BGH – kein Geld für die Ex – zum Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau


Der für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erneut mit Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zum 1. Januar 2008 geänderten Unterhaltsrecht zu befassen. Zwischen einem Lehrer und dessen geschiedener Ehefrau war streitig, wie viel Geld der Geschiedenen noch zusteht, nachdem ihr Ex-Ehemann eine andere Frau geheiratet hat und Vater geworden ist. In Rechtsprechung und Literatur war noch weitgehend ungeklärt, wie der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau zu bemessen ist und ob sich die Ansprüche wechselseitig zur Höhe beeinflussen.

Zum 1. Januar 2008 ist durch § 1609 BGB auch der Rang der beiden Unterhaltsansprüche geändert worden, was sich immer dann auswirkt, wenn der Unterhaltspflichtige unter Wahrung des ihm verbleibenden Selbstbehalts (hier: 1000 €) nicht alle Ansprüche voll befriedigen kann.

Nach 23 Ehejahren hatte sich der Lehrer 2002 von seiner ersten Frau getrennt. Die Ehe der beiden war kinderlos. Im Rahmen der Scheidung in 2005 hatten die beiden einen Vergleich geschlossen, in dem sich der Lehrer verpflichtet hatte, an seine Ex-Frau, die als Verkäuferin arbeitete und daher ein eigenes Einkommen von monatlich rd. 1.175 € zur Verfügung hatte, einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 600 € zu zahlen. Im Oktober 2005 heiratete der Lehrer wieder, bereits im Dezember 2003 wurde von seiner neuen Lebenspartnerin eine gemeinsame Tochter geboren. Der Lehrer klagte auf Feststellung, dass er ab Oktober 2005 keinen Unterhalt mehr zahlen und verlangte Rückzahlung der seit gezahlten Unterhaltsbeträge.

Das Amtsgericht Lingen wies die Klage ab. Auf die Berufung des Lehrers setzte das Oberlandesgericht Oldenburg den Unterhalt der geschiedenen Ehefrau teilweise herab. Hiermit war die Ex-Frau allerdings nicht einverstanden, sie zog vor den Bundesgerichtshof. Auf die Revision der hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil zwar aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, allerdings dürfte die Ex bei erneuter Entscheidung durch das OLG Oldenburg letztlich leer ausgehen.

Vorrang genießen nach Auffassung des BGH stets die Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder. Nachrangig sind die Ehefrauen unterhaltsberechtigt, welche die gemeinsamen Kinder betreuen oder die besonders lange mit dem Kindsvater verheiratet waren. Da im konkreten Fall die neue Ehefrau des Lehrers die gemeinsame Tochter betreut, ist sie zweitrangig unterhaltsberechtigt. Ebenso wäre die Ex-Ehefrau auf Grund der langen Ehe unterhaltsberechtigt. Sie sich allerdings selbst versorgen, da sie keine Kinder hat und voll erwerbstätig war.

1. Zur Bedarfsbemessung:

Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der geschiedenen und der neuen Ehefrau des Beklagten nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 BGB) ist der Bundesgerichtshof von seiner neueren Rechtsprechung ausgegangen, wonach nicht nur ein späterer Einkommensrückgang, sondern auch ein späteres Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen ist (BGH Urteil vom 6. Februar 2008 – XII ZR 14/06 – FamRZ 2008, 968). Eine Grenze für diese Berücksichtigung ergibt sich erst in Fällen unterhaltsrechtlich vorwerfbaren Verhaltens, was weder beim Hinzutreten später geborener Kinder noch bei Heirat einer neuen Ehefrau der Fall ist.

Wenn sich somit auch der Unterhaltsbedarf einer geschiedenen und einer neuen Ehefrau gegenseitig beeinflussen, ist der jeweilige Bedarf aus einer Drittelung des vorhandenen Einkommens zu ermitteln. Ist nur ein unterhaltsberechtigter Ehegatte vorhanden, ergibt sich dessen Bedarf aus einer Halbteilung des vorhandenen Einkommens. Dem Halbteilungsgrundsatz kann aber nicht entnommen werden, dass dem Unterhaltspflichtigen stets und unabhängig von der Zahl der Unterhaltsberechtigten immer die Hälfte seines Einkommens verbleiben muss. Diesem Grundsatz ist vielmehr lediglich zu entnehmen, dass dem Unterhaltspflichtigen stets so viel verbleiben muss, wie ein Unterhaltsberechtigter durch eigene Einkünfte und den ergänzenden Unterhalt zur Verfügung hat. Bei nur einem unterhaltsberechtigten Ehegatten ist das die Hälfte, bei einem früheren und einem neuen Ehegatten ein Drittel.

Der Bundesgerichtshof hat den Fall zugleich zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zur Behandlung des Splittingvorteils aus der neuen Ehe zu ändern. Nach der zum früheren Recht ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs musste der Splittingvorteil stets der neuen Ehe verbleiben. Der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau musste deswegen auf der Grundlage eines fiktiven und geringeren – weil nach der Grundtabelle zu versteuernden – Einkommens errechnet werden. Weil sich nunmehr der Unterhaltsbedarf der geschiedenen und der neuen Ehefrau wechselseitig beeinflussen, konnte der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung aufgeben. Allerdings darf ein geschiedener Ehegatte nicht mehr Unterhalt erhalten, als ihm ohne Einbeziehung des Splittingvorteils zustünde, wenn er allein unterhaltsberechtigt wäre.

2. Zum Rang der Unterhaltsansprüche:

Das Oberlandesgericht hatte die geschiedene und die neue Ehefrau des Unterhaltspflichtigen schon nach dem für Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 geltenden früheren Unterhaltsrecht (§ 1582 BGB a.F.) als gleichrangig angesehen. Dies hat der Bundesgerichtshof als rechtsfehlerhaft gerügt. Der Rang der Unterhaltsansprüche mehrerer Ehegatten war nach dem bis Ende 2007 geltenden früheren Unterhaltsrecht vornehmlich durch den Prioritätsgedanken bestimmt. Nach der Intention des Gesetzes musste sich ein neuer Ehegatte auf die schon bestehenden Unterhaltspflichten einrichten und konnte im Mangelfall nur den Unterhalt bekommen, der dem Unterhaltspflichtigen nach Erfüllung der Unterhaltsansprüche der geschiedenen Ehefrau unter Wahrung seines eigenen Selbstbehalts zur Verfügung stand. Bei diesem Vorrang der geschiedenen Ehefrau, den auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt hatte, hat es nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs für die Unterhaltsansprüche bis Ende 2007 zu verbleiben, so dass die Beklagte der neuen Ehefrau des Klägers vorging.
Für Unterhaltsansprüche ab Januar 2008 hat das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz allerdings eine neue Rangfolge festgelegt. Der Gesetzgeber hat dabei den Prioritätsgedanken weitgehend aufgegeben und auf das Gewicht der einzelnen Unterhaltsansprüche abgestellt. Nach den im ersten Rang stehenden Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder sind im zweiten Rang stets die Ansprüche Kinder betreuender Eltern auf Betreuungsunterhalt zu befriedigen. Weil die neue Ehefrau des Beklagten das gemeinsame Kind betreut, das noch keine drei Jahre alt war, ist sie zweitrangig unterhaltsberechtigt. Andere Ehegatten oder geschiedene Ehegatten stehen nur dann im gleichen zweiten Rang, wenn eine lange Ehedauer vorliegt. Dabei ist aber nicht allein auf die Dauer der Ehe abzustellen. Vielmehr ist gemäß den §§ 1609 Nr. 2, 1578 b BGB entscheidend darauf abzustellen, ob die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau ehebedingte Nachteile erlitten hat. Weil die Beklagte in ihrer 24-jährigen und kinderlosen Ehe hier seit 1992 durchgehend vollschichtig berufstätig war und deswegen ehebedingte Nachteile nicht ersichtlich sind, ist ihr Unterhaltsanspruch für die Zeit ab Januar 2008 gegenüber der neuen Ehefrau nachrangig.

BGH, Urteil vom 30. Juli 2008 XII ZR 177/06
Vorinstanzen: Amtsgericht Lingen (Ems) – Urteil vom 21.06.2006 – 19 F 133/06 UE ./. Oberlandesgericht Oldenburg – Urteil vom 26.09.2006 – 12 UF 74/06

Quelle: Pressemitteilung Nr. 150/2008 vom 31. Juli 2008

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