OLG Köln – Alleinhaftung des wartepflichtigen Fahrradfahrers bei Kollision mit vorfahrtsberechtigtem Pkw


Eine Radfahrerin, die auf dem Radweg unterwegs war, überquerte eine vorfahrtsberechtigte Abbiegespur und stieß mit einem Auto zusammen. Ihre Klage gegen den Autofahrer vor dem Landgericht Köln hatte keinen Erfolg. Ihr Einwand, der Autofahrer hätte durch ein dort angebrachtes Warnlicht und das Schild “Radfahrer kreuzen” besonders aufmerksam sein müssen, sie selbst habe das Vorfahrt-Schild auf ihrer Fahrbahn nicht sehen können, da es von Blattwerk überwuchert gewesen sei, überzeugte das Gericht nicht.
Wegen ihrer Vorfahrtsverletzung wurde ihr die alleinige Haftung auferlegt. Nach Ansicht des Gerichts seien Radwege als “andere Straßenteile” im Sinne der StVO anzusehen. Deshalb müssten auf die Fahrbahn einbiegende Radfahrer äußerste Sorgfalt aufbringen und bei Unübersichtlichkeit sogar absteigen. Auch das Oberlandesgericht Köln sah für die Berufung der Radfahrerin keinerlei Erfolgsaussichten und erließ einen entsprechenden Hinweisbeschluss:

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gem. §§ 7, 18 StVG, 3 PflVG zu. Das Landgericht hat richtig entschieden. Der Verkehrsunfall ist in erster Linie auf das Verschulden des Klägers zurückzuführen, die das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 1) nicht beachtet hat. Ein Verschulden des Beklagten zu 1) am Zustandekommen des Unfalls steht nicht fest. Eine eventuelle Haftung der Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr tritt hinter das Verschulden der Klägerin zurück.

Fest steht, dass die Klägerin den Unfall dadurch verschuldet hat, dass sie ungeachtet des sich auf der bevorrechtigten Zufahrt zu Kaserne nähernden Fahrzeugs des Beklagte zu 1) die Straße mit ihrem Fahrrad überquert hat. Die Wartepflicht der Klägerin ergibt sich schon aus dem nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme an dem Radweg befindlichen Schild „Vorfahrt gewähren“ (VZ 205). Ob die Klägerin das Schild gesehen hat, spielt für ihre Wartepflicht und das Vorfahrtsrecht des Beklagten keine Rolle. Ob daneben auch ein Verstoß gegen § 10 StVO vorliegt, was davon abhängt, ob die Vorschrift auch für die Fahrbahn kreuzende Radwege gilt (hierzu Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 10 Rn 4 einerseits und Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 10 Rn 6 andererseits) und der Bordstein an der Unfallstelle abgesenkt war (dann gelten die erhöhten Sorgfaltsanforderungen nach § 10 StVO immer, Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 10 Rn 4), kann daher dahinstehen.

Ein Verschulden des Beklagten zu 1) an dem Unfall, für welches die Klägerin die Beweislast trägt, steht dagegen nicht fest. Eine überhöhte Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) lässt sich nicht feststellen. Der Beklagte zu 1) wurde zwar durch die Warnschilder und das gelbe Blinklicht auf eventuell kreuzende Radfahrer hingewiesen, dies begründet indes keine Wartepflicht, sondern lediglich eine Pflicht zur erhöhten Aufmerksamkeit. Der Beklagte zu 1) durfte entgegen der Ansicht der Klägerin grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Klägerin sein Vorfahrtsrecht achten würde. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte zu 1) damit rechnen musste, dass die Klägerin unter Missachtung des bevorrechtigten Fahrzeugverkehrs die Straße queren würde.
Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) tritt hinter das erhebliche Verschulden der Klägerin zurück. Bei einem Vorfahrtsverstoß des Radfahrers ist in derartigen Konstellationen in der Regel von einer Alleinhaftung des Radfahrers auszugehen (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 10. Aufl., Rn 365 und die dort zitierte Rechtsprechung).

Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 29.08.2007, AZ: 20 U 107/07 (Justiz NRW)
Vorinstanz: Landgericht Köln, 4 O 123/06

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