OLG Celle – Erkennbarkeit der Wirkung von Cannabis kann fehlen, wenn zwischen Konsum und Fahrtantritt ein größerer Zeitraum liegt (hier etwa 23 Stunden)


Ein Kraftfahrzeugführer, der angehalten worden war, räumte ein, am Vortag Cannabis konsumiert zu haben. Die Untersuchung der daraufhin entnommenen Blutprobe ergab einen Tetrahydrocannabinol-Gehalt von 2,7 ng/ml ergab. Nach Auffassung des Amtsgerichts habe der Betroffene zum Tatzeitpunkt damit rechnen müssen, noch berauschende Mittel im Blut zu haben und verurteilte ihn wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung eines berauschenden Mittels zu einer Geldbuße von 250 EUR und verhängte ein einmonatiges Fahrverbot.
Gegen dieses Urteil wandte sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Zum einen beanstandet er, dass die Ergebnisse der Blutuntersuchung verwertet wurden, obwohl die Blutprobe ohne vorherige richterliche Anordnung entnommen worden ist. Weiter machte er geltend, dass angesichts des festgestellten THC-Gehalts und des zeitlichen Abstands zwischen Rauschmittelkonsum und Fahrt die Feststellungen zum Fahrlässigkeitsvorwurf unzureichend seien.

Ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt bei der Anordnung der Blutentnahme war vom Verteidiger allerdings nicht ausreichend dargelegt, der Verteidiger hatte ausweislich des Protokolls der Verwertung der Blutuntersuchung auch nicht ausdrücklich widersprochen. Aber zumindest mit dem letzen Argument der hatte der Betroffene Erfolg, das Oberlandesgericht Celle hob die Verurteilung auf und verwies die Sache zu erneuter Entscheidung an das Amtsgericht zurück.

Aus den Gründen:

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite konnten (…) keinen Bestand haben. Das Amtsgericht hat insoweit ausgeführt, der Betroffene habe fahrlässig gehandelt. Ihm sei nach seiner eigenen Einlassung bewusst gewesen, am Vortag gegen 19:00 Uhr Cannabis konsumiert zu haben. Damit musste er damit rechnen, auch am Folgetag noch berauschende Mittel im Blut zu haben. Diese Erwägungen tragen den Schuldspruch in subjektiver Hinsicht nicht.

Fahrlässig i. S. des § 10 OWiG handelt, wer die Sorgfalt außer acht lässt, zu der er nach den Umständen und seinen Fähigkeiten verpflichtet und in der Lage ist und deshalb entweder die Tatbestandsverwirklichung nicht vorhersieht (unbewusste Fahrlässigkeit) oder zwar die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennt, aber ernsthaft darauf vertraut, dass sie nicht eintritt („bewusste Fahrlässigkeit“, vgl. zum Ganzen nur Göhler, OWiG, 14. Aufl., Rdnr. 6 zu § 10 m. w. N.).

Im Hinblick auf den Tatbestand des § 24 a Abs. 2 StVG bedeutet dies, dass Fahrlässigkeit voraussetzt, der Betroffene habe die Möglichkeit der fortbestehenden Wirkung des Rauschmittelkonsums bei Fahrtantritt entweder erkannt oder jedenfalls hätte erkennen können und müssen. Es genügt also nicht etwa das bloße Wissen um den Konsum (herrschende obergerichtliche Rechtsprechung: OLG Hamm, Beschluss vom 20.05.2008, 5 Ss OWi 282/08, juris. OLG Frankfurt, NStZRR 2007, 249 f. = StV 2008, 24 f.. OLG Saarbrücken, NZV 2007, 320 f.. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29.06.06, 1 Ss 88/06, juris. OLG Bremen, NZV 2006, 276 f.. soweit der Entscheidung des BayObLG vom 26.02.2004, 2 ObOWi 45/04, BA 2006, 47, eine andere Auffassung entnommen werden könnte, dürfte dieser heute keine Bedeutung mehr zukommen, weil sie vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.2004, 1 BvR 2652/03, NZV 2005, 270 ff., ergangen ist, nach der entgegen dem Wortlaut des § 24 a Abs. 2 StVG der Tatbestand nur bei einer THCKonzentration deutlich oberhalb des Nullwertes erfüllt ist und Wirk und Nachweiszeit nicht mehr gleichgesetzt werden dürfen). Fahrlässigkeit ist deshalb nur dann ohne Weiteres anzunehmen, wenn der Betroffene sich in zeitlicher Nähe zum Cannabiskonsum an das Steuer eines Kraftfahrzeuges setzt, weil grundsätzlich nicht erforderlich ist, dass sich der Betroffene einen spürbaren oder messbaren Wirkstoffeffekt vorgestellt hat, zumal die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen nicht außer Betracht bleiben kann (vgl. OLG Saarbrücken VRS 112, 54 ff. = NJW 2007, 309 ff.. OLG Frankfurt a. a. O.). An der Erkennbarkeit der fortwährenden Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt kann es aber ausnahmsweise fehlen, wenn zwischen Drogenkonsum und Fahrt eine größere Zeitspanne liegt (ebenso die bereits oben zitierten Oberlandesgerichte). Das ist auch bei einer Zeitspanne von knapp 23 Stunden zwischen Drogenkonsum und Fahrt, wie ihn das Amtsgericht hier angenommen hat, der Fall (ebenso OLG Frankfurt a. a. O.. vgl. auch OLG Saarbrücken NZV 2007, 320 f.: „mehr als 28 Stunden“).

In einem solchen Fall bedarf es näherer Ausführungen dazu, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffene hätte bewusst machen können, dass der Cannabiskonsum noch Auswirkungen haben konnte (OLG Saarbrücken a. a. O.. OLG Frankfurt a. a. O.). Die Vorstellung des Betroffenen ist unter Würdigung sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel vom Tatgericht festzustellen (OLG Hamm a. a. O.). Zu all dem verhält sich das angefochtene Urteil indes nicht.

Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, weshalb der Betroffene seinerzeit kontrolliert worden ist, in welcher Menge und Qualität Cannabis konsumiert worden ist und ob der Betroffene regelmäßiger Konsument ist, weil sich aus diesen Umständen Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Betroffenen möglicherweise ziehen lassen. Das Amtsgericht teilt auch nicht mit, ob und wie sich der Betroffene selbst in diesem Zusammenhang eingelassen hat, sondern führt lediglich aus, dass der Betroffene Cannabiskonsum am Vortag um 19:00 Uhr eingeräumt hat. Diese Einlassung übernimmt das Amtsgericht im Übrigen ungeprüft, ohne etwa mit sachverständiger Beratung zu hinterfragen, ob die Einlassung mit dem Ergebnis der Blutuntersuchung, auch was 11HydroxyTetrahydrocannabinol und THC Carbonsäurewerte angeht, zu vereinbaren ist. Das Amtsgericht wird deshalb zur Frage der Fahrlässigkeit ergänzende Feststellungen zu treffen und insgesamt eine neue Prüfung zu den subjektiven Voraussetzungen des § 24 a Abs. 2 StVG vorzunehmen haben. Dabei kann u. a. eine Rolle spielen, welcher Umstand die Polizeibeamten am Tattag veranlasst hat, eine Blutprobe anzuordnen.

OLG Celle, Beschluss vom 09.12.2008, Az: 322 SsBs 247/08 (Volltext Justiz Niedersachsen)

Praxisrelevanz:

Wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er Drogen konsumiert hat, handelt nach § 24a StVG ordnungswidrig, ist der Fahrzeugführer infolge der Beeinflussung von Drogen nicht in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen, macht sich gem. § 316 StGB sogar strafbar.

Im Fall des Konsums von Cannabis ist bei einer Wirkstoffkonzentration von 1 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) zwar objektiv der sichere Nachweis erbracht, dass der Fahrzeugführer noch unter der Wirkung zuvor genossenen Cannabis steht. Erforderlich ist aber auch die subjektive Tatbestandsverwirklichung, was von den Amtsgerichten gern „übersehen“ wird.

Sowohl die Ordnungswidrigkeit, als auch die Straftat, können sowohl vorsätzlich, als auch fahrlässig begangen werden. Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit müssen sich aber nicht lediglich auf den Konsumvorgang, sondern auch auf die Wirkung des Rauschgiftes zum Tatzeitpunkt beziehen. Vorsätzlich wäre es z.B., wenn der Fahrzeugführer gerade eben noch konsumiert hat und sich sogleich ans Steuer setzt, wobei er erkennt oder es zumindest für möglich hält, dass er unter dem Einfluss von Drogen steht, es ihm aber letztlich egal ist. Mit zunehmendem Abstand zwischen Konsum und Fahrtantritt kann es aber an der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt und damit am Merkmal der Fahrlässigkeit fehlen. Fahrlässigkeit liegt z.B. dann nicht vor, wenn der Fahrzeugführer es unwiderlegt nach einem länger zurückliegenden Konsum für ausgeschlossen hält, dass er noch unter dem berauschenden Einfluss einer Droge steht, selbst wenn objektiv der Wert von 1 ng/ml THC überschritten ist.

In einem solchen Fall muss das Amtsgericht sämtliche zur Verfügung stehende Beweismittel ausschöpfen und sich, wenn z.B. der Fahrzeugführer bis auf den Umstand, dass der Konsum längere Zeit zurückliegt oder aber das Amtsgericht dieser Aussage keinen Glauben schenken möchte, im Zweifel eines Sachverständigen bedienen, um zu klären, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffene hätte bewusst machen können, dass der zurückliegende Konsum noch Auswirkungen haben konnte. Neben Ausfallerscheinungen im engeren Sinn können insoweit u.a. die Menge und Qualität des konsumierten Cannabis, die Häufigkeit des Cannabiskonsums und die Einlassung des Fahrzeugführers zu seinem Vorstellungsbild Rückschlüsse zulassen.

Ähnlich wie das OLG Celle entschieden bereits weitere Oberlandesgerichte. So entschied das OLG Saarbrücken (Beschluss vom 16.3.2007, Az: Ss (B) 5/2007 (18/07)), dass bei einer Wirkstoffkonzentration von 1 ng/ml THC, zwar der sichere Nachweis erbracht ist, dass der Betroffene noch unter der Wirkung zuvor genossenen Cannabis steht. Allerdings könne es an der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt und damit am Merkmal der Fahrlässigkeit fehlen, wenn zwischen der Einnahme des Rauschmittels und der Fahrt längere Zeit (hier 28 Stunden) vergeht.

Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 25.04.2007, Az: 3 Ss 35/07) hielt ebenfalls die zuvor vom Amtsgericht getroffenen Feststellung zum subjektiven Tatbestand für nicht ausreichend. Bei einer Fahrt unter Drogeneinfluss müssen sich Vorsatz und Fahrlässigkeit nicht lediglich auf den Konsumvorgang, sondern auch auf die Wirkung des Rauschgiftes zum Tatzeitpunkt beziehen. An der Erkennbarkeit der Wirkung der Rauschmittel könne es fehlen, wenn seit dem Konsum 23 Stunden vergangen sind.

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