OLG Celle – Kein Mitverschulden, wenn ein Kind ohne Fahrradhelm transportiert und bei einem Unfall verletzt wird


Die Betreibergesellschaft einer Straßenbahn machte Schadensersatz gegen einen Fahrradfahrer geltend, der beim Überqueren der Gleise stürzte, wobei das auf dem an seinem Lenker befestigten Fahrradsitz transportierte fünfjährige Kind schwer verletzt wurde. Die Straßenbahnbetreiberin zahlte nach dem Unfall umfangreiche Behandlungskosten an die Krankenversicherung des Kindes und verlangte die von ihr verauslagten Kosten von der Haftpflichtversicherung des Fahrradfahrers ersetzt. Die Haftpflichtversicherung übernahm lediglich 2/3 der Kosten, da die Mutter des verletzten Kindes ein Mitverschulden treffe. Diese hätte dem Kind einen Helm aufsetzen müssen. Den nicht ersetzten Anteil von 1/3, immerhin knapp 24.000 Euro, verlangte die Betreiberin der Straßenbahn nun vom Fahrradfahrer.
Das LG Hannover gab der Klage gegen den Radfahrer statt. Dieser habe alle Verkehrsregeln, insbesondere das Vorfahrtsrecht der Straßenbahn missachtet. Ein Mitverschulden der Mutter hat das LG Hannover jedoch verneint. Es gebe, auch wenn das Radfahren ohne Schutzhelm gefährlich sei, keine Helmpflicht. Die Haftpflichtversicherung des Radfahrers, die an dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin beteiligt und die dem Radfahrer gegenüber damit zur vollständigen Freistellung von Schadenersatzforderungen verpflichtet war, legte gegen das Urteil des Landgerichts Hannover Berufung zum Oberlandesgericht Celle ein. Dort wurde das Urteil allerdings bestätigt. Nach Auffassung des OLG sei es nicht grob fahrlässig, ein Kind in einem Fahrradsitz ohne Fahrradhelm zu transportieren oder von Dritten mitnehmen zu lassen. Es sei grundsätzlich empfehlenswert, beim Radfahren einen Helm zu tragen. Dennoch könne der Mutter des Jungen kein Mitverschulden angelastet werden, da eine gesetzliche Helmpflicht nicht bestehe. Ein Mitverschulden eines Geschädigten komme nach der Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen in Betracht, so z.B. bei Rennfahrern. In dem zu entscheidenden Fall sei aber nicht der Radfahrer selbst, sondern das mittransportierte Kind betroffen.

Aus den Gründen:

(…) Der Senat hält es auch nicht für grob fahrlässig, ein Kind in einem Fahrradsitz ohne Fahrradhelm zu transportieren oder von Dritten mitnehmen zu lassen. Dabei wird nicht verkannt, dass der Schutz der Gesundheit des Kindes im Rahmen der elterlichen Obhutspflicht einen hohen Stellenwert besitzt. Auch wenn es allgemeine Empfehlungen zum Tragen eines Fahrradhelmes durch Organisationen wie die Deutsche Verkehrswacht oder den ADAC gibt und die Eignung des Tragens von Schutzhelmen zur Vermeidung bestimmter Kopfverletzungen wissenschaftlich belegt ist, folgt der Senat gleichwohl in der Tendenz den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm (NZV 2001, 86 f.) sowie Düsseldorf (NJW RR 2006, 1616 f.), die mit zutreffenden Erwägungen einen Mitverschuldensvorwurf wegen des Nichttragens eines Fahrradhelms verneinen. Dabei ist zwar nicht ausschließlich auf das Fehlen einer gesetzlichen Helmtragepflicht abzustellen. Trotz der vorgenannten Hinweise darauf, dass das Tragen eines Fahrradhelms zur Vermeidung insbesondere von Kopfverletzungen sinnvoll sei, ist indes nicht festzustellen, dass sich eine allgemeine Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Eigenschutzes zur Vermeidung von Verletzungen herausgebildet hätte (vgl. OLG Hamm a.a.O.). In diesem Zusammenhang erlangt auch der Umstand Bedeutung, dass die Schaffung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung nicht einmal ernsthaft diskutiert wird. Dementsprechend hat die Rechtsprechung bislang das Fahrradfahren ohne Helm nur in seltenen Ausnahmefällen zum Anlass genommen, einem Geschädigten überhaupt ein Mitverschulden anzulasten, nämlich z. B. bei Rennfahrern oder in dem von der Nebenintervenientin angeführten Fall eines seinerzeit zehn Jahre alten Kindes (LG Krefeld NJV 2006, 205 f.). Diese wenigen Ausnahmefälle betrafen aber zusätzlich jeweils den Fahrradfahrer selbst, nicht hingegen mittransportierte Kinder. Insoweit liegen nach den Recherchen des Senates (auch unter Zuhilfenahme des Internets) keinerlei Umfrageergebnisse, Statistiken, amtliche oder nichtamtliche Erhebungen o. ä. zum Vorhandensein eines allgemeinen entsprechenden Verkehrsbewusstseins vor. Angesichts dieser Umstände kann einem Elternteil nicht der Vorwurf groben Verschuldens gemacht werden, wenn der Transport eines Kindes in einem Fahrradsitz ohne Helm gestattet wird. (…)

OLG Celle, Urteil vom 11.06.2008, Az: 14 U 179/07 (Volltext)
Vorinstanz: LG Hannover , Urteil vom 18.09.2007, Az: 14 O 435/06

, , ,