Landgericht München II – Fahren auf Sicht


Ein Omnibus hatte auf der Autobahn bei Dunkelheit einen Zwillingsreifen verloren. Der Fahrer hielt auf dem Standstreifen an und schaltete die Warnblinkanlage des Busses ein. Der Reifen war etwa einen halben Kilometer weiter gerollt und auf dem linken Fahrstreifen der Autobahn liegen geblieben. Eine Autofahrerin bemerkte den auf dem Standstreifen stehenden Bus und wich folgerichtig auf die linke Fahrbahn aus. Dort prallte sie wenige hundert Meter weiter auf den Zwillingsreifen. Dabei wurde ihr Fahrzeug erheblich beschädigt.
Die Haftpflichtversicherung des Busses weigerte sich mit dem Argument, die Autofahrerin habe gegen das Sichtfahrgebot der Straßenverkehrsordnung verstoßen und trage daher eine Mitschuld, den gesamten Schaden zu ersetzen.

Dies sah das Landgericht München II in zweiter Instanz anders. Grundsätzlich, so das Gericht, darf ein Autofahrer bei Dunkelheit zwar nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug innerhalb der überschaubaren Strecke jederzeit zum Halten bringen kann. Auf Hindernisse, welche gemessen an den jeweils bestehenden Sichtbedingungen erst außergewöhnlich spät zu erkennen sind, muss ein Autofahrer seine Geschwindigkeit aber nicht einstellen. Da die Klägerin nicht schneller als mit der am Unfallort geltenden Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gefahren ist, treffe sie auch kein Mitverschulden an dem Unfall. Die Versicherung des Busses, der die Reifen verlor, hatte daher den vollständigen Schaden zu ersetzen.

LG München II, Urteil vom 28.11.2006, AZ: 2 S 4550/06

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