Der seit seiner Geburt gehbehinderte und auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesene Angeklagte nutzt neben einem handbetriebenen Rollstuhl auch einen elektrischen Rollstuhl, der eine Geschwindigkeit von bis zu 6 km/h erreichen kann. Der Angeklagte wurde mit diesem elektrobetriebene Rollstuhl auf einem Bürgersteig von der Polizei kontrolliert. Eine Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,66 ‰ im Mittelwert.
Aus den Gründen:
Bei dem elektrobetriebenen Rollstuhl handelt es sich (…) um ein Fahrzeug i.S. des § 316 StGB, da es sich auf Rädern fortbewegt (…) und im Tatzeitpunkt der Fortbewegung im Straßenverkehr dient, womit auch die Fortbewegung auf Bürgersteigen umfasst ist (…). Der Angeklagte, der das Fahrzeug geführt hat, war auch infolge des Genusses alkoholischer Getränke, die zu einer Tatzeit-BAK von mindestens 1,66‰ geführt haben, nicht in der Lage, das Fahrzeug sicher zu führen. Er war nämlich bei der angegebenen Tatzeit-BAK absolut fahruntüchtig.
Soweit feststellbar ist, hat die Rechtsprechung bezüglich der Feststellung der absoluten Fahruntüchtigkeit bei Rollstuhlfahrern noch keine entsprechende Entscheidung getroffen, zumindest konnte keine derartige veröffentlichte Entscheidung festgestellt werden.
Sicherlich ist der Grenzwert nicht, wie bei Kraftfahrzeugen, im Bereich von 1,1 ‰ zu setzen, da ein elektrobetriebener Rollstuhl auf Grund seiner geringen Geschwindigkeit und Masse sicherlich nicht das gleiche Gefahrenpotenzial hat wie ein motorbetriebenes Kraftfahrzeug. Fehler beim Führen wirken sich infolge der geringen Geschwindigkeit, die im Bereich der Fußgängergeschwindigkeit liegt, nicht so gravierend aus wie bei einem schnelleren Fahrzeug. Entsprechendes gilt für die Bremswirkung des Elektromotors, der das Fahrzeug beim Abschalten der Stromzufuhr nahezu unverzüglich zum Stehen bringt.
Dies ergibt sich aus einer Abwägung der Gefährdungspotenziale der jeweiligen Fahrzeuge. Angesichts seiner Auslegung als Zweispurfahrzeug ist ein Rollstuhl anderseits wesentlich kipp- und spursicherer als ein Einspurfahrzeug, einschließlich eines Fahrrads, so dass auch insoweit grundsätzlich eine geringere Gefährdung von ihm ausgeht. Auch ist die mit ihm erzielbare Geschwindigkeit wesentlich geringer als die Geschwindigkeit eines Radfahrers, die mindestens mit 15 km/h anzusetzen ist.
Andererseits ist ein Elektrorollstuhl wesentlich schwerer als ein Fahrrad, allein die Batterien wiegen bekanntermaßen mehrere dutzend Kilo. Auch ist seine Bauart wesentlich massiver und damit gewichtsintensiver als bei einem Fahrrad und ermöglicht durch die kleinen beweglichen Hinterräder nahezu ein Wenden auf der Stelle, so dass es bei Fahrfehlern durchaus zu erheblichen Schäden bei in der Nähe stehenden Personen oder sich in der Nähe befindlichen Sachen kommen kann, zumal (Elektro-)Rollstühle, anders als Fahrräder, bestimmungsgemäß auch inmitten von Menschengruppen, in Geschäften, Gaststätten, öffentlichen Verkehrsmitteln p.p. benutzt werden. Weiterhin wirkt die Bauart als Zweispurfahrzeug auch gefahrerhöhend, da es bei möglichen Anstößen – etwa gegen Personen – nicht zu einem Wegkippen oder Abgleiten des Fahrzeugs, sondern zu einem direkten Auflaufen kommt. Schließlich spricht ein elektrobetriebenes Fahrzeug wie ein Elektrorollstuhl auf „Gasgeben“ (also: Einschalten der Stromzufuhr) unvermittelt und wesentlich schneller an als ein durch einen andere Motorart oder gar durch menschlichen Kraftentfaltung angetriebenes Fahrzeug, was gefahrerhöhend wirkt. (…)
Das Gericht hatte ferner darüber zu entscheiden, ob gegen den Angeklagten, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, ein Fahrverbot gem. § 44 StGB zu verhängen war, also angeordnet werden konnte, dass der Angeklagte für die Dauer von bis zu drei Monaten keinen Elektrorollstuhl mehr führen darf.
Bei dem Elektrorollstuhl handelt es sich um ein Kraftfahrzeug i.S. des § 1 II StVG, da er ein motorbetriebenes nicht schienengebundenes Landfahrzeug ist (…). Der Angeklagte wurde auch als Führer dieses Kraftfahrzeugs tätig. Somit ist die Verhängung eines Fahrverbots grundsätzlich möglich.
Im vorliegenden Fall hatte das Gericht jedoch zu beachten, dass der Angeklagte auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen ist. In solchen Fällen bedarf es einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Verhängung eines Fahrverbots, denn ein Angeklagter, der zwingend auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen ist, würde bei der Unmöglichkeit der Nutzung infolge Ausspruchs eines Fahrverbots faktisch immobil werden, könnte daher seine täglichen erforderlichen Geschäfte zur Deckung seines Lebensbedarfs nicht mehr erledigen. Er könnte am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen. Insgesamt gesehen könnte ihn ein derartiges Fahrverbot härter als die Verhängung einer unbedingten Haftstrafe treffen, so dass es unverhältnismäßig wäre. Im vorliegenden Fall hat der Angeklagte jedoch einen handbetriebenen Rollstuhl, mit welchem er auch im Termin erschien.
Unter diesen Umständen verbleibt ihm gleichwohl die Möglichkeit, seine täglichen Besorgungen zu erledigen und sein gewohntes Privatleben zu führen, er kann Einkäufe tätigen, Arztbesuche, Bekanntenbesuche erledigen pp. Dass dies unter erheblichem Kraftaufwand und schwerer möglich ist als mit einem Elektrorollstuhl, muss er hinnehmen.
AG Löbau, Urt. v. 07.06.2007, Az: 5 Ds 430 Js 17736/06
(NJW 2008, 530)