VGH Baden Württemberg – Aufbauseminar für Fahrradfahrer bei einem Rotlichtverstoß rechtmäßig


Wegen Missachtung einer roten Ampel, wobei die Rotphase bereits länger als 1 Sekunde angedauert hatte, wurde gegen einen Fahrradfahrer rechtskräftig eine Geldbuße von 62,50 EUR verhängt und im Verkehrszentralregister 1 Punkt eingetragen. Da der Radfahrer, der auch eine Fahrerlaubnis hatte, sich noch in der Probezeit befand, ordnete die Führerscheinbehörde daraufhin die Teilnahme an einem Aufbauseminar an. Der Widerspruch des Fahrradfahrers wurde zurückgewiesen, so dass Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg erhoben wurde.

Das Verwaltungsgericht Freiburg wies die Klage ab. Nach § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 34 Führerscheinverordnung (FeV) i.V.m. der Anlage 12 zur FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde gegenüber dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe die Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn gegen diesen wegen einer innerhalb der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die in das Verkehrszentralregister einzutragen gewesen ist und wenn er eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Nach § 34 Abs. 1 FeV erfolgt die Bewertung der Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe entsprechend der Anlage 12.

Da es sich um einen qualifizierten Rotlichtverstoß handelte (Ampel länger als eine Sekunde rot), lagen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachschulung vor. Nach Anlage 12 zur FeV (Abschnitt A Ziff. 2.1) gehören zu den Ordnungswidrigkeiten, die als schwerwiegende Zuwiderhandlungen zu bewerten sind, u.a. Verstöße gegen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung über das Verhalten an Wechsellichtzeichen, Dauerlichtzeichen und Zeichen 206 sowie gegenüber Haltezeichen von Polizeibeamten, somit also auch Rotlichtverstöße. Dabei werden auch Verkehrsverstöße erfasst, die mit einem nicht fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeug, wie mit einem Fahrrad oder Mofa, begangen werden.

Zu beachten ist aber, dass nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 FeV nur rechtskräftige Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit einzutragen sind, wenn eine Geldbuße von mindestens 40,- EUR festgesetzt wurde. Einige der mit einem Fahrrad begangenen Verkehrsverstöße würden aber zu einem geringeren Bußgeld führen, denn nach § 3 Abs. 6 BKatV ist der im Bußgeldkatalog angegebene Bußgeldregelsatz bei Ordnungswidrigkeiten, die nicht von motorisierten Verkehrsteilnehmern begangen würden, in der Regel um die Hälfte zu ermäßigen. In diesen Fällen würde der Verkehrsverstoß keine Nachschulungsanordnung nach sich ziehen.

Sinn und Zweck des § 2 a Abs. 2 StVG ist nicht die nochmalige Ahndung von Verkehrsverstößen. Mit der Einführung der Fahrerlaubnis auf Probe ist vielmehr für den Fahranfänger eine Art Bewährungszeit geschaffen worden, in der von ihm besondere Vorsicht und Rücksicht im Straßenverkehr verlangt und in der Verstöße gegen die gesetzlichen Pflichten besonders stark gewichtetet würden. Bei Auffälligkeiten vermutet das Gesetz, dass die Bewährung noch nicht vorliegt. Die jeweilige Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit wird gerade nicht danach beurteilt, welche Sanktionen dafür angemessen sind, sondern nur danach, ob die Auffälligkeit so gewichtig ist, dass sie die Annahme der Nichtbewährung rechtfertige. Bei anfängertypischen bzw. gravierenden Regelverstößen ist eine Nachschulung anzuordnen. Die Missachtung einer roten Ampel lässt auf ein gewisses allgemeines Einstellungsdefizit schließen, das sich auch beim Führen eines erlaubnispflichtigen Fahrzeugs auswirken könne.

Der für eine Nachschulung zu erbringende Aufwand hält sich auch in angemessenen zeitlichen und finanziellen Grenzen und ist dem Fahranfänger grundsätzlich zumutbar.Auf Antrag des klagenden Radfahrers wurde gegen die Entscheidung des VG Freiburg die Berufung zwar zugelassen, führte aber nicht zum gewünschten Ergebnis. Die Berufung war nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht begründet. Der Senat verwies in erster Linie auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Freiburg und führte ergänzend aus:

Aus den Gründen:

(…) Den hier maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften liegt die unbedenkliche Annahme des Normgebers zugrunde, dass auch Fahrradfahrer, die ein Rotlicht, dessen Phase bereits länger als eine Sekunde gedauert hatte (vgl. Ziffern 132.2 BKatV), missachten, typischerweise ein erhebliches Gefährdungspotential darstellen, wobei immerhin der Bußgeldsatz von 125,- EUR gem. § 3 Abs. 6 BKatV regelmäßig um die Hälfte zu reduzieren ist. Im vorliegenden Fall würde allerdings die für eine Eintragung erhebliche Grenze von 40,- EUR gem. § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG gleichwohl überschritten, wobei im Übrigen nichts dafür ersichtlich ist, dass die konkrete Ahndung im rechtkräftigen Bußgeldbescheid vom 13.12.2005 mit 62,50 EUR unangemessen gewesen sein könnte.

Dieses Gefährdungspotential ist schon deshalb nicht mit dem von Fußgängern ausgehenden vergleichbar, weil sich Fahrradfahrer typischerweise mit deutlich größerer Geschwindigkeit fortbewegen und damit die durch einen Rotlichtverstoß eines Fahrradfahrers hervorgerufenen Verkehrssituationen für andere Verkehrsteilnehmer, die auf die Beachtung des Rotlichts vertrauen, deutlich weniger beherrschbar sind. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob es zutrifft, wie der Kläger eher spekulativ behauptet, dass ein Kraftfahrer in der gleichen Situation, in der der Fahrradfahrer den Rotlichtverstoß begehe, regelmäßig stehen bleibe. Denn jedenfalls legt ein Fahrradfahrer, der einen Rotlichtverstoß begeht, ein Verhalten an den Tag, das gerade unter verkehrssicherheitsrechtlichen Aspekten nach der Einschätzung des Normgebers zu Recht gewichtige Zweifel an der Fähigkeit und/oder Bereitschaft zur Einhaltung elementarer Regeln des Straßenverkehrs begründet und somit – auch unter dem Aspekt der Erforderlichkeit – verfassungsrechtlich unbedenklich bei Fahranfängern die Verpflichtung zu einer Nachschulung auslöst.

Weshalb eine solche – neben der repressiven Ahndung verwirkte – Nachschulung ungeeignet sein soll, den Betroffenen die Notwendigkeit eines normgemäßen Verhaltens deutlich vor Augen zu halten, erschließt sich dann aber dem Senat nicht. Wenn der Gesetzgeber typisierend in § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG davon ausgeht, dass jedes verwirkte Bußgeld von 40,- EUR und mehr eintragungswürdig ist und dabei unmittelbar an die Entscheidung der Bußgeldbehörde bzw. der Gerichts in Ordnungswidrigkeitssachen anknüpft, so ist dieses Vorgehen nicht als sachwidrig anzusehen. Insbesondere wird einem Betroffenen nichts Unzumutbares angesonnen, wenn er zur Vermeidung einer Eintragung einen Rechtsbehelf gegen einen seiner Auffassung nach unangemessenen Bußgeldbescheid einlegen muss. Ausgehend hiervon wäre es im Übrigen – ohne dass es im vorliegenden Kontext darauf ankäme – gleichermaßen unbedenklich, wenn der oder die Betreffende durch einen solchen Verstoß, der eine letzte Eintragung in das Verkehrszentralregister nach sich zöge, die für eine Entziehung der Fahrerlaubnis maßgebliche Schwelle nach § 2 a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG überschritte. Aus der rechtspolitisch begründeten Entscheidung des Gesetzgebers, in § 7 StVG die zivilrechtliche Gefährdungshaftung generalisierend auf Kraftfahrzeuge zu beschränken, kann nicht auf eine sachwidrige bzw. willkürliche Bewertung des Rotlichtverstoßes von Fahrradfahrern geschlossen werden.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.01.2008, Az: 10 S 1669/07
Vorinstanz: VG Freiburg, Urteil vom 29. November 2006, Az: 4 K 1766/05

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