließen.

Die Feststellung des konkreten Blutalkoholwertes wäre zudem weder für die Frage der Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit noch für die Frage der Schuldfähigkeit von entscheidendender Bedeutung gewesen. Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach ab dem Erreichen eines bestimmten Blutalkoholwertes von einer Vorsatztat auszugehen ist. Genossene Trinkmengen werden häufig, insbesondere von gewohnten Trinkern, falsch eingeschätzt, zumal bei fortschreitender Trunkenheit die Kritikfähigkeit abnimmt. Bei der Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit kommt es somit nicht allein auf die konkreten Blutalkoholwerte, sondern auf alle Umstände des Einzelfalls an (vgl. hierzu Fischer StGB, 55. Aufl., Rn. 46 zu § 316 StGB. Sch/SchCramer/SternbergLieben, StGB, 27. Aufl., Rn. 26 zu § 316 StGB).

Ebenso rechtfertigte die Prüfung einer eventuellen Verminderung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs nicht. Zwar veranlassen Werte ab 3,0 g ‰ grundsätzlich zur Prüfung einer Aufhebung der Schuldfähigkeit. Es gibt aber keinen medizinisch-statistischen Erfahrungssatz, wonach bei Erreichen einer BAK von 3,0 g ‰ stets von Schuldunfähigkeit auszugehen ist (vgl. hierzu Fischer, a.a.O., Rn. 19 zu § 316 StGB). Die Wirkung einer erheblichen alkoholischen Beeinflussung auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist von individuellen Faktoren, insbesondere den Trinkgewohnheiten des Einzelnen, abhängig. Maßgeblich für die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist deshalb die von den Blutalkoholwerten weitgehend unabhängige Verhaltensanalyse.

Eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs wird im vorliegenden Fall auch nicht dadurch begründet, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnung einer Blutentnahme am 12.09.2008, einem Freitag, gegen 17.00 Uhr die Dienstzeit im Amtsgericht beendet war. Zunächst ist ein Richter nicht an Dienstzeiten gebunden und deshalb auch häufig außerhalb der Dienstzeiten des Gerichts erreichbar, zudem besteht eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, zur Tagzeit – wie hier – einen Eildienst zur Verfügung zu stellen (vgl. hierzu BGH NJW 2007, 2269 ff.. OLG Hamburg 1 Ss 226/07 vom 04.02.2008 – zitiert nach juris –. OLG Hamm, 3 Ss 31/09 vom 12.03.2009, BeckRS 2009, 10370). Deshalb konnte eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs erst nach dem vergeblichen Versuch entstehen, einen Richter zu erreichen.

Der festgestellte Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO führt zu einem Beweisverwertungsverbot und damit zur Unverwertbarkeit der Ergebnisse der Blutalkoholuntersuchung.

Zwar zieht nicht jeder Verstoß bei der Beweisgewinnung ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist diese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Ein Verwertungsverbot bedeutet eine Ausnahme, die nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten gewichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Von einem Beweisverwertungsverbot ist deshalb nur dann auszugehen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird und folglich jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots unerträglich wäre. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor bei bewusster und zielgerichteter Umgehung des Richtervorbehalt sowie bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines gleichwertigen, besonders schwerwiegenden Fehlers (vgl. hierzu BVerfG, 2 BvR 2225/08 vom 02.07.2009. BGH, NJW 2007, 2269 ff., OLG Dresden, NJW 2009, 2149 ff., OLG Bamberg, NJW 2009, 2146 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht hier ein Beweisverwertungsverbot. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Blutprobe nicht von einem Richter, sondern von dem ermittelnden Polizeibeamten angeordnet wurde. Dieser war davon ausgegangen, dass bei Verdacht auf Trunkenheit im Verkehr wegen Gefahr im Verzug stets eine Anordnung durch Polizeibeamte ausreiche und deshalb eine richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung von vornherein nicht nötig sei. Dies gelte unabhängig von der Tageszeit.

Darin liegt ein grober Verstoß gegen den Richtervorbehalt gemäß § 81a Abs. 2 StPO. Der ermittelnde Polizeibeamte hielt sich generell für anordnungsbefugt. Er hat keine Überlegungen dazu angestellt, ob die Anordnung der Blutentnahme im konkreten Fall einem Richter vorbehalten war, welche Umstände im konkreten Einzelfall die von ihm pauschal unterstellte Gefahr im Verzug begründeten und wodurch seine Anordnungskompetenz ausnahmsweise eröffnet war. Die Anordnung erfolgte somit unter willkürlicher Missachtung des in § 81a Abs. 2 StPO postulierten Richtervorbehalts. Anhaltspunkte dafür, dass der Polizeibeamte einer irrtümlichen Fehleinschätzung oder Fehlinterpretation des Begriffs „Gefahr im Verzug“ unterlag oder dass er von einer konkreten Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Einholung einer richterlichen Anordnung oder einer fehlenden Erreichbarkeit eines Richters am Freitagnachmittag ausgegangen wäre, liegen nicht vor. Die pauschale Annahme, bei Verdacht von Trunkenheitsdelikten stets zur Anordnung einer Blutprobe berechtigt zu sein, begründet die Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung des Richtervorbehalts.
Dies führt hier zu dem Verbot einer Verwertung des Ergebnisses der Blutalkoholuntersuchung im Strafverfahren.

(…) Allerdings kommt trotz der Unverwertbarkeit des Blutalkoholgutachtens kein Freispruch des Angeklagten in Betracht, weil es unabhängig von dem Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung Anhaltspunkte für eine Trunkenheitsfahrt des Angeklagten gibt, denen das Amtsgericht bisher nicht ausreichend nachgegangen ist.

(…) Diese Anhaltspunkte ergeben sich zunächst aus dem gemessenen Atemalkoholwert von 3,08 g ‰. Dieser Wert kann zwar für die Beurteilung, ob der Angeklagte möglicherweise absolut fahruntüchtig war, nicht herangezogen werden. Für die Feststellung einer relativen Fahruntüchtigkeit ist der Atemalkoholwert dennoch ein gewichtiges Indiz, das in der Gesamtschau mit sonstigen Anzeichen einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit – im vorliegenden Fall des Fahrens von Schlangenlinien bei relativ langsamer Fahrweise – der Beweiswürdigung durch den Tatrichter zugänglich ist (vgl. hierzu Fischer, a.a.O., Rn. 23 zu § 316 StGB. OLG Stuttgart, BA 2005, 491 f.). Bei der neu zu treffenden Entscheidung werden diese Indizien zu bewerten sein. Insoweit könnte von Bedeutung sein, über welche Strecke und wie häufig der Angeklagte in Schlangenlinien gefahren ist, wieweit er sich dabei von der Fahrbahnmitte entfernt hat, mit welcher Geschwindigkeit er fuhr und ob seine Fahrfehler möglicherweise auf äußere Bedingungen zurückzuführen waren. (…)

OLG Celle, Beschluss vom 06.08.2009, Az: 32 Ss 94/09

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