OLG Dresden – Beweisverwertungsverbot bei Anordnung der Blutentnahme durch Polizei


Das Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal sprach eine Angeklagte vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr frei, da es sich an der Verwertung der festgestellten Blutalkoholkonzentration gehindert sah. Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Das OLG Dresden sah mit zutreffender Begründung keinen Anlass, das freisprechende Urteil des Amtsgerichts aufzuheben.
Aus den Gründen:

(…) Nach § 81 a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu. Der Richtervorbehalt – auch der einfach gesetzliche – zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahmen in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 96, 44 ff., 103, 142, 151 m.w.N.). Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen (vgl. BVerfGE 103, 142, 155 f.). Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (BVerfGE 103, 142, 160). Das Vorliegen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerfGE 103, 142, 156 f.; BVerfG NJW 2007, 1345 ff.).

Die Frage, welche Folgen sich aus der Nichtbeachtung des Richtervorbehalts in § 81 a Abs. 2 StPO ergeben, hat der Gesetzgeber nicht entschieden (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 19. März 2009 – 2 Ss 15/09). Ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehe, ist dem Strafverfahrensrecht fremd (BGHSt 44, 243, 249). Vielmehr ist diese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbotes und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt a.a.O.). Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme Verwertungsverbotes, wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, eines der Prinzipien des Strafverfahrensrechts nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGHSt a.a.O. m.w.N.). Von einem Beweisverwertungsverbot ist deshalb nur dann auszugehen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird und folglich jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbotes unerträglich wäre (BGHSt 51, 285, 290).

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass in Fällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verletzungshandlung bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt sind ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, weil der Staat aus Eingriffen ohne Rechtsgrundlage keinen Nutzen ziehen darf. Eine Verwertung würde hier gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens verstoßen (vgl. BGHSt 24, 125, 131). Dementsprechend wird in der Rechtsprechung bei bewusster Umgehung des Richtervorbehalts sowie bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot angenommen (vgl. BGHSt 51, 285 ff. für den Fall einer bewussten Missachtung des für Wohnungsdurchsuchungen bestehenden Richtervorbehalts; OLG Bamberg a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Amtsgericht vorliegend zutreffend vom Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes ausgegangen.

Zur Anordnung der Blutentnahme hat es festgestellt, diese nicht durch einen Richter, sondern durch ermittelnden Polizeibeamten erfolgt sei. Diese hätten in der Hauptverhandlung übereinstimmend angegeben, „sie würden grundsätzlich nie auch nur versuchen, einen Richter zu erreichen, weil sie es schon immer so gemacht hätten“. Die Blutentnahme sei bei der Angeklagten am Tattag um 8.07 Uhr durchgeführt worden und habe einen BAK-Wert von 1,34 Promille ergeben. Die Frage, ob sie nach dem Vorfall Alkohol zu sich genommen habe, habe die Angeklagte – ausweislich des Protokolls und Antrags zur Feststellung des Alkohols im Blut – verneint. In die Blutentnahme habe sie nicht eingewilligt und in der Hauptverhandlung der Verwertung des Blutalkoholgutachtens widersprochen. Aufgrund dieser Feststellungen sind die Voraussetzungen eines Verbots der Verwertung eins nach § 81 a Abs. 2 StPO rechtswidrig erhobenen Beweises ausreichend dargelegt. Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Voraussetzungen für „Gefahr im Verzug“ hier nicht vorlagen.

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass ein Rechtssatz dahingehend, dass bei Straftaten unter Alkoholeinfluss generell – ohne Berücksichtigung des Schutzzweckes des Richtervorbehalts im konkreten Einzelfall – von einer Gefährdung des Untersuchungserfolges im Sinne des § 81 a Abs. 2 StPO und damit dem Vorliegen von Gefahr im Verzug ausgegangen werden könne, nicht existiert (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.). Die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss vielmehr jeweils im Einzelfall. mit Tatsachen belegt werden (BVerfG NJW 2007, 1346; Hans.OLG, a.a.O.). Dabei ist davon auszugehen, dass wegen der grundrechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts der Begriff der „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen ist (vgl. BVerfGE 103, 142, 153).

Das Amtsgericht ist weiter rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass vorliegend die Vorschrift des 81 a Abs. 2 StPO „völlig missachtet“ wurde, „gerade so, als ob die Vorschrift“, „welche beiden Polizeibeamten bekannt war, gar nicht existierte“; „eine irgendwie geartete Überlegung dazu, ob die Anordnung der konkreten Fall nicht vielleicht einem Richter und nicht den Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft zustehen könnte, sei überhaupt nicht angestellt worden. Die Annahme des Tatrichters, die Polizeibeamten hätten den Richtervorbehalt des StPO bewusst ignoriert und damit das Vorliegen von Gefahr im Verzug willkürlich angenommen, ist deshalb nicht zu beanstanden.

Das Verhalten der Polizeibeamten stellt einen groben Verstoß gegen das Gebot, den Richtervorbehalt einzuhalten, dar. Unter Zugrundelegung der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGHSt 51, 285 ff.; BGH NStZ 2004, 449 f.; OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238; OLG Karlsruhe VRR 2008, 243; OLG Köln StraFo 2009, 65 f.) zu vergleichbar schweren Verstößen, ist die Annahme eines Verbots der Verwertung rechtswidrig gewonnener Beweismittel hier gerechtfertigt. Anderenfalls könnte der Richtervorbehalt willkürlich ausgehebelt und letztendlich sinnlos gemacht werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Ermittlungsrichter einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde ein wesentliches Erfordernis eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 379; BGHSt, 51, 285 ff.).

Anhaltspunkte, dass die Polizeibeamten von einer irrtümlichen Fehleinschätzung bzw. Fehlinterpretation des Begriffs „Gefahr im Verzug“ bzw. der Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung des Verfahrens ausgegangen sind, existieren angesichts der eindeutigen Aussagen der Polizeibeamten in der Hauptverhandlung nicht. Ein Fall, in dem trotz Verstoßes gegen eine Beweiserhebungsvorschrift kein Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist, liegt damit nicht vor (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 13. Oktober 2008 – 3 Ss 490/08 -; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238 ff.).

Der – für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten – Rechtsfigur eines möglicherweise hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt bei solch bewusster Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zu (vgl. Hans. OLG NJW 2008, 2597 ff.; BGH StV 2007, a.a.O.). (…)

OLG Dresden, Urteil vom 11.05.2009, Az: 1 Ss 90/09

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