LG Limburg – Nicht ohne meine Akte!


Das Amtsgericht Limburg hatte einem Beschuldigten nach einer Trunkenheitsfahrt durch Beschluss (§ 111a StPO) vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen. Um 2.25 Uhr habe er mit seinen Pkw im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit – ein Alkoholatemtest ergab einen Wert von 0,80 ‰, die anschließende Blutentnahme eine Blutalkoholkonzentration von 1,23 ‰ – am Straßenverkehr teilgenommen. Eine richterliche Anordnung der Blutentnahme war von den Beamten nicht eingeholt worden, der Beschuldigte wandte sich mit seiner Beschwerde daher gegen die Verwertung des Blutalkoholgutachtens.
Das Landgericht Limburg wies die Beschwerde zurück und fügt dem bunten Reigen an Entscheidungen zu dieser Problematik ein neues Argument hinzu. Nach Auffassung des Landgerichts sei ein Bereitschaftsrichter nämlich nicht verpflichtet, eine Anordnung ohne schriftliche Akte zu treffen.

Der Direktor des Amtsgerichts in Limburg erklärte auf Anfrage dem Landgericht Limburg, dass in der Nachtzeit richterlicher Eildienst nicht eingerichtet sei. Entscheidungen würden ohnehin nicht auf telefonischer oder mündlicher Grundlage getroffen. Gefordert sei die Vorlage einer Akte, aus der sich ein Antrag der Staatsanwaltschaft ergebe. Richterliche Entscheidungen ergingen grundsätzlich nur schriftlich. Grund hierfür sei die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsgrundlage, auf der grundrechtsrelevante Eingriffe ggf. angeordnet würden. Hinzu komme, dass Inhalt und Reichweite einer Entscheidung bei fernmündlicher Bekanntgabe missverstanden werden könne.

Aus den Gründen:

(…)nach § 81a Abs. 2 StPO (obliegt) die Zuständigkeit für die Anordnung des körperlichen Eingriffs primär dem Richter. Nur ausnahmsweise kann ein solcher Eingriff durch die Staatsanwaltschaft oder durch ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) „bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung“ angeordnet werden. Richterliche Eilanordnungen sind nach Wortlaut und Systematik des § 81a Abs. 2 StPO die Regel und die nichtrichterlichen die Ausnahme. Vor allem wegen der grundrechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts ist „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 40), weshalb die Pflicht, einen Entnahmebeschluss zu beantragen, den Spielraum der Ermittlungsbeamten begrenzt, das Ermittlungsverfahren nach praktischen Erwägungen zu gestalten.

Nur in Ausnahmefällen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen Versuchs den Erfolg der Maßnahme gefährden würde, dürfen die Strafverfolgungsbehörden selbst die Anordnung treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48). Eine generalisierende Betrachtung unter Hinweis auf die Gefährdung des Untersuchungserfolges in Hinblick auf den körpereigenen Alkoholabbau wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht anerkannt (vgl. OLG Bamberg, Beschl.v. 19.3.2009 – 2 Ss 15/09 – iuris; OLG Köln ZfS 2009, 48/49; OLG Hamm NJW 2009, 242/243; OLG Thüringen, Beschl.v. 25.11.2008 – 1 Ss 230/08 -iuris; OLG Hamburg NJW 2008, 2597/2598; anders mit gewichtigen Gründen LG Hamburg, Beschl.v. 12.11.2007, Blutalkohol 2008, 77). Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges muss auf Tatsachen gestützt werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 62, OLG Bamberg aaO). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend gegeben. Angesichts der nächtlichen Tatzeit, des Ergebnisses des Atemalkoholtests, welches im Grenzbereich zur Ordnungswidrigkeit lag, und der Ausgestaltung des amtsgerichtlichen Eildienstes drängte sich die Gefährdung des Untersuchungserfolges für die Polizeibeamten geradezu auf und bedurfte angesichts der Offenkundigkeit keiner Dokumentation.

Dem steht nicht entgegen, dass die Gefährdung des Untersuchungserfolges grundsätzlich nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden kann, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48; BVerfG NJW 2007, 1444; BGHSt 51, 285/293 ). Denn es besteht die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48). Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG die Länder insoweit dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen. Zur Nachtzeit im Sinne des § 104 Abs. 3 StPO muss aber nicht unabhängig vom konkreten Bedarf stets ein richterlicher Eildienst zur Verfügung stehen (aaO). Vielmehr ist ein nächtlicher Bereitschaftsdienst des Ermittlungsrichters von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht. Diesen Anforderungen genügt der beim Amtsgericht L. eingerichtete Eil- und Not-dienst, denn ein Ermittlungsrichter war bis um 21.00 Uhr des Vortages, einem Samstag, und wieder ab 4.00 Uhr des Tattages, einem Sonntag, erreichbar. Dass der Direktor des Amtsgerichts für die Einrichtung eines Eildienstes zur Nachtzeit – anders als die Justiz der Großstadt Berlin (vgl. LG Berlin Beschl.v. 23.4.2008 – iuris) – keinen praktischen Bedarf sieht, ist nicht zu beanstanden.

Ein weiteres Zuwarten – etwa bis zur Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters um 4.00 Uhr – war ersichtlich nicht angezeigt, ginge dem eine erhebliche zeitliche Verzögerung verbunden mit einer grundrechtsrelevanten Ausweitung freiheitsbeschränkender Maßnahmen für den Beschuldigten einher. Hinzu kommt, dass die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts L. – jeder in einer eigenen richterlichen Entscheidung zur Verfahrensgestaltung – übereinstimmend mündliche Entscheidungen aufgrund mündlichen Sachvortrages ablehnen. Entgegen der Verteidigung liegt hierin keine Weigerung der Richter, eine Rechtsnorm anzuwenden. Eine mündliche Entscheidung ohne Akte wäre zwar auch prozessordnungsgemäß (vgl. BGHSt 51, 285 ) und begründet bei entsprechender amtsgerichtlicher Praxis (etwa AG Essen – Beschl.v. 11.10.2007 – 44 Gs 4577/07 – iuris) auch die Verpflichtung der Polizeibeamten zu versuchen, eine mündliche Anordnung einzuholen (vgl. OLG Hamm, Beschl.v. 25.8.2008 – 3 Ss 318/08 – iuris).

Im Amtsgerichtsbezirk L. liegt der Fall aber anders. Die hier in richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) getroffene Entscheidung zur Verfahrensgestaltung ist, weil mit der Prozessordnung im Einklang stehend, zu respektieren. Eine Verpflichtung zur mündlichen Entscheidung besteht nicht. Im Übrigen ist eine Entscheidung auf der Grundlage eines schriftlich unterbreiteten Sachverhalts, einer Akte, auch sachgerecht. Die Durchsetzung der vorbeugenden Kontrolle und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebieten eine solche Verfahrensweise, soll der Richtervorbehalt seine Funktion einer verstärkten Sicherung der Grundrechte genügen. Anzunehmen, es könne „im Idealfall binnen einer Viertelstunde“ (so etwa OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, Zopfs NJW 2009, 244) eine mündliche richterliche Anordnung eingeholt werden, wahrt den Richtervorbehalt nur formal.

Einer solchen Entwertung richterlicher Tätigkeit verbunden mit einem Vertrauensverlust die Seriosität richterlicher Arbeit betreffend ist entgegen zu treten. So hat auch das LG Hamburg (aaO) eine Anordnung ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage schlicht als „unzumutbar“ angesehen. Zu Recht verweisen die Richter des Amtsgerichts L. darauf, dass bei einem mündlichen Sachvortrag die tatsächliche Entscheidungsgrundlage nicht nachvollzogen werden kann. Das gesprochene Wort ist flüchtig und birgt zudem die Gefahr, dass gerade in Grenzfällen, in denen sich die richterliche Kontrolle zu bewähren hat, entscheidungserhebliche Details nicht in gebotener Sorgfalt dargestellt und abgewogen werden können. Zudem verschieben sich Verantwortlichkeiten. Mit der von den Ermittlungsbehörden zu fordernden schriftlichen Dokumentation eines vorläufigen Ermittlungsergebnisses geht ein höheres Maß an Verantwortung einher als dies in einem mündlichen Vortrag der Fall ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Anfangsstadium von Ermittlungen richterliche Entscheidungen beantragt werden. Bei schriftlicher Unterbreitung der Ermittlungsergebnisse ist auch ausgeschlossen, dass Ermittlungsrichter und Polizeibeamter sich unterschiedlich an Details der Entscheidungsgrundlage erinnern. Schon die Gefahr derartiger Missverständnisse ist angesichts des Gewichts der Entscheidung zu vermeiden, schwächen solche Missverständnisse auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit richterlicher Entscheidungen. Mit guten Gründen fordern daher die Amtsrichter in L., dass die richterliche Entscheidungsgrundlage – auch für den Beschuldigten – nachvollziehbar ist.

Nach all dem ist die nächtliche Beweiserhebung vorliegend nicht zu beanstanden.

LG Limburg, Beschluss vom 04.08.2009, Az: 2 Qs 30/09

Limburger ist ein Käse. Diese Entscheidung auch. Selbstverständlich ist auch die telefonische Anordnung durch den Ermittlungsrichter möglich und zulässig. (zur Durchsuchung (!) siehe BGH, Urteil vom 18. April 2007, Az: 5 StR 546/06 – BGHSt 51, 285; NJW 2007, 2269; NStZ 2007, 601; StV 2007, 337; Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 105 Rdnr. 3). Beruht die übermittelte Einschätzung der konkreten Situation, wie sie sich den vor Ort tätigen Polizeibeamten darstellt, auf einschlägigen Tatsachen und ist sie nahe liegend oder jedenfalls plausibel, so darf der Richter sie bei seiner Entscheidung als zutreffend zu Grunde legen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die getroffene Einschätzung mit der eines sachkundigen und pflichtgemäß handelnden Polizeibeamten nicht in Einklang zu bringen ist. Im Allgemeinen müssen sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Ermittlungsrichter und die Gerichtsorganisation im Rahmen des Möglichen sicherstellen, dass auch in der Masse der Alltagsfälle die in der Verfassung vorgesehene „Verteilung der Gewichte“, nämlich die Regelzuständigkeit des Richters, gewahrt bleibt. (grundlegend BVerfG, Urteil vom 20. 2. 2001 – 2 BvR 1444/00).

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