BGH – Ob das Fahrzeug repariert werden kann oder ein Totalschaden vorliegt, richtet sich nach den Bruttowerten


Der Kläger verlangte von der Kfz-Haftpflichtversicherung nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall nach einer erfolgten Zahlung weiteren Schadensersatz. Nach dem vom Kläger in Auftrag gegebenen Gutachten betrugen die Reparaturkosten 3.572,40 € netto (4.251,16 € brutto) und der Wiederbeschaffungswert incl. Mehrwertsteuer 4.200,00 €. Der Kläger verlangte von der Versicherung daraufhin Ersatz der Nettoreparaturkosten zuzüglich 25,00 € Unfallkostenpauschale.

Die Versicherung war aber der Meinung, dass ein Totalschaden vorliegt, da die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen und zahlte den Wiederbeschaffungswert von 4.200,00 € abzüglich 1.680,00 € Restwert nebst 20,00 € Kostenpauschale. Der Kläger verlangte die Zahlung des Differenzbetrags.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Versicherung hat das Berufungsgericht die Klage bis auf einen Betrag von 5 € (erhöhte Kostenpauschale) abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klagantrag weiter. Allerdings ohne Erfolg. Nur wenn tatsächlich, fachgerecht und vollständig repariert werde, können Reparaturkosten bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert geltend gemacht werden. Bei fiktiver Schadensabrechnung kann der Geschädigte, wenn die Bruttoreparaturkosten über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegen, nur diesen verlangen.

Aus den Gründen:

(…) Das Berufungsgericht führt aus: Übersteige der Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs, könnten dem Geschädigten Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen seien oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert habe, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteige. Anderenfalls sei die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt. Da der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen allenfalls Notreparaturen vorgenommen habe, um die Fahrfähigkeit des PKW wieder herzustellen und eine qualifizierte Reparatur nicht erfolgt sei, könne er nur dann die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten verlangen, wenn der Fahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert nicht überstiegen habe. Die für die Entscheidung maßgebliche Frage, ob der Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs überstiegen habe, sei zu bejahen. Unstreitig betrage der Wiederbeschaffungswert einschließlich Mehrwertsteuer 4.200 €. Insofern habe der Gutachter ausgeführt, dass vergleichbare Fahrzeuge überwiegend am Privatmarkt angeboten würden. Der mehrwertsteuerneutrale Betrag entspreche dem Wiederbeschaffungswert einschließlich Mehrwertsteuer. Demgegenüber beliefen sich die Reparaturkosten auf 3.572,40 € netto und auf 4.251,16 € einschließlich Mehrwertsteuer. Die Nettoreparaturkosten lägen daher unter dem Wiederbeschaffungswert von 4.200 €, während die Bruttoreparaturkosten höher als der Wiederbeschaffungswert seien. Die Frage, ob der Wiederbeschaffungswert mit den Nettoreparaturkosten oder den Bruttoreparaturkosten zu vergleichen sei, sei dahin zu beantworten, dass der erforderliche Reparaturaufwand und der Fahrzeugwert zu vergleichen seien, wobei zum Aufwand für eine ordnungsgemäße Reparatur regelmäßig ebenso wie zum Aufwand für die Wiederbeschaffung eines Fahrzeugs auch die Mehrwertsteuer gehöre. Insofern bedürfe es eines einheitlichen Vergleichsmaßstabes und könnten die Werte nicht einmal auf Nettobasis (Reparaturkosten) und einmal auf Bruttobasis (Wiederbeschaffungswert) verglichen werden. Da es um einen Wirtschaftlichkeitsvergleich gehe, also alternative tatsächliche Schadensausgleichsmaßnahmen miteinander verglichen würden, sei es sachgerecht, auf beiden Seiten der Vergleichsrechnung den jeweiligen Bruttowert in den Vergleich einzustellen. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.

Zutreffend legt das Berufungsgericht seiner Entscheidung die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats zu Grunde. Übersteigt der Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs im Rahmen der 130% Grenze, können Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat, und wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt, und dass anderenfalls die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt ist (Senatsurteile BGHZ 162, 161 ff.; 162, 170 ff.). Hingegen spielt die Qualität der Reparatur so lange keine Rolle, wie die geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, so dass in diesem Fall die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangt werden können (Senatsurteile BGHZ 154, 395 ff.; 168, 43 ff.).

(…) Dem Geschädigten, der eine Reparatur nachweislich durchführt, werden die zur Instandsetzung erforderlichen Kosten, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigen, nur deshalb zuerkannt, weil regelmäßig nur die Reparatur des dem Geschädigten vertrauten Fahrzeugs sein Integritätsinteresse befriedigt (vgl. Senatsurteile BGHZ 115, 364, 371; 162, 161, 166; 162, 170, 173, jew. m. w. Nachw.), wobei aber letztlich wirtschaftliche Aspekte den Zuschlag von bis zu 30% zum Wiederbeschaffungswert aus schadensrechtlicher Sicht als gerechtfertigt erscheinen lassen (Senatsurteil BGHZ 162, 161, 166 ff.). Dabei ist zu bedenken, dass die Schadensersatzpflicht von vornherein nur insoweit besteht, als sich die Aufwendungen im Rahmen wirtschaftlicher Vernunft halten (Senatsurteile BGHZ 115, 375, 378 f.; 162, 161, 165).

Daran hat sich der Vergleichsmaßstab auszurichten. Nimmt der Geschädigte wie hier nur eine Notreparatur vor, stellen die vom Sachverständigen geschätzten Bruttoreparaturkosten einschließlich der Mehrwertsteuer regelmäßig den Aufwand dar, den der Geschädigte hätte, wenn er das Fahrzeug tatsächlich derart reparieren ließe, dass ein Schadensersatz im Rahmen der 130% Grenze in Betracht käme. Dieser Aufwand ist mit dem Wiederbeschaffungswert zu vergleichen (ebenso: OLG Düsseldorf, DAR 2008, 268, 269; AG Kaiserslautern, VersR 2005, 1303, 1304 f.; Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 3 Rn. 35; Palandt/Heinrichs, 68. Aufl., § 249 Rn. 28). Liegt der Betrag der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten einschließlich der Mehrwertsteuer über dem Wiederbeschaffungswert, kann eine Reparatur nur dann als noch wirtschaftlich vernünftig angesehen werden, wenn sie vom Integritätsinteresse des Geschädigten geprägt ist und fachgerecht sowie in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Eine fiktive Schadensabrechnung führt in diesem Fall dazu, dass der Geschädigte nur den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen kann.

Aus § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach Umsatzsteuer nur dann verlangt werden kann, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist, ergibt sich nichts Abweichendes. Die Vorschrift besagt nur, dass im Fall fiktiver Schadensabrechnung der auf die Umsatzsteuer entfallende Betrag nicht zu ersetzen ist. Nach der gesetzlichen Wertung käme es zu einer Überkompensation, wenn der Geschädigte fiktive Umsatzsteuer auf den Nettoschadensbetrag erhielte (vgl. BTDrucks. 14/7752 S. 13; Senatsurteil BGHZ 158, 388, 391), was auch im Fall eines Totalschadens (Senatsurteil BGHZ 158, 388 ff.) und bei konkreter Schadensabrechnung nach der Ersatzbeschaffung eines Fahrzeugs (Senatsurteile BGHZ 164, 397 ff.) gilt. Um die Verhinderung einer Überkompensation geht es bei der vorliegenden Fragestellung indes nicht. Vielmehr geht es um eine wertende Betrachtung, unter welchen Umständen eine Reparatur des total beschädigten Fahrzeugs noch als ausreichend wirtschaftlich angesehen werden kann, damit dem Schädiger eine Belastung mit den Kosten zuzumuten ist. (…)

BGH, Urteil vom 3. März 2009, Az: VI ZR 100/08
Vorinstanzen: AG Fulda, Entscheidung vom 29.11.2007, Az: 32 C 203/07 ./. LG Fulda, Entscheidung vom 29.02.2008, Az: 1 S 200/07

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