BVerfG – Nichtraucherschutzgesetze in Berlin und Baden-Württemberg sind verfassungswidrig – aber ausnahmsloses Rauchverbot wäre verfassungsrechtlich unbedenklich


Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Nichtraucherschutzgesetze der Länder Baden-Württemberg und Berlin für verfassungswidrig erklärt und den Verfassungsbeschwerden zweier Betreiber sog. „Eckkneipen“ sowie eines Diskothekenbetreibers aus Baden-Württemberg stattgegeben.
Die in den Nichtraucherschutzgesetzen der beiden Länder wie die meisten anderen Landesgesetzen auch – enthaltenen Vorschriften, verbieten grundsätzlich das Rauchen in Gaststätten, sehen jedoch Ausnahmen für abgetrennte Nebenräume vor. Darüber hinaus gilt nach dem Nichtraucherschutzgesetz in Baden-Württemberg die für Nebenräume von Gaststätten zugelassene Ausnahme vom Rauchverbot nicht für Diskotheken.

Nach der Entscheidung des BVerfG stellen die bisherigen Regelungen eine Einschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit dar, die fehlende Ausnahme für Diskotheken darüber hinaus eine Ungleichbehandlung. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2009 Zeit, das Rauchverbot neu zu regeln. Bis dahin bleiben die bestehenden Gesetze mit Ausnahmen in Kraft.

In „getränkegeprägten Kleingaststätten“ mit einer Fläche von weniger als 75 Quadratmetern darf geraucht werden, wenn unter 18-Jährige keinen Zutritt haben. Gleiches gilt für Diskotheken, die einen Raucherraum einrichten dürfen, allerdings darf sich darin keine Tanzfläche befinden.

Nach Überzeugung der Senatsmehrheit sei der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert, für Gaststätten ein striktes Rauchverbot ohne Ausnahmen zu erlassen – also auch ohne Ausnahme für die getränkegeprägte Kleingastronomie. Denn der Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren, wozu der Gesetzgeber auch die vom Passivrauchen ausgehenden Gefahren zählen dürfe, sei ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut. Ein generelles Rauchverbot in Gaststätten, das diesem Ziel diene, hätte verfassungsrechtlich Vorrang vor der Berufsfreiheit der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher.

In Berlin und Baden-Württemberg habe sich der Gesetzgeber jedoch – wie in den meisten übrigen Landesgesetzen auch – nicht für ein striktes Rauchverbot entschieden und Ausnahmen zugelassen und damit seinen verfassungsrechtlichen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum genutzt. In diesem Fall müssten allerdings die Ausnahmen vom Rauchverbot folgerichtig ausgestaltet sein. Habe also der Gesetzgeber die von ihm verfolgten Belange des Gesundheitsschutzes durch die Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen der Gaststättenbetreiber relativiert, müsse er bei der Gestaltung der Ausnahmen vom Rauchverbot auch diejenigen Gaststätten – hier also die getränkegeprägten Kleingaststätten – miterfassen, bei denen durch das Rauchverbot besonders starke wirtschaftliche Belastungen aufträten.

In Anbetracht eines Raucheranteils von 33,9 Prozent unter der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland könne ein Rauchverbot je nach Ausrichtung der gastronomischen Angebote und der damit angesprochenen Besucherkreise für die Betreiber der Gaststätten zu empfindlichen Umsatzrückgängen führen. Dabei würden bei der vorliegenden Regelung vor allem die Betreiber kleiner Einraumgaststätten unverhältnismäßig stark belastet, da sie nicht von den Ausnahmen vom Rauchverbot betroffen sein könnten. Zwar erlaubten die Nichtraucherschutzgesetze in Berlin und Baden-Württemberg einen abgetrennten Raucherraum, doch einen solchen könnten Einraumgaststätten nicht einrichten. Da die getränkegeprägte Kleingastronomie überwiegend von rauchenden Gästen geprägt sei, werde die strikte Einhaltung des Rauchverbots von den Betreibern selbst um den Preis des Verlustes ihrer wirtschaftlichen Existenz gefordert, obgleich die Landesgesetzgeber den angestrebten Gesundheitsschutz nicht uneingeschränkt, sondern nur unter Berücksichtigung der beruflichen Belange der Gastwirte verfolgen hätten wollen.

Die Regelung im Nichtraucherschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg, die Diskotheken generell, d.h. auch Diskotheken, zu denen Jugendliche keinen Zutritt erhielten, von der Begünstigung ausschließt, getrennte Raucherräume einrichten zu dürfen, stellt mit Blick auf die Ausübung der Berufsfreiheit eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Diskotheken gegenüber anderen Gaststätten dar. Die vom Gesetzgeber verfolgten Gründe seien nicht von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie ungleiche Rechtsfolgen für Diskotheken einerseits und die übrigen Gaststätten andererseits rechtfertigen könnten.

Wolle der Gesetzgeber Jugendliche vor den Gefahren des Passivrauchens bewahren, reiche es aus, den Ausschluss von Raucherräumen auf Diskotheken zu beschränken, zu denen Personen unter 18 Jahren Zutritt haben. Wolle der Gesetzgeber zusätzlich Nachfolge- und Cliqueneffekten bei dem erwachsenen Publikum in Diskotheken entgegenwirken, komme als milderes Mittel in Betracht, die Einrichtung von Tanzflächen in Raucherräumen zu untersagen und so deren Attraktivität zu verringern.

Für die erforderliche Neuregelung hat das BVerfG den Landesgesetzgebern eine Frist bis zum 31.12.2009 gesetzt. Dabei stünden ihnen mehrere Möglichkeiten zu Verfügung. Zum einen könnten sie sich unter Verzicht auf Ausnahmetatbestände für eine strenge Konzeption des Nichtraucherschutzes, d.h. ein generelles Rauchverbot ohne jede Ausnahme, entscheiden. Zum anderen könnten sie im Rahmen eines weniger strengen Schutzkonzepts Ausnahmen vom Rauchverbot zulassen. Diese müssten allerdings folgerichtig auf besondere Belastungen einzelner Bereichen des Gaststättengewerbes Rücksicht nehmen und gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Für die so genannten „Eckkneipen“ mit ihren beengten Raumverhältnissen bedeute dies, dass für sie nur die Freistellung vom Rauchverbot in Betracht komme.

Um für die Betreiber getränkegeprägter Kleingaststätten existentielle Nachteile zu vermeiden, erweiterte das BVerfG jedoch die in den Nichtraucherschutzgesetzen vorgesehenen Ausnahmen vom Rauchverbot bis zum Inkrafttreten der Neuregelung. Voraussetzung hierfür ist laut Gericht, dass die betroffene Gaststätte nur eine Schankerlaubnis besitzt, eine Gastfläche von weniger als 75 Quadratmetern hat, nicht über einen abgetrennten Nebenraum verfügt und Personen unter 18 Jahren der Zutritt verwehrt ist. Zudem müsse die Gaststätte im Eingangsbereich als Rauchergaststätte, zu der Personen unter 18 Jahren keinen Zutritt haben, gekennzeichnet sein.

Für Diskothekenbetreiber gelte zur Vermeidung weiterer erheblicher wirtschaftlicher Nachteile ebenfalls eine Zwischenregelung. Danach dürfe – bis zum Inkraftreten einer Neuregelung – in Diskotheken, zu denen nur Personen ab 18 Jahren Zutritt haben, ein Raucherraum eingerichtet werden. Dieser dürfe allerdings keine Tanzfläche haben.

BVerfG, Urteil vom 30.07.2008, Az.: 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08 und 1 BvR 906/08 (Volltext)

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG vom 30.07.2008 (aktuell wegen Serverüberlastung nicht erreichbar)

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