Ein Autofahrer war auf der Autobahn binnen kürzester Zeit zweimal geblitzt worden. Zunächst überschritt er die zulässige Geschwindigkeit von 100 km/h um 41 km/h. Als er bemerkte, dass er geblitzt worden war, reduzierte er seine Geschwindigkeit auf die vorgegebenen 100 km/h. Nach Reduzierung der Geschwindigkeit passierte er eine Minute später den Bereich einer Anschlussstelle. Hier fuhr er 97 km/h bei erlaubten 80 km/h und wurde erneut geblitzt.
Wegen des Geschwindigkeitsverstoßes im Bereich der Anschlussstelle wurde der Autofahrer durch das Ordnungsamt verwarnt. Das Verwarngeld zahlte er. Wegen der vorherigen Geschwindigkeitsübertretung verurteilte ihn das Amtsgericht Essen zu einer Geldbuße von 140,00 € und sprach zugleich ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats aus.
In der rechtlichen Würdigung führte das Amtsgericht aus, dass der Verurteilung das bereits verhängte und bezahlte Verwarnungsgeld nicht entgegenstehe. Die Verkehrsverstöße stünden in Tatmehrheit; der Betroffene habe seine Geschwindigkeit auf die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit reduziert, nachdem er durch die „Blitzanlage“ auf sein Fehlverhalten aufmerksam geworden sei. Die weitere Geschwindigkeitsüberschreitung beruhe auf einer neuerlichen Fehlleistung des Betroffenen. Das Verbot, dass man nicht zweimal für die selbe Sache bestraft werden könne („ne bis in idem“) http://de.wikipedia.org/wiki/Ne_bis_in_idem finde auf die Verwarnung keine Anwendung.
Gegen dieses Urteil legte der Betroffene erfolglos Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht Hamm ein.
Aus den Gründen.
In Rechtsprechung und Lehre besteht Einigkeit darüber, dass es sich bei mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen auch im Verlaufe einer Fahrt regelmäßig um mehrere Taten im materiellen und prozessualen Sinne handelt (vgl. OLG Hamm VM 2007, 14; OLG Brandenburg NZV 2006, 109, BayObLG NZV 1995, 407; 1994, 448; OLG Köln NZV 1994, 292; OLG Düsseldorf NZV 2001, 273; 1994, 118). Der Umstand, dass die mehreren Verstöße während der selben Fahrt begangen wurden, ändert nichts daran, dass das Fahren als solches keine rechtliche Klammer zu den einzelnen Verhaltensweisen im Straßenverkehr bildet. Eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit ist dagegen lediglich dann anzunehmen, wenn strafrechtlich oder ordnungswidrigkeitenrechtlich erhebliche Verhaltensweisen durch einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichnet sind, dass sich der gesamte Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen unbeteiligten Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Köln a.a.O.).
Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor, denn die zulässige Höchstgeschwindigkeit war bei beiden Messungen unterschiedlich: Nachdem diese zunächst durch Zeichen 274 auf 100 km/h beschränkt worden war, war sie im Folgenden weiter auf 80 km/h reduziert worden. Der Betroffene hat auf diese weitere Geschwindigkeitsbeschränkung auch reagiert, indem er nach der ersten mit 41 km/h erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung seine Geschwindigkeit auf die zulässigen 100 km/h reduziert hatte und sodann nach der weiteren Reduzierung auf 80 km/h die zulässige Höchstgeschwindigkeit erneut überschritt, und zwar mit 17 km/h. Das Gewicht der beiden Geschwindigkeitsüberschreitungen unterscheidet sich deutlich. Zudem sind die Örtlichkeiten an einer Autobahnanschlussstelle, die regelmäßig großflächig beschildert ist und gesonderte Fahrspuren der Auf- und Abfahrten aufweist, anders im Vergleich zu einem regulären Autobahnabschnitt ohne Anschlussstelle. Aufgrund dieser Umstände lassen sich die einzelnen Verkehrsverstöße unschwer von einander abgrenzen und ist die Annahme tatmehrheitlicher Begehungsweise gerechtfertigt.
Das Rügevorbringen des Betroffenen unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Köln vom 15.08.2004 (Ss 259/04 (B), NZV 2004, 536) und die dortige Beurteilung als natürliche Handlungseinheit bei mehreren fahrlässig im Messabstand von ebenfalls nur 1 Minute auf dem selben Autobahnabschnitt begangener Geschwindigkeitsüberschreitungen rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Die dortige Fallgestaltung unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der hier vorliegenden, weil nach den dortigen Feststellungen zwischen beiden Messungen eine Änderung der durch Beschilderung ausgewiesenen zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht erfolgt war, sondern diese durchgehend 100 km/h betrug. Bei dieser Konstellation liegt – auch wenn der Betroffene in jenem Fall seine Geschwindigkeit zwischen beiden Messungen von 161 bzw. 169 km/h unter 100 km/h verringert hatte – eine andere Verkehrssituation vor, da der Betroffene im hier gegebenen Fall zwei Fehlleistungen erbrachte, indem er nach dem Passieren der ersten Beschilderung hinsichtlich der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eine zweite passierte, die die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h weiter auf 80 km/h herabsetzte und beide überschritt (vgl. ebenso OLG Brandenburg a.a.O. in einer gleichgelagerten Fallkonstellation wie hier). Beide Verstöße sind im hier gegebenen Fall von deutlich unterschiedlichen Gewicht, während sie in der der Entscheidung des OLG Köln zugrundeliegenden Konstellation mit 161 bzw. 169 km/h – vor Abzug der Toleranz – von vergleichbarem Gewicht waren und die örtlichen Gegebenheiten auch nicht unterschiedlich waren.
Trotz des gegebenen örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs stellen sich die Verstöße hier mithin bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv auch für einen Dritten nicht als einheitliches zusammengehörendes Tun dar, sondern die Verstöße erfolgten in zwei verschiedenen Verkehrssituationen und beruhten auf verschiedenen sachgedanklichen Ursachen in der Person des Betroffenen (vgl. OLG Hamm a.a.O.).
OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2007, AZ: 3 Ss OWi 458/07