OLG Hamm – Beweisverwertungsverbot bei willkürlicher Anordnung einer Blutentnahme durch Polizei


Der Angeklagte hatte bei dem Maifeierlichkeiten erheblich dem Alkohol zugesprochen und war anschließend mit einem Pkw bei einer Ortsdurchfahrt von der Fahrbahn abgekommen. Als er mit den Vorderrädern über eine Bordsteinkante fuhr, platzten die Reifen, das Fahrzeug überfuhr ein Hinweisschild und einen Zaun auf einer Länge von etwa 5 Metern. Unbeeindruckt setzte der Angeklagte seine Fahrt fort und fuhr mit den Vorderrädern auf den Felgen fahrend, davon, parkte das Fahrzeug vor seinem Wohnhaus und legte sich ins Bett. Die knapp eine Stunde nach dem Unfall auf Anordnung eines Polizeibeamten entnommene Blutprobe ergab einen BAK-Wert von 2,6 Promille.
Das Amtsgericht Lemgo – Jugendrichter, erlegte dem Angeklagten wegen Vollrausches eine Geldbuße von 900 Euro, zahlbar zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung auf, entzog ihm die Fahrerlaubnis und wies die Verwaltungsbehörde an, ihm vor Ablauf von 15 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Bereits zu Beginn der Hauptverhandlung meldete der Verteidiger des Angeklagten Bedenken im Hinblick auf die Verwertung des auf der entnommenen Blutprobe basierenden BAK-Gutachtens wegen Verletzung des Richtervorbehalts an und widersprach der Verlesung und Verwertung noch vor Verlesung des Gutachtens in der Hauptverhandlung. Darauf verkündete das Gericht den Beschluss, dass das Gutachten verlesen und verwertet werden solle. Es wurde sodann durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt. Gegen das Urteil legte der Angeklagte (Sprung-) Revision ein. Mit der Rüge der Verletzung des § 81 a StPO hatte er beim OLG Hamm in vollem Umfang Erfolg, das Urteil wurde aufgehoben und zu neuer Entscheidung zurück verwiesen.

Aus den Gründen:

Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung des Richtervorbehalts ist die Erreichbarkeit des zuständigen Richters zur Tagzeit (wobei insoweit u.a. auf § 104 Abs. 3 StPO verwiesen wird, der die Nachtzeit als den Zeitraum von neun Uhr abends bis vier Uhr bzw. sechs Uhr morgens definiert) stets zu gewährleisten (BVerfG NJW 2001, 1121, 1122; BVerfG Beschl. v. 13.12.2005 – 2 BvR 447/05 -juris). Zwar bezog sich diese Rechtsprechung zunächst auf Verstöße gegen verfassungsrechtliche Richtervorbehalte (Art. 13 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG), während es bei der Frage der Blutentnahme nach § 81a StPO zunächst einmal um die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten geht, für die in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kein verfassungsrechtlicher Richtervorbehalt vorgesehen ist und nur ein einfachrechtlicher (§ 81a Abs. 2 GG) besteht (vgl. BVerfG Beschl. 21.01.2008 – 2 BvR 2307/07). Es gibt aber keinen sachlichen Grund, bei Auslegung des einfachen Rechts, den einfachgesetzlichen Richtervorbehalt grundlegend anders zu behandeln, als (auch) verfassungsrechtlich gewährleistete Richtervorbehalte (vgl. insoweit BVerfG NJW 2007, 1345, 1346; BVerfG NJW 2008, 3053, 3054; OLG Hamm Beschl. v. 02.12.2008 – 4 Ss 466/08 = BeckRS 2009, 06454; Rabe von Kühlewein JR 2007, 517, 520). Dafür spricht auch, dass zum einen auch eine Anordnung nach § 81a StPO ggf. mit einer Freiheitsentziehung verbunden sein kann, zum anderen, dass aufgrund der verfassungsgerichtlichen Anforderungen jedenfalls ein Haftrichter zu den genannten Zeiten erreichbar sein muss, der dann auch über andere, grundsätzlich der richterlichen Anordnung vorbehaltene Ermittlungsmaßnahmen entscheiden kann. (…)

(…) Dadurch dass der Polizeibeamte (…) die Blutentnahme ohne Einschaltung eines Richters angeordnet hat, hat er gegen den in § 81 a Abs. 2 StPO geregelten Richtervorbehalt verstoßen. Die Voraussetzungen für eine Blutentnahme nach § 81a Abs. 1 StPO lagen hier zwar vor. Es lag auch eine Anordnung nach § 81 a StPO vor. Der Angeklagte hat sich nicht etwa freiwillig der Blutprobenentnahme unterzogen. Die Anordnung zur Blutentnahme wurde jedoch ohne Einschaltung eines Richters trotz eines (…) eingerichteten richterlichen Eildienstes von einem Polizeibeamten getroffen. Dies hat er nicht etwa wegen Gefahr im Verzuge getan, sondern – so die Urteilsfeststellungen -„entsprechend der langjährigen Praxis“. Der Polizeibeamte hat sich mithin darüber, ob Gefahr im Verzuge vorliegt und ihm deswegen die Anordnungskompetenz (ausnahmsweise) zusteht, überhaupt keine Gedanken gemacht. Auch die entsprechenden Teile der Ermittlungsakte, die der Senat aufgrund der zulässig erhobenen Verfahrensrüge verwerten kann, ergeben für eine Prüfung der Frage (oder gar eine entsprechende Dokumentation), ob Gefahr im Verzuge vorliegt, keinerlei Anhaltspunkte.
Auch objektiv ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Gefahr im Verzuge. Diese Frage beurteilt sich danach, ob durch die vorherige Anrufung des Gerichts die Gefährdung des Untersuchungserfolges aufgrund einzellfallbezogener Tatsachen zu gewärtigen ist (BVerfG NJW 2007, 1345, 1346; BVerfG NJW 2008, 3053, 3054; OLG Hamm NJW 2009, 242, 243). Das ist hier eher fernliegend. Der Sachverhalt war sehr einfach gelagert, so dass eine richterliche Anordnung auf telefonischem Wege einholbar gewesen wäre. Nicht jede richterliche Anordnung kann zwingend erst nach Aktenvorlage erfolgen (vgl. BGHSt 51, 285; OLG Hamm NJW 2009, 242, 243 m.w.N.). Der richtige Beschuldigte stand fest, ebenso wie seine Alkoholisierung und der Verdacht bestimmter Verkehrsdelikte.

Es ging um die Feststellung des Blutalkoholwertes, nicht um den Nachweis von Betäubungsmitteln, bei denen der Nachweis mit zunehmendem Abbau auch bei Rückrechnung schwieriger ist (Rabe v. Kühlewein JR 2007, 517, 518). Der Generalstaatsanwaltschaft ist zuzugeben, dass hier aufgrund der Weigerung des Angeklagten, einen Atemalkoholtest durchzuführen, die Gefahr bestand, dass sich die Alkoholisierung des Angeklagten in der Nähe der strafrechtlich relevanten Grenzwerte bewegte, was grundsätzlich für die Vermeidung weiterer Verzögerungen durch die Einholung eine richterlichen Anordnung und für die Bejahung von Gefahr im Verzuge spricht (vgl. OLG Hamm NJW 2009, 242, 244 m.w.N.). Warum aber bei dem vorliegenden, einfach gelagerten Sachverhalt eine nennenswerte Verzögerung durch Einholung einer (telefonischen) richterlichen Anordnung, die zu einem Beweismittelverlust hätte führen können, zu erwarten gewesen wäre ist nicht erkennbar. Auch der Tatrichter, der von „besonderen Schwierigkeiten und Verzögerungen“ durch die Anrufung des Eildienstes ausgeht, legt diese nicht näher dar. Eine Verzögerung wäre darüber hinaus noch weniger wahrscheinlich gewesen, wenn man zweistufig vorgegangen wäre: Zunächst hätte man, wenn man z. B. wegen der bereits verstrichenen Zeit seit der Tat einen Beweismittelverlust wegen Unsicherheiten bei einer Rückrechnung im Strafverfahren von einem BAK-Wert aufgrund einer wegen Verzögerungen bei der Einschaltung des Richters noch später entnommenen Blutprobe befürchtet hätte, den Angeklagten zunächst auf der Grundlage des § 81a StPO, dies dann aufgrund eigener Anordnung der Ermittlungsperson, festhalten und sich mit ihm auf den Weg zur Blutentnahme machen können. Während dessen – und noch vor der Blutentnahme selbst – hätte man dann noch versuchen können, fernmündlich die richterliche Anordnung für das weitere Vorgehen auf der Grundlage des § 81a StPO einzuholen (zu diesem zweistufigen Vorgehen vgl. OLG Hamm NJW 2009, 242, 244; Fickentscher/Dingelstadt NStZ 2009, 124, 127).

Eine Dringlichkeit der Blutentnahme, die noch nicht einmal die fernmündliche Beteiligung des Richters erlaubte, ist hier also nicht evident. Der Senat schließt nicht aus, dass sich auch in Fällen wie dem vorliegenden eine solche Dringlichkeit ergeben kann, Dann müssen aber Umstände, wie z. B. die nicht sofortige Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters, dessen gleichzeitige Befassung mit anderen dringlichen Rechtssachen oder seine Weigerung, ohne Vorlage schriftlicher Unterlagen zu entscheiden, vorliegen. Dem ist hier nicht so, jedenfalls sind weitere Umstände nicht dokumentiert.

(…) Der Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81 a Abs. 2 StPO führt hier zu einem Beweisverwertungsverbot.

In der Strafprozessordnung ist allerdings kein ausdrückliches Verbot der Verwertbarkeit von unter Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO erlangten Beweisen geregelt. Nicht jeder Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot zieht damit ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Frage nach einem Beweisverwertungsverbot ist nach gefestigter, vom Bundesverfassungsgericht gebilligter obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des in Frage stehenden Verfahrensverstoßes. Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter einerseits und andererseits davon bestimmt, ob die Annahme von Gefahr im Vollzuge willkürlich erfolgte oder auf einer besonders groben Fehlbeurteilung beruhte (vgl. BVerfG NJW 2008, 3053; BGH NJW 2007, 2269, 2271; OLG Hamm Beschl. v. 02.12.2008 -4 Ss 466/08 = BeckRS 2009, 06454; OLG Hamburg NJW 2008, 2597, 2599; OLG Jena Beschl. v: 25.11.2008 – 1 Ss 230/08 = BeckRS 2009, 04235; OLG Köln Beschl. v. 26.09.2008 – 83 Ss 69/08 = BeckRS 2008, 23570; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238 f.).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass – entgegen der Ausführungen im angefochtenen Urteil – der Umstand, dass der Angeklagte gegen die angeordnete Blutprobenentnahme keinen Widerspruch (vor dem Polizeibeamten) erhoben hat, nicht relevant ist. Dass der Angeklagte sich widerstandslos einer polizeilichen Anordnung gebeugt hat, ist nur das, was grundsätzlich vom jedem Bürger erwartet wird und hat darüber hinaus keine Aussagekraft.

Zwar ist hier zu berücksichtigen, dass die Straftatbestände, derer der Angeklagte verdächtig war, dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit (wegen des dahinter stehenden Schutzes insbesondere von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer) dem Schutz hoher Rechtsgüter dienen, während der Eingriff, dem sich der Angeklagte unterziehen musste, lediglich eine geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit darstellt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass in der Sache eine entsprechende richterliche Anordnung bei Einschaltung des Eildienstrichters rechtmäßigerweise erteilt worden wäre. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Anordnungskompetenz wenn auch nachrangig grundsätzlich auch dem Polizeibeamten zustand und damit der Verstoß weniger schwer wiegt, als wenn selbst dies gesetzlich nicht zugelassen wäre. Zudem handelt es sich nicht um einen verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt, sondern nur um einen einfachgesetzlichen, bei dem Annahme eines Verwertungsverbots aus verfassungsrechtlichen Gründen unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen. Mindeststandards nicht geboten ist (BVerfG NJW 2008, 3053, 3054 m. zust. Anm. Laschewski NZV 2008, 637 f.). Auch der bei dem gegebenen Sachverhalt zwangsläufig fehlenden, aber – mit Ausnahme von Evidenzfällen – verfassungsgerichtlich geforderten Dokumentation zu den Voraussetzungen der Gefahr im Verzuge, kommt hier hinsichtlich der Frage eines Verwertungsverbotes kein eigenständiges Gewicht zu. Im übrigen würde sie allein genommen auch kein Verwertungsverbot begründen können (BGH NStZ-RR 2007, 242; vgl. auch BVerfG NJW 2008, 3053, 2054).
Dies alles vermag aber nicht darüber hinweg zu helfen, dass hier ein objektiv willkürliches Vorgehen bzw. ein grober Verstoß des handelnden Polizeibeamten bzw. der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft generell (weil nicht hinreichend dafür Sorge getragen wurde, dass der Bedeutung des Richtervorbehalts auch auf der Ebene des Polizeibeamten vor Ort Rechnung getragen wird) vorlag, was ein (einfachgesetzliches) Verwertungsverbot begründet (vgl. dazu BVerfG NJW 2007, 1345, 1346; BGH NJW 2007, 2269, 2272; OLG Jena Beschl. v. 25.11.2008 – 1 Ss 230/08 = BeckRS 2009, 04235; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ 2005, 399, 400; Fickentscher/Dingelstadt NStZ 2009, 124, 128; Müller/Trurnit StraFo 2008, 144, 147 ff.). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass er sich – sowohl nach den Urteilsfeststellungen als auch nach dem relevanten Akteninhalt – keinerlei Gedanken über die Fragen von Gefahr im Verzuge und richterlicher Anordnungskompetenz gemacht hat oder eine entsprechende Prüfung vorgenommen hätte, sondern allein aufgrund „langjähriger Praxis“ eine eigene Anordnung getroffen hat. Das ist schon unabhängig von der Betrachtung jeglicher verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung rechtlich bedenklich, da dies bereits nach dem Gesetzeswortlaut seit je her unabdingbare Voraussetzung für einen Verzicht auf die Einschaltung eines Richters war. Eine „langjährige Praxis“ ist nicht geeignet, die gesetzlichen Anforderungen außer Kraft zu setzen.

Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei der Entwicklung der Rechtsprechung zum Richtervorbehalt um keine ganz junge Entwicklung mehr handelt. Die Bedeutung, die das Bundesverfassungsgericht dem Richtervorbehalt grundsätzlich zumisst, ist mindestens mit der Entscheidung vom 20.02.2001 (NJW 2001, 1121) deutlich geworden. In der Folgezeit ist die Bedeutung auch des einfachgesetzlichen Richtervorbehalts, u. a. auch bei § 81 a StPO, in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aufgezeigt und veröffentlicht worden (insbesondere mit den Beschlüssen vom 12.02.2007 = NJW 2007, 1345 und vom 31.10.2007 – 2 BvR 1346/07 – juris). Auch zum Zeitpunkt der hier in Frage stehenden Anordnung war daher die Relevanz des Richtervorbehalts nach § 81 a Abs. 2 StPO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts damit schon mehr als ein Jahr bekannt. Von einem Ausschluss der objektiven Willkür, weil zum Anordnungszeitpunkt die entsprechenden Rechtsfragen noch im Streit waren (so OLG Köln Beschl. v. 26.09.2008 – 83 Ss 69/08 = BeckRS 2008, 23570, für einen allerdings zeitlich noch näher an der ersten der beiden oben genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gelegenen Fall) kann daher nicht mehr die Rede sein. Vielmehr handelte es sich – so letztlich auch die entsprechende, bereits zitierte, Feststellung im angefochtenen Urteil – um die langfristige Fortführung einer bestehenden Praxis, welche mit der Rechtslage nicht in Einklang stand und letztlich die Besorgnis einer dauerhaften und ständigen Umgehung des Richtervorbehalts des § 81a Abs. 2 StPO begründet. Die Schwere des Verstoßes ergibt sich hier also nicht daraus, dass ein Polizeibeamter im Einzelfall die Voraussetzungen des Richtervorbehalts verkannt oder nicht geprüft hat, sondern daraus, dass dessen Voraussetzungen – so das angefochtene Urteil – aufgrund langjähriger Praxis, also gleichsam einem „Fehler im System“, ungeprüft geblieben sind.
Der Fall liegt hier anders als der, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofes in NStZ-RR 2007, 242, zu Grunde lag, in der ein Verwertungsverbot verneint wurde. Dort war zumindest versucht worden, den grundsätzlich vorgesehenen Eildienstrichter zu erreichen, was aber nicht gelang, so dass dann die Anordnung durch den zuständigen Bereitschaftsstaatsanwalt wegen Gefahr im Verzuge erfolgt ist. Ebenfalls ist er anders gelagert, als der Fall, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in NJW 2008, 3053, zu Grunde lag. Dort war die Verabsäumung der Einholung einer richterlichen Anordnung augenscheinlich nicht Ausfluss einer langjährigen Praxis, die eine Prüfung der Voraussetzungen der Gefahr im Verzuge ersetzte.

Die mithin fehlerhafte Verwertung des BAK-Gutachtens beschwert den Angeklagten auch. Es ist auch unter Anwendung des Jugendstrafrechts nicht auszuschließen, dass es ohne die Verwertung des Gutachtens nicht zur Verurteilung nach § 323a StGB gekommen wäre, weil sich dann die Alkoholisierung auch nicht anderweitig hätte aufklären lassen (z. B. durch Befragung von Zeugen zu Trinkmengen und Trinkzeiten) und dann ggf. auch eine Verurteilung nach §§ 316, 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgeschieden wäre. Weitere Feststellungen sind grundsätzlich möglich, so dass hier die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lemgo zurückzuverweisen war. (…)

OLG Hamm, Beschluss vom 12.03.2009, Az: 3 Ss 31/09

Praxisrelevanz:

Liegen die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Blutentnahme durch die Staatsanwaltschaft bzw. nachrangig durch die Polizei nicht vor, besteht ein Beweiserhebungsverbot, was allerdings nicht automatisch, sondern nur einzelfallbezogen nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes und unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen, ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht. Bei fehlerhafter Annahme einer Eilkompetenz liegt nach der überwiegenden Rechtsprechung in aller Regel aber kein derartig schwerer Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze vor, dass eine fehlerhafte Annahme der Gefährdung des Untersuchungserfolges zu einem Beweisverwertungsverbot führen würde. Das OLG Hamm lehnt sich mit seiner lobenswerten Entscheidung daher weit aus dem Fenster. Anzumerken ist noch, dass das OLG Hamm nicht freigesprochen hat, sondern die Sache zurückverwies, da sich die Fahruntauglichkeit, wenn eine verwertbare BAK nicht vorhanden ist, auch aus anderen Beweismitteln ergeben kann (so auch LG Berlin, Beschluss vom 23.04.2008, Az: 528 Qs 42/08, BA 2008, 266).

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