BGH – Befangenheitsantrag nach gerichtlich bestimmter Frist zur Beweisantragstellung unbegründet


„Verteidigung ist Kampf. Kampf um die Rechte des Beschuldigten (…).“ (Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 1. Aufl. 1969, Rn.1). Wie und mit welchen Mitteln dieser Kampf zu führen ist, darüber bestehen geteilte Meinungen. Es gibt den Begriff der sog. „Konfliktverteidigung“, die von der konsequenten Ausnutzung jeglicher prozessualer Rechte welche die Strafprozessordnung bietet, bis hin zur gezielten Provokation und Prozessverschleppung reicht. Wobei jeder Verteidiger, der die Konfrontation mit Staatsanwaltschaft oder Gericht nicht scheut, im Grunde ein Konfliktverteidiger ist. Die Frage, die sich ein Verteidiger stets stellen muss ist, nützt eine Prozesshandlung meinem Mandanten? Wenn es von Nutzen ist, ein Verfahren in die Länge zu ziehen oder gar zu „torpedieren“, z.B. durch gehäuft gestellte Beweisanträge, muss ein Verteidiger eben zu allen prozessual erlaubten Mitteln greifen, dies im Interesse seines Mandanten umzusetzen.

Mit Beschluss vom 19.06.2007, 3 StR 149/07, verwarf der BGH die Revision eines Angeklagten, dessen Verteidigerin – aus welchen Gründen auch immer – offenbar ein Interesse daran hatte, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Anstatt aber die von ihr angekündigten „30 bis 40 Beweisanträge“ zu stellen, lehnte sie die Richter der Strafkammer wegen der Besorgnis der Befangenheit ab, nachdem der Vorsitzende zu einer zugegebenermaßen nicht unproblematischen Maßnahme griff und ihr zur Stellung der angekündigten Beweisanträge eine letztmalige Frist gesetzt hatte. Eine darauf gestützte Befangenheitsrüge war mit der Revision erfolglos. Genutzt hat die „Konfliktverteidigung“ mit dem Ziel, durch die Ablehnung wegen Befangenheit einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO zu schaffen demnach nichts. Die Verurteilung des Mandanten hat mit der Revisionsverwerfung durch den BGH Bestand. Eine Beurteilung, ob das abzusehen war und ob eine andere Verteidigungsstrategie, wie z.B. das Stellen der Beweisanträge erfolgversprechender gewesen wäre, verbietet sich mangels genauer Sachverhaltskenntnis.

Der Entscheidung des BGH lag folgendes Verfahren zu Grunde. Das Landgericht Lüneburg hatte den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in sieben Fällen und wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision blieb gänzlich ohne Erfolg. Die seitens seiner Verteidigerin in der Revisionsbegründung vorgebrachten Beanstandungen des Verfahrens gaben dem 3. Senat allerdings Anlass zu folgenden Ausführungen:

Die Besetzungsrüge zeigt keinen Rechtsfehler auf. Dies gilt auch, soweit die Verteidigerin beanstandet, der Vorsitzende habe die Hilfsschöffin H. zu Unrecht von der Dienstleistung entbunden. Diese hatte, als sie am Vortag der mehrtägigen Hauptverhandlung als Ersatz für die erkrankte Hauptschöffin fernmündlich geladen wurde, mitgeteilt, sie habe ein Kleinkind zu versorgen und könne zwar für den ersten Hauptverhandlungstag eine Betreuung sicherstellen, sei dann aber ohne jede Betreuungsmöglichkeit. Hierzu ist die Verteidigerin der Auffassung, die Entscheidung des Vorsitzenden sei willkürlich, und führt aus: „Wenn man wirklich will, findet man in einer solchen Situation ohne jeden Zweifel eine staatliche Stelle, die sachgerechte Kinderbetreuung übernimmt.“ Ergänzend berichtet sie, es schon erlebt zu haben, wie das Kind einer Schöffin während der Sitzung von einem Wachtmeister eines Gerichts mit Kartenspielen vor dem Sitzungssaal betreut wurde. Damit belegt die Verteidigerin nicht eine willkürliche Richterentziehung, sondern nur einen bemerkenswerten Mangel an Verständnis für die Nöte der Mutter und die Bedürfnisse des Kindes.

Die Befangenheitsrüge versagt. Nach der dienstlichen Erklärung des Strafkammervorsitzenden, der die Verteidigung nicht entgegengetreten ist, liegt ihr folgender Verfahrensablauf zugrunde:

Nach zweimonatiger Hauptverhandlung näherte sich die Beweisaufnahme aus Sicht der Strafkammer ihrem Ende. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob Beweisanträge der Verteidigung zu erwarten seien, erklärte die Verteidigerin des Angeklagten, Frau Rechtsanwältin A. (…) am 24. April 2006, sie werde wohl noch 30 bis 40 Beweisanträge stellen, ohne diese dabei näher zu bezeichnen. Der Vorsitzende bestimmte daraufhin vorsorglich weitere Hauptverhandlungstermine. Bis zum 2. Juni 2006 wurden indes keine Beweisanträge gestellt. An diesem Tag teilte der Vorsitzende mit, die Kammer würde am 19. Juni 2006 die Beweisaufnahme schließen wollen. Auf seine Nachfrage erklärte die Verteidigerin, keine Beweisanträge stellen zu wollen. Gleiches erklärte sie am 19. Juni 2006. Erst nachdem der Vorsitzende daraufhin die Beweisaufnahme geschlossen hatte und die Verhandlung bis zum 3. Juli 2006, dem für die Schlussvorträge vorgesehenen Termin, unterbrechen wollte, kündigte sie für diesen Tag die Stellung von Beweisanträgen an. Daraufhin setzte der Vorsitzende zur Mitteilung solcher Anträge eine Frist bis zum 23. Juni 2006, um bis zum nächsten Verhandlungstag gegebenenfalls die Herbeischaffung von Beweismitteln veranlassen zu können. Auf die Fragen der Verteidiger zur Zulässigkeit dieser Fristsetzung verwies der Vorsitzende auf neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der Fristsetzungen in diesem Zusammenhang möglich seien. Zugleich erörterte er mit den Verfahrensbeteiligten Termine für eine weitere Fortsetzung des Verfahrens. Die Verteidigerin stellte bis zum nächsten Verhandlungstag keine Beweisanträge, sondern beanstandete zu Beginn der Verhandlung die (inzwischen gegenstandslos gewordene) Fristsetzung nach § 238 Abs. 2 StPO. Die Strafkammer bestätigte daraufhin die Fristsetzung des Vorsitzenden. Dies wiederum war der Anlass für das gegen alle Richter der Strafkammer gerichtete Ablehnungsgesuch.

Das Landgericht hat das Gesuch zu Recht zurückgewiesen. Die Fristsetzung durch den Vorsitzenden, die von der Strafkammer bestätigt worden ist, war nicht nur zulässig (vgl. BGH, Beschl. vom 9. Mai 2007 – 1 StR 32/07 – zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; HRRS 2007 Nr. 602), sondern angesichts des Prozessverhaltens der Verteidigerin auch geboten.

Das Strafverfahren dient dazu, den Strafanspruch des Staates um des Rechtsgüterschutzes Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmig geordneten Verfahren durchzusetzen, d. h. in fairer Weise den wahren Sachverhalt zu ermitteln und auf der Grundlage einer Schuldfeststellung zu einer schuldangemessenen Bestrafung des Angeklagten zu kommen (vgl. BVerfGE 57, 250, 275). Nicht zuletzt in dessen Interesse (vgl. BVerfGE 63, 45, 69) besteht das Gebot, das Verfahren innerhalb angemessener Frist durchzuführen, worauf in jüngerer Zeit das Bundesverfassungsgericht in seiner Kammerrechtsprechung wiederholt und nachdrücklich hingewiesen hat (vgl. BGH aaO m. w. N.).

Die im Verlauf des Verfahrens mehrfach gestellten Fragen des Vorsitzenden nach eventuell noch vorhandenem Aufklärungsbedarf der Verteidigung und die Absprache neuer Verhandlungstermine dienten erkennbar dazu, das Verfahren zu straffen. An diesem Ziel hatte die Verteidigung hier offensichtlich kein Interesse. Dass der Vorsitzende, nachdem seine bisherigen Bemühungen nicht unterstützt worden waren, eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen setzte, war eine gebotene Maßnahme, um der von der Verteidigung betriebenen Verschleppung des Verfahrens entgegenzuwirken. Entgegen der Ansicht der Revision war die Fristsetzung auch dann sinnvoll, wenn – wie hier – nach Fristablauf eingehende Beweisanträge nach § 244 Abs. 3 StPO hätten beschieden werden sollen: Das Verstreichenlassen der Frist hätte nämlich als Indiz dafür gewertet werden können, dass später gestellte Beweisanträge der Prozessverschleppung dienten.

BGH, Beschluss vom 19.06.2007, 3 StR 149/07

Die Maßnahme des Landgerichts, der Verteidigerin eine Frist zu setzen, bis zu der sie die angekündigten Beweisanträge zu stellen hat, geht zurück auf eine Entscheidung des BGH vom 14.06.2005, 5 StR 129/05 (HRRS 2005 Nr. 543), mit der eine solche Vorgehensweise erstmalig gebilligt wurde. Aktuell hat der 1. Senat des BGH mit Beschluss vom 09.05.2007, 1 StR 32/07 (HRRS 2007 Nr. 602) entscheiden, dass eine Fristsetzung bei lang andauernden Verfahren zulässig sein kann.

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