OLG Koblenz – Mithaftung bei Verstoß gegen das Sichtfahrgebot bei Dunkelheit


Die spätere Klägerin fuhr bei Dunkelheit mit ihrem Pkw auf ein liegen gebliebenes Fahrzeug auf. Dieses Fahrzeug stand dort, weil der als Fahrer kurz zuvor seinerseits mit einem Pkw zusammengestoßen und danach an der Leitplanke zum Stehen gekommen war. Die Klägerin wurde bei dem Unfall verletzt und musste operiert werden, ihr Pkw wurde beschädigt.
Die Klägerin war der Auffassung, Fahrer und Halter des liegen gebliebenen Pkw müssten ihr zu 75% auf Ersatz ihres Schadens haften und klagte zunächst vor dem Landgericht Koblenz auf Schmerzensgeld und Feststellung der zukünftigen Schadensersatzpflicht der Beklagten begehrt.

Das Landgericht Koblenz nahm eine Haftungsverteilung von 60% zu 40% zu Lasten der Klägerin vor, verurteilte die Beklagten entsprechen der Quote zur Zahlung, wies aber den Feststellungsanspruch ab. Die materiellen Ansprüche waren nach Meinung des Landgerichts nicht substantiiert genug dargetan, ebenso wenig die Voraussetzungen für einen Feststellungsanspruch. Hiergegen legte die Klägerin Berufung zum Oberlandesgericht Koblenz ein.

Das Oberlandesgericht Koblenz gab der Klägerin mit Urteil vom 02.07.2007, Az: 12 U 258/06, nur hinsichtlich des Feststellungsantrages Recht und bestätigte im Übrigen die Haftungsverteilung des Landgerichts.

Aus den Gründen:

Die Annahme eines Mithaftungsanteils der Klägerin von 60 % ist nach den Umständen des Falles nicht zu beanstanden. Nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG sind bei der Bemessung der Mitverursachungsanteile bei einer Gesamtwürdigung des konkreten Sachverhalts diejenigen belastenden Umstände zu berücksichtigen, die nachgewiesen sind. (…)

Der Klägerin fällt ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO zur Last, welches gerade auch bei Dunkelheit gilt. Sie durfte also nur so schnell fahren, dass sie innerhalb der durch ihre Scheinwerfer ausgeleuchteten Strecke anhalten konnte. Dass diese Regel häufig nicht eingehalten wird, entlastet sie nicht. Darüber hinaus hat die Klägerin auch gegen das allgemeine Sorgfaltsgebot des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, (…). Sie musste aber damit rechnen, dass sich ein Unfall ereignet hatte und noch weitere Fahrzeuge auf der Fahrbahn waren. Durch ein kurzes Aufblenden hätte sie sich unschwer Gewissheit über die Verhältnisse auf dem vor ihr liegenden Fahrbahnabschnitt verschaffen können. (…)

Auf Seiten der Beklagten fällt ins Gewicht, dass das Fahrzeug (…) ohne genügende Absicherung nach hinten, z.B. durch ein Warndreieck, in einer leichten Linkskurve an der Leitplanke stand und auf diese Weise den nachfolgenden Verkehr schwerwiegend gefährdete. (…) Auf Seiten der Beklagten fällt deshalb im Ergebnis hauptsächlich die bedeutend erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs ins Gewicht, die einen Mithaftungsanteil von 40 % rechtfertigt. (…)

OLG Koblenz, Urteil vom 02.07.2007, Az: 12 U 258/06

Praxisrelevanz:

Die hier angewandte Norm des § 3 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung lautet, „Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, daß er sein Fahrzeug ständig beherrscht. (…) Er darf nur so schnell fahren, daß er innerhalb der übersehbaren Strecke halten kann.“ Der Grundsatz des Fahrens auf Sicht ist neben dem Rechtsfahrgebot eine der goldenen Regeln des Straßenverkehrsrechtes. Hiernach ist jede Geschwindigkeit unzulässig, die einen Anhalteweg erfordert, der länger ist als die jeweils einsehbare Strecke der Fahrbahn. Bei Dunkelheit hängt die Sichtweite von der Reichweite der Scheinwerfer und möglicherweise ortsfester oder fremder Fahrbahnbeleuchtung, z.B. durch andere Fahrzeuge ab. Beim Anhalteweg ist neben der eigentlichen Bremszeit auch die Reaktions-, Bremsansprech- und Schreckzeit mitzuberücksichtigen. Besonders wenn nachts außerorts ohne Fremdbeleuchtung mit Abblendlicht gefahren wird, wird häufig gegen das Sichtfahrgebot verstoßen. Wenn es zu einem Unfall kommt, ist eine Mithaftung in der Regel nicht vermeidbar.

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