Wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis war der Angeklagte zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis war eine Sperre von 10 Monaten festgesetzt. Noch während des Laufs der Sperrfrist wurde dem Angeklagten auf seinen Antrag eine tschechische Fahrerlaubnis ausgestellt. Auf seine Nachfrage teile die tschechische Behörde mit, er könne auch während des Laufs der Sperrfrist eine tschechische Fahrerlaubnis erwerben, dürfe diese aber erst nach Ablauf der Sperrfrist in Deutschland benutzten.
Aus diesem Grund hinterlegte der Angeklagte seinen tschechischen Führerschein bei einer Rechtsanwältin und holte ihn dort nach Ablauf der Sperrfrist ab. In der Folgezeit nahm er mehrfach mit einem Kraftfahrzeug in Deutschland am öffentlichen Straßenverkehr teil und wurde mehreren polizeilichen Kontrollen unterzogen. Trotz Kenntnis vom Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis während des Laufs der Sperrfrist wurde ihm von den Polizeibeamten jeweils die Weiterfahrt gestattet und der tschechische Führerschein belassen. Das Landratsamt als zuständige Führerscheinbehörde übermittelte dem Angeklagten schließlich ein Telefax, in welchem ihm mitgeteilt wurde, er dürfe in Deutschland kein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen, da seine tschechische Fahrerlaubnis nicht gültig sei.
Hierauf erkundigte sich der Angeklagte bei seinem Verteidiger nach der Gültigkeit der Fahrerlaubnis, worauf dieser ihm schriftlich mitteilte, dass aus seiner Sicht keine Zweifel daran bestünden, dass der Angeklagte nach wie vor am Straßenverkehr teilnehmen dürfe. Allerdings müsse der Angeklagte wissen, dass das Oberlandesgericht Stuttgart eine abweichende – wenn auch falsche – Rechtsauffassung vertrete. Im Vertrauen auf die Auskunft seines Verteidigers, dass ihn die tschechische Fahrerlaubnis auch in Deutschland berechtige, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, nahm der Angeklagte weiter am Straßenverkehr teil und wurde erneut wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt.
Hiergegen wandte sich der Angeklagte erfolgreich mit seiner Revision. Das Oberlandesgericht Stuttgart sprach den Angeklagten frei, da dem Angeklagten beim Führen des Kraftfahrzeuges – die objektive Strafbarkeit seines Tuns unterstellt – jedenfalls die Einsicht Unrecht zu tun fehlte, wobei er diesen Irrtum im Sinne des § 17 S. 1 StGB nicht vermeiden konnte.
Aus den Gründen:
Ob eine während laufender Sperrfrist in einem EU-Mitgliedsstaat erworbene Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist in Deutschland zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Das Oberlandesgericht Stuttgart, 1. Strafsenat (NStZ-RR 2007, S. 271 ff.) hat am 15. Januar 2007 entschieden, dass eine während des Laufs einer deutschen Sperrfrist in einem anderen Mitgliedstaat der EU erteilte Fahrerlaubnis gemäß § 28 Abs. 4 Nr. 4 FEV unwirksam ist. Das zunächst unwirksame Verwaltungshandeln könne auch nicht nachträglich durch Ablauf der Sperrfrist wirksam werden, weshalb die während der Sperrfrist erworbene Fahrerlaubnis auch nach deren Ablauf in Deutschland auf Dauer nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtige.
Demgegenüber vertreten mehrere andere Oberlandesgerichte die Auffassung, dass die Wirksamkeit der von einem Mitgliedstaat während einer Sperrfrist erteilten Fahrerlaubnis nicht in Frage stehe. Die Fahrerlaubnis sei nach den Regeln des Ausstellungsstaates ohne weiteres wirksam. § 28 Abs. 4 Nr. 4 FEV regle nicht die Wirksamkeit einer solchen Fahrerlaubnis – was auch dem Territorialitäts- und Souveränitätsprinzip widersprechen würde – sondern nur die Frage, inwieweit die (gültige) Fahrerlaubnis in Deutschland zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtige. Dies sei nach Ablauf der Sperrfrist der Fall (vgl. OLG Nürnberg, NStZ-RR, S. 269 ff.; OLG München, NJW 2007, S. 1152 ff.; Thüringer Oberlandesgericht, DAR 2007, S. 404 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 24. Juli 2007, 3 Ss 132/06 – veröffentlicht in juris -).
Der Europäische Gerichtshof hat in den Entscheidungen Kapper (NJW 2004, S. 1725 ff.) und Halbritter (NJW 2006, S. 2173 ff.) jeweils ausgesprochen, dass die Fahrerlaubnis eines Mitgliedstaates, die nach Ablauf einer deutschen Sperrfrist erteilt worden sei, in Deutschland zum Führen von Kraftfahrzeugen unabhängig davon berechtige, ob in Deutschland die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gegeben seien. Die vorliegende Fallkonstellation, der Erteilung einer Fahrerlaubnis während des Laufs der Sperrfrist, ist vom Europäischen Gerichtshof bisher nicht entschieden. Sie ist Gegenstand des auf Grund eines Vorlagebeschlusses des Amtsgerichts Landau vom 2. Mai 2007 beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahrens C-225/07. 2. Der Senat kann die dargestellte Streitfrage dahinstehen lassen, da sie für das vorliegende Verfahren letztlich nicht entscheidungserheblich ist.
Auch wenn man unterstellte, dass die tschechische Fahrerlaubnis den Angeklagten zu seiner Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr am (…) nicht berechtigte, hätte er hierbei jedenfalls ohne Schuld gehandelt, da er sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden hätte. Das angefochtene Urteil hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass beim Angeklagten ein Verbotsirrtum vorlag, da dieser der Auffassung war, er dürfe mit der tschechischen Fahrerlaubnis auch in Deutschland Kraftfahrzeuge führen. Da dem Angeklagten somit das Unrechtsbewusstsein fehlte, kann er für sein Verhalten nur bestraft werden, wenn – die objektive Strafbarkeit seines Tuns unterstellt – dieser Irrtum vermeidbar bzw. vorwerfbar war, wobei beide Begriffe bedeutungsgleich verwendet werden (…). Das Landgericht ist zu unrecht davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Irrtum im Sinne des § 17 S. 2 StGB hätte vermeiden können.
Nach allgemeiner Meinung sind beim Vorliegen einer unklaren Rechtslage zunächst alle intellektuellen Erkenntnismittel auszuschöpfen (…). Darüber hinaus trifft den Rechtsunkundigen in einem solchen Fall die Pflicht, die erforderlichen Auskünfte einzuholen (…). Vorliegend war die Rechtsfrage zum Tatzeitpunkt ungeklärt. Dies war dem Angeklagten nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils bewusst. Die tschechische Führerscheinstelle hatte ihm mitgeteilt, sein Verhalten sei straflos. Zwei Polizisten hatten ihm bei zwei Kontrollen jeweils den tschechischen Führerschein belassen und die Weiterfahrt gestattet. Die deutsche Führerscheinbehörde vermochte die Wirksamkeit der tschechischen Fahrerlaubnis zunächst ebenfalls nicht sicher zu beurteilten, informierte ihn dann kurz darauf per Telefax, dass diese Fahrerlaubnis ihn in Deutschland nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtige. Eine Erkundigung bei seinem Verteidiger hatte ergeben, dass dieser keine Zweifel daran hatte, dass er am Straßenverkehr teilnehmen dürfe, das Oberlandesgericht Stuttgart jedoch insoweit eine andere Rechtsauffassung vertrete. Ob der Angeklagte angesichts dieser Situation noch zu weiteren Erkundigungen verpflichtet gewesen wäre, kann dahinstehen. Solche hätten jedenfalls zu keiner weiteren Klärung der Frage geführt. Die obergerichtliche Rechtsprechung hierzu war zum Tatzeitpunkt – und ist es bis heute – uneinheitlich. Zum Zeitpunkt der Fahrt (…) vertraten zumindest die Oberlandesgerichte München und Nürnberg (…) die Rechtsauffassung, der Angeklagte sei berechtigt am Straßenverkehr teilzunehmen. Zwischenzeitlich sind Entscheidungen des Thüringischen Oberlandesgerichts und des Oberlandesgerichts Bamberg (…) im gleichen Sinn ergangen. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes war damals nicht absehbar. Die Vorlage des Amtsgerichts Landau ist erst am 2. Mai 2007 erfolgt.
Vorliegend kann sich die Vorwerfbarkeit und damit Vermeidbarkeit des Irrtums nicht auf eine nicht ausreichende Gewissensanspannung oder eine mangelnde Ausschöpfung vorhandener Erkenntnisquellen stützen, da zum Tatzeitpunkt eine widersprüchliche Rechtsprechung gleichrangiger Gerichte zur Unrechtsfrage vorlag. In einer solchen Situation, ist es nach ganz herrschender Auffassung eine Frage der Zumutbarkeit, ob der Angeklagte die Handlung – deren Verbotenheit unklar ist – unterlassen muss, bis diese Frage entschieden ist (…) Im vorliegenden Einzelfall war hierbei maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nicht die einmalige Vornahme einer Handlung hätte unterlassen müssen, sondern er für einen unbestimmten Zeitraum auf jegliches Führen eines Kraftfahrzeuges als einem nicht unbedeutenden Teil seiner Handlungsfreiheit hätte verzichten müssen. Besonders schwer wiegt hierbei, dass die Dauer dieses Verzichtes zum Tatzeitpunkt noch in keiner Weise absehbar war. (…) Eine Klärung der Rechtsfrage war auch jeglichem Einfluss des Angeklagten entzogen. Dieser hätte von seiner tschechischen Fahrerlaubnis auf unbegrenzte Dauer in Deutschland keinen Gebrauch machen dürfen.
Auch ist zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass aus seiner Sicht wohl eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür sprach, die Rechtauffassung der Unrechtsverneinung werde sich durchsetzten (…). Er hatte – wie dargestellt – mehrfach die Erfahrung gemacht, dass ihm bei polizeilichen Kontrollen die Weiterfahrt gestattet worden war. Sein Verteidiger hatte ihn dahingehend informiert, dass er trotz der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart keinen Zweifel daran habe, dass er in Deutschland Kraftfahrzeuge führen dürfe. Diese Rechtsauffassung teilten zum Tatzeitpunkt bereits die Oberlandesgerichte Nürnberg und München (…) sowie für eine vergleichbare Fallgestaltung das Oberlandesgericht Zweibrücken (Beschluss vom 14. März 2006, 1 Ss 146/05 – veröffentlicht in juris – ). Inzwischen sind im gleichen Sinn Entscheidungen des Thüringischen Oberlandesgerichts und des Oberlandesgerichts Bamberg (…) ergangen. Der Senat ist der Auffassung, dass das Risiko einer „extrem“ unklaren Rechtslage, wie sie hier durch Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geschaffen wurde, nicht dem Normadressaten aufgebürdet werden darf (…). Dies gilt jedenfalls dann, wenn dieser wie im vorliegenden Einzelfall in seiner von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit erheblich betroffen und eine Klärung der offenen Rechtsfrage noch nicht absehbar ist. Danach ist dem Angeklagten der Verbotsirrtum, in dem er sich bei Tatbegehung befand, nicht vorzuwerfen. Er handelte daher gemäß § 17 S. 1 StGB ohne Schuld. Der Senat schließt es aus, dass bei einer erneuten Verhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führen würden. Der Angeklagte ist daher aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.11.2007, AZ: 2 Ss 597/07