LAG Rheinland-Pfalz – Keine Kündigung wegen Kurzerkrankungen


Ein Arbeitnehmer, der seit 27 Jahren in einem Betrieb beschäftigt war, erkrankte wiederholt kurzzeitig. Dabei überschritten die Erkrankungen zumeist nicht den Zeitraum von sechs Wochen, so dass der Arbeitgeber den Lohn weiterzahlen musste. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber mit der Begründung, es sei nicht mehr damit zu rechnen, dass der Arbeitnehmer voll leistungsfähig sei. Seine Weiterbeschäftigung für den Betrieb sei wirtschaftlich nicht tragbar.

Das Arbeitsgericht Koblenz gab der Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsantrag des Arbeitnehmers statt. Die Berufung des Arbeitgebers zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz blieb ohne Erfolg. Häufige Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers rechtfertigen ohne weiteres nicht dessen Kündigung. Vielmehr müsse eine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft vorliegen, mit deutlichen wirtschaftlichen Nachteilen für den Arbeitgeber zu rechnen und die krankheitsbedingte Kündigung auch sozial gerechtfertigt sein. Dies alles habe der Arbeitgeber nicht nachvollziehbar dargelegt. Selbst wenn dies unterstellt werde, habe der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung das Alter, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und die Unterhaltsverpflichtungen des Klägers zu berücksichtigen. Danach falle die Abwägung der beiderseitigen Interessen zugunsten des Klägers aus.

Aus den Gründen:

Das Arbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht zur Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen entwickelt hat (vgl. BAG Urteil vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 – AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, m.w.N.). Danach ist zunächst (erste Stufe) eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer (…) darzulegen, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes (zweite Stufe) festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen des Arbeitgebers, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer derartigen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Dabei ist u.a. zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Entgeltfortzahlungskosten aufzuwenden hatte. Ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten sowie ggf. eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG vom 10.11.2005, a.a.O.). (…)

(…) Selbst wenn man – wie das Arbeitsgericht – zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass von einer negativen Gesundheitsprognose (erste Stufe) auszugehen ist, (…), als auch (…) eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen (zweite Stufe) annimmt, fehlt es jedenfalls im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 KSchG stets gebotenen Interessenabwägung (dritte Stufe) an einer unzumutbaren Belastung der Beklagten.

Die krankheitsbedingte Kündigung ist letztendlich nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich im Einzelfall nach Maßgabe einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, aufgrund der prognostizierten Belastung eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt. Von maßgeblicher Bedeutung sind bei der Interessenabwägung die Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, das Ausmaß der Unterhaltsverpflichtungen (vgl. BAG Urteil vom 20.01.2000 – 2 AZR 378/99 – AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) und auf Seiten des Arbeitgebers die Höhe der erheblichen Entgeltfortzahlungskosten sowie die belastenden Auswirkungen von weiteren Betriebsablaufstörungen.

Unter Anwendung dieser Grundsätze überwog zum Kündigungszeitpunkt unter Berücksichtigung der vorstehend festgestellten und im Übrigen teilweise zu Lasten des Klägers unterstellten Tatsachen, das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse der Beklagten an dessen Auflösung. (…)

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.01.2008 Az: 10 Sa 601/07
Vorinstanz: ArbG Koblenz – AK Neuwied, Urteil vom 25.07.2007, Az: 6 Ca 518/07

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