BGH – Belehrungspflichten der Strafverfolgungsbehörden bei Vernehmungen I


(c) S. Hofschlaeger / Pixelio

Hofschlaeger/Pixelio

Der 1. Strafsenat des BGH hat die rechtlichen Voraussetzungen präzisiert, unter denen die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind, einen Verdächtigen über seine Beschuldigtenrechte zu belehren. Zu Grunde lag die Verurteilung eines Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen.

Durch Urteil vom 10. Mai 2006, AktZ.: 3 Ks 21 Js 1896/03, erkannte die Schwurgerichtskammer beim Landgericht Waldshut-Tiengen auf lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe; die besondere Schwere der Schuld ist nicht festgestellt worden. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am 9. oder 10. Mai 2002 im gemeinsamen Wohnanwesen zunächst seine Ehefrau und dann seine Tochter getötet und die Leichen anschließend in einem 30 Kilometer entfernt liegenden Waldstück versteckt. Erst mehr als drei Jahre später wurden die beiden Leichen in weitgehend skelettiertem Zustand entdeckt.

Der BGH hat das Urteil sowohl auf die Revision des Angeklagten als auch – teilweise – auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben und die Sache an das Landgericht Freiburg zurückverwiesen.

Die Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Der BGH hat beanstandet, dass die Schwurgerichtskammer bei der Urteilsfindung die Angaben des Angeklagten bei zwei polizeilichen Vernehmungen verwertet hat, bei denen dieser zu Unrecht nicht als Beschuldigter belehrt worden war. Der Angeklagte, der kurz nach der Tat eine Vermisstenanzeige bei der Polizei erstattet hatte, war im folgenden halben Jahr von der Polizei fünfmal als Zeuge vernommen worden, noch bevor in dieser Sache ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat eingeleitet worden war. Die Strafverfolgungsbehörden hatten hiervon abgesehen, weil nach ihrer Beurteilung keine Tatsachen vorlagen, die einen konkreten und ernsthaften Tatverdacht auf Tötungsverbrechen begründet hätten, auf Grund dessen sie sich hierzu verpflichtet gesehen hätten.

Der BGH hat entschieden, dass die Beurteilung der Verdachtslage durch Staatsanwaltschaft und Polizei zwar nicht zu beanstanden ist, da der Tatverdacht zur Zeit der Vernehmungen weitgehend auf kriminalistischer Erfahrung beruhte. Eine Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung habe gleichwohl bestanden, weil die Ermittlungsbeamten bei der ersten der beiden von der Revision angegriffenen Vernehmungen und danach ein Verhalten gezeigt hätten, aus welchem sich für den Angeklagten habe ergeben müssen, dass sie ihm als Beschuldigten begegneten. Ein solcher Verfolgungswille der Ermittlungsbeamten ergebe sich aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen dieser Vernehmung und einer darauf folgenden Suchmaßnahme mit Leichensuchhunden auf dem Anwesen des Angeklagten. Die Vernehmung habe vornehmlich dazu gedient, mittels kriminalistischer Taktik einen Tatnachweis gegen den Angeklagten, von dessen mutmaßlicher Täterschaft sich der Beamte überzeugt gezeigt habe, zu ermöglichen oder einen gegebenenfalls erst später möglichen Tatnachweis zu erleichtern. Die Vernehmung sei von Vorhalten und Fragen geprägt gewesen, die erkennbar auf „Schwachstellen“ in den bisherigen Aussagen gezielt und zuletzt in eindringlicher Form auf ein Geständnis hingewirkt hätten (etwa: „Das Gewissen plagt Sie nicht?“).

Zudem hat der 1. Strafsenat das Urteil auch auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben, soweit der Angeklagte (nur) wegen Totschlags an seiner Tochter verurteilt worden war. Die Erwägungen, mit denen die Schwurgerichtskammer das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht abgelehnt hat, seien nicht frei von Rechtsfehlern.

BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007, AktZ.: 1 StR 3/07

Mit Beschluss vom 18.07.2007, Az: 1 StR 280/07, verwarf der BGH die Revision eines Angeklagten, der ebenfalls die Rüge erhoben hatte, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft seine Vernehmung als Zeuge verwertet.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 88/2007

, , , ,