BGH – Umtausch mangelhafter Ware ist kostenlos


Eine Verbraucherin hatte im Sommer 2002 bei einem Versandhandelsunternehmen, ein „Herd-Set“ zum Preis von 524,90 € gekauft. Im Januar 2004 stellte die Kundin fest, dass sich die Emailleschicht im Backofen abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte das Versandhandelsunternehmen den Backofen aus. Für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Gerätes verlangte es allerdings rund 70 €, die die Käuferin auch entrichtete.
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände e.V. schaltete sich ein und forderte aufgrund einer Ermächtigung durch die Käuferin vom Versandhandelsunternehmen die Rückzahlung dieses Betrages. Weiterhin verlangt er es zu unterlassen, im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren als Ersatz für mangelhafte Kaufgegenstände von Verbrauchern Zahlungen für die Nutzung der zunächst gelieferten Ware zu verlangen.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth gab dem Antrag auf Rückzahlung der 70 € statt, wies aber den Unterlassungsantrag ab. Das Oberlandesgericht Nürnberg wies anschließend die Berufungen beider Parteien zurück. Dagegen haben beide Parteien Revision eingelegt. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Versandhandelshauses, mit der die Abweisung der Klage auch hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs begehrt wurde, zurückgewiesen. Dagegen hat er der Revision des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, mit der dieser seinen Unterlassungsantrag weiter verfolgt hat, stattgegeben.

Zunächst hatte der Bundesgerichtshof das Verfahren mit Beschluss vom 16. August 2006 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 des EG-Vertrages die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB mit der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufes und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. Nr. L 171/12 vom 7. Juli 1999, Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) in Einklang steht (Mitteilung der Pressestelle Nr. 118/2006). Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil vom 17. April 2008 entschieden und die vorgelegte Frage wie folgt beantwortet:

„Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen.“

Der Bundesgerichtshof hat daraufhin entschieden, dass beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) der Verkäufer von dem Verbraucher im Falle der Ersatzlieferung für eine mangelhafte Ware entgegen dem Wortlaut des Gesetzes (§ 439 Abs. 4, § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) keinen Wertersatz für die Nutzung der zunächst gelieferten Kaufsache verlangen kann. Die durch § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346 bis 348 BGB) greifen nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst ein, sie führen beim Verbrauchsgüterkauf hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache.

Diese Einschränkung ist erforderlich, weil eine Verpflichtung des Käufers zur Zahlung von Nutzungsersatz nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften mit Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht vereinbar ist. An diese Entscheidung sind die nationalen Gerichte gebunden. Sie sind zudem verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (richtlinienkonforme Auslegung). Dieser von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte Grundsatz verlangt von den nationalen Gerichten mehr als nur eine Rechtsfindung innerhalb des Gesetzeswortlauts (Auslegung im engeren Sinne). Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung erfordert darüber hinaus, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden. Daraus folgt hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch Beschränkung des § 439 Abs. 4 BGB auf einen mit Art. 3 der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.

Dies steht im Einklang mit dem Grundsatz der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG). Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht, die durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen ist. Aus den Gesetzesmaterialen geht hervor, dass der Gesetzgeber die Absicht hatte, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, jedoch irrtümlich davon ausging, § 439 Abs. 4 BGB sei im Falle des Verbrauchsgüterkaufs mit Art. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar (BT-Drs. 14/6040, S. 232 f.). Dies wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber nunmehr der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Rechnung tragen und durch eine Gesetzesänderung eine richtlinienkonforme Umsetzung der Richtlinie herbeiführen will (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 15. Oktober 2008, BT-Drs. 16/10607, S. 4, 5 f.).

BGH, Urteil vom 26. November 2008 – VIII ZR 200/05
Vorinstanzen: LG Nürnberg-Fürth – Urteil vom 22. April 2005 – 7 O 10714/04 ./. OLG Nürnberg – Urteil vom 23. August 2005 – 3 U 991/05 ./. BGH, Beschluss vom 16. August 2006 – VIII ZR 200/05 (veröffentlicht unter anderem in NJW 2006, 3200) ./. EuGH, Urteil vom 17. April 2008, Rs. C-404/06 – Quelle AG gegen Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände e.V. (veröffentlicht unter anderem in NJW 2008, 1433)

Quelle: Pressestelle beim BGH Nr. 217/2008 vom 26.11.2008

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